Vorfußchirurgie: Die neuen gelenkerhaltenden Verfahren bei Hallux-valgus
Sommerzeit – Sandalenzeit. Die einsetzende warme Jahreszeit bringt es an den Tag: geschundene und vor allem im Bereich der Zehen oft hässlich verformte Füße. Schlimmer noch als das optische Erscheinungsbild sind für die Betroffenen die damit verbundenen Beschwerden wie Druckschmerzen und Beeinträchtigung beim Gehen und Laufen, ja selbst beim bloßen Stehen. Zwar lassen sich manche der sehr verbreiteten Probleme in diesem Bereich – etwa 80% der Bundesbürger sind im „Laufe“ ihres Lebens hiervon betroffen – auf konservative Weise beheben bzw. lindern, bei gewissen Erkrankungen und Verformungen aber kann mittels Einlagen, orthopädischem Schuhwerk oder einer speziellen Fußgymnastik nichts mehr ausgerichtet werden – eine Operation ist unumgänglich, will man nicht länger mit den höchst unangenehmen Schmerzen leben. Ziel des operativen Eingriffs am Fuß ist es dabei letztlich, die anatomischen Verhältnisse wiederherzustellen und also durch die Veränderung der Fußstatik, des Aufbaus des Fußes vor allem am Fußskelett die Verformungen wieder rückgängig zu machen. Das war nicht immer so.
In Ermangelung operativer Möglichkeiten war der Eingriff am Fuß wirklich „allerletzte“ Ultima Ratio, eine Maßnahme, für die ein hoher Preis gezahlt wurde – der Verlust der Funktion des Fußes bzw. seiner Teile. Bei einer Hallux-valgus-Korrektur, der operativen Behandlung des Großzehenballens, nämlich wurde mit Hilfe der sog. Methode nach Brandes ein Teil des Gelenkes amputiert. Die im Bereich des Großzehen eingebüßte Gelenkfläche aber führt auf lange Sicht zu einer Veränderung der Biomechanik des gesamten Vorfußes – und damit zu Verformungen und schließlich Schmerzen, die wiederum nur auf operativem Wege gemindert werden können.
Neue Verfahren bringen neue Möglichkeiten
Vor allem hinsichtlich der operativen Therapie des Hallux-valgus hat sich in der orthopädischen Vorfußchirurgie der letzten Jahre jedoch Entscheidendes verändert. „Die althergebrachten, nicht gelenkerhaltenden Operationsverfahren sind größtenteils verlassen“, berichtet der Münchner Orthopäde Dr. med. Alexander Michael Grabmann, der mit Dr. med. Michael Bingmann, der ebenfalls eine orthopädische Praxis in München betreibt, entsprechende Eingriffe auf der Basis neuer Operationsverfahren in der Nova Med Klinik GmbH, Privatklinik Dr. Riefler in München, durchführt. „Aus den USA kamen neue Anregungen hinsichtlich gelenkerhaltender Korrekturverfahren“, fährt Dr. Grabmann fort. „Jedoch ist niemals ein einziges Standard-Verfahren bei jedem Fuß anwendbar. Man sollte die Entscheidung, welches Verfahren angewendet wird, immer von entsprechenden Parametern abhängig machen, welche in erster Linie sind: Metatarsalwinkel, Hallux-valgus-Winkel sowie die proximalen und distalen Gelenkflächenwinkel.“ Zudem weiß man heute, dass es – um die entsprechende Gelenkachse wiederherzustellen – notwendig ist, Korrekturen nicht allein am Knochen vorzunehmen, sondern auch die Weichteile zu berücksichtigen. Diese – das hier befindliche Muskel- und Sehnensystem – nämlich entscheiden mit über die Stellung der Grundglieder und ihrer Winkel zueinander. Die Grundlage für die Wiederherstellung funktionell geeigneter Knochenwinkel geben dabei die individuell vom Patienten angefertigten Röntgenbilder ab.
Aus der Vielzahl möglicher Methoden und Schnitttechniken allein bei der Korrektur des Hallux-valgus sollen hier nur einige wenige Grundzüge operativer Technik wiedergegeben werden, welche bei häufiger vorkommenden Deformitäten heute zur Anwendung kommen.
