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Rücken

Kryoanalgesie: Wenn Kälte dem Schmerz auf die Nerven geht …

Kältesondenbehandlung hilft wirksam bei lokalen Kreuz-, Rücken- und Nackenschmerzen

Millionen Menschen kennen die Beschwerden: Tief sitzende Kreuz- und Nackenschmerzen, die vorwiegend bei Bewegungen auftreten und sich bei Drehungen und Streckungen des Rückens verstärken. Schmerzen, die einen regelrecht lahmlegen können. Häufige Ursache: Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke als Folge von Bandscheibenschäden oder nach Bandscheibenoperationen. Diese bringen eine Höhenminderung des Zwischenwirbelraums mit sich, was zu einer stärkeren Belastung der Wirbelgelenke führt. Orthopäden sprechen vom so genannten „Facettensyndrom“.

Orthopädie und Schmerztherapie

In der Ausbildungsordnung für Orthopäden kam die Behandlung chronisch schmerzkranker Patienten bis vor einigen Jahren nicht vor. Und so waren es denn auch die Neurochirurgen, die als erste zur invasiven Kältebehandlung von Schmerzpatienten griffen. Heutzutage verstehen sich auch Orthopäden auf Schmerzbehandlung. Die Methoden, je nach Schmerzbild: Kathetertechnik bei Nervenwurzelreizungen, die zu in die Gliedmaßen ausstrahlenden Schmerzen führen, und – Kryoanalgesie bei lokalen bzw. regionalen Nacken-, Rücken- und Kreuzschmerzen. Kryoanalgesie, das heißt auf deutsch: Schmerzbehandlung mit Kälte.

Den schmerzenden Nerv kaltstellen

Von der schmerzbetäubenden Wirkung der Kälte schreibt schon Hippokrates im 5. Jh. v. Chr., und er empfiehlt, Eis und Schnee zur lokalen Schmerzbetäubung vor Operationen zu verwenden. Die Entwicklung der modernen Kryoanalgesie begann vor etwa 30 Jahren in England. Nachdem führende Neurochirurgen in den USA – wo schon früh disziplinübergreifende Schmerztherapie betrieben wurde – die Technik schließlich für sich entdeckt und weiterentwickelt hatten, fand sie von dort nach Europa zurück. Seit einigen Jahren entdecken auch in Deutschland immer mehr Mediziner ihre Vorteile.

Das Prinzip ist einfach. Durch punktuelle Kältezufuhr werden die schmerzleitenden Nervenfasern bei Temperaturen zwischen –50 und –60 Grad Celsius dauerhaft betäubt. Dafür wird über einen 2–3 Millimeter breiten Schnitt eine Kältesonde 5–7 Zentimeter in die Nähe der kleinen Wirbelgelenke vorgeschoben. Mit dieser steuert der Operateur die schmerzende Nervenfaser direkt an. Die Sondenspitze wird dabei unter Zuhilfenahme von Röntgendurchleuchtung und Schmerzinformationen des Patienten exakt an die kritische Stelle geführt – und wirkt nur dort. Und zwar sechs bis achtzehn Monate. Wissenschaftlich belegte Erfolgsquote: rund 70%. Um herauszufinden, ob ein Patient überhaupt auf Vereisung anspricht, werden die betroffenen Facetten-Gelenke zunächst wiederholt vorübergehend betäubt. Tritt bei diesem als „Blockade“ bezeichneten Test eine Schmerzlinderung ein, spricht vieles dafür, dass die Kryo-Behandlung bei dem Patienten zum gewünschten Erfolg führt.

„Der Vorteil dieses minimalinvasiven Verfahrens liegt darin, dass der schmerzleitende Nerv nicht nachhaltig verletzt wird“, erläutert Dr. Dietrich Kornasoff, Orthopäde und Schmerztherapeut in München, der die Kryo-Technik seit einiger Zeit begeistert anwendet. Im Gegensatz zum mit Hitze arbeitenden Radiofrequenzverfahren werde der Nerv nicht verkocht, sondern nur im wahrsten Sinne des Wortes kaltgestellt. „Für den Eingriff ist lediglich eine oberflächliche lokale Betäubung erforderlich. Deshalb belastet die Behandlung den Patienten kaum“, ergänzt sein Münchner Kollege Dr. Eckhard Schmidt-Ramsin, der ebenfalls von den Vorzügen dieser Technik überzeugt ist. Und man kann sie beliebig oft wiederholen, falls die erlösende Wirkung nach einigen Monaten nachlassen sollte. Das Risiko ist nicht größer als bei Spritzen – allein die Wirkung ist wesentlich effektiver und nachhaltiger. Wichtig: Es muss sich um lokale Schmerzen handeln. Für die Behandlung ausstrahlender Nervenwurzelschmerzen, die entlang des Nerves in die Gliedmaßen weitergeleitet werden, eignet sich die Therapie nicht. Hier greifen Dr. Kornasoff und Dr. Schmidt-Ramsin auf die minimalinvasive epidurale Wirbelsäulen-Kathe­tertechnik zurück.

Betäuben statt operieren

Häufig sind es voroperierte Patienten, denen mit der Kältebehandlung geholfen werden kann. Oftmals leiden sie unter Mikro-Instabilitäten der Wirbelsäule auf Grund zum Teil entfernter Bandscheiben. Diese ziehen vielfach eine schmerzhafte Wirbelgelenks-Arthrose nach sich. Die Kryo-Technik kann hier möglicherweise weitere operative Eingriffe vermeiden helfen. Auch Patienten mit schmerzhaften Wirbelgelenksveränderungen auf Grund entzündlicher rheumatischer Erkrankungen kann mit der Kältetechnik vergleichsweise schnell und einfach geholfen werden. Die Kälteeinwirkung dauert nur ein bis zwei Minuten, der ganze Eingriff nicht einmal eine halbe Stunde. In der Regel lässt sich die Kryoanalgesie ambulant durchführen. Allerdings bieten bislang nur etwa drei Dutzend niedergelassene Neurochirurgen und Orthopäden sowie eine Reihe von Kliniken die Technik an. Tendenz: steigend.

Nach einem erfolgreichen Eingriff empfehlen Dr. Kornasoff und Dr. Schmidt-Ramsin intensive Krankengymnastik mit gezieltem Muskelaufbautraining. Denn die Erfahrung lehrt: Wer über lange Zeit unter Schmerzen gelitten hat, hat die betroffenen Muskeln durch Schonhaltungen u.Ä. verkümmern lassen. Gezielte Beübung hilft dann, den Behandlungserfolg dauerhaft zu sichern.

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2000

*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.