Die diversen Operationsmethoden
Immer kommt es bei der Hallux-valgus-Fehlstellung zum mechanischen Ungleichgewicht im Großzehengrundgelenk, aus der eine Protrusion resultiert, eine Vortreibung des Metatarsale I, des Grundgliedes der Großzehe – mit einer nachfolgenden Abweichung der Großzehe. Die retrograden, d.h. rückläufigen Kräfte durch die Großzehe auf das Metatarsale-I-Köpfchen ergeben dann eine Vergrößerung des Intermetatarsalwinkels, des Winkels zwischen den Mittelfußstrahlen: Die Großzehe ist abgespreizt vom daneben befindlichen Zeh, dem zweiten Mittelfußstrahl.
Die so genannte Chevron-Osteotomie nach Austin, die im Einzelnen auch modifiziert werden kann, wenden Dr. Grabmann und Dr. Bingmann in erster Linie bei einem Intermetatarsalwinkel bis ca. 14 Grad an, vorausgesetzt, es liegt ein kongruentes Metatarsophalangeal-Gelenk vor, d.h. dass die einzelnen Zehenglieder der Großzehe in ihren Gelenkflächen übereinstimmen. Falls nämlich noch zusätzlich eine so genannte Hallux-Interphalangus-Deformität besteht, die Glieder der Großzehe sich also in einer Fehlstellung befinden, insofern die aufeinander liegenden Gelenkflächen des Grundgelenks über dem Mittelfußköpfchen voneinander abweichen, kann die Austin-Osteotomie mit einer Akin-Osteotomie kombiniert werden. Bei der Austin-Osteotomie wird der Knochen hinter dem Mittelfußköpfchen V-förmig durchtrennt, was eine Verschiebung in Richtung des zweiten Mittelfußstrahles bewirkt.
Die Osteotomie nach Akin ist eine keilförmige Osteotomie der Phalanx, des Zehengliedes, mit einer medialen (mittelwärts gelegenen) Keilentnahme, und stellt die Kongruenz der Gelenkflächen her.
Dr. Grabmann: „Es bietet sich auch die Osteotomie nach Dr. Stoffella (umgekehrte Austin-Osteotomie) an, fixiert mit der so genannten Link-Stoffella-Spange, welche eine laterale Verschiebung des Köpfchens um mehr als die halbe Schaftbreite möglich macht und eine erstklassige sofortige belastungsfähige Fixation der Osteotomie erlaubt.“
Größere Abweichungen des Grundgliedes im Sinne dieser Gelenk-Inkongruenz und größere Winkel zwischen dem ersten und zweiten Mittelfußstrahl behandeln die Münchner mittels proximaler Osteotomien; bei diesen großen Abspreizwinkeln wird also nah am Drehpunkt geschnitten, sodass der in etwa parallele Verlauf des ersten und zweiten Mittelfußknochens erreicht wird. Hier bieten sich die Basisosteotomien des Metatarsale I mit einer schrägen Keilentnahme mit lateraler Basis an, um den 1. Mittelfußstrahl in Richtung 2. Mittelfußstrahl zu schwenken bzw. annähernd zu parallelisieren.
Eine weitere Möglichkeit besteht in der sog. kreszentischen (halbmondförmigen) Osteotomie nach Dr. Roger Mann/Californien. Die Fixation der Osteotomie erfolgt mittels einer Schraube, die lebenslang belassen werden kann.
Diese Varianten der proximalen Osteotomie kombinieren die beiden Orthopäden zudem mit einer Entfernung der Pseudoexostosen, der höckerigen und spornartigen Knochenvorsprünge, und einer Raffung der Kapsel.
Die neuen gelenkerhaltenden Verfahren bei Hallux-valgus können zwar keinen „neuen Fuß“ formen, doch die vielfältigen raffinierten Möglichkeiten der anatomischen Rekonstruktion erlauben es, die Funktion weitgehend wiederherzustellen und insbesondere die Schmerzen zu beseitigen oder zumindest zu reduzieren.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.