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Kopf & HWS

Wenn es uns an den Kragen geht 

Neck pain, conceptual computer artwork.

Problemzone Halswirbelsäule

Wer hat ihn noch nicht erlebt, den steifen Hals nach einer Nacht in einem fremden Bett oder nach einer Fahrt in einem zugigen Bus. Der Ursachen sind viele, aber alle machen sich bemerkbar durch verkrampfte, schmerzende Nackenmuskeln, die jede Kopfbewegung zur Qual werden lassen. Manchmal strahlen die Schmerzen auch in einen oder beide Arme aus oder werden von einem merkwürdigen Kribbeln in den Händen begleitet. So vielfältig die Ursachen, so bunt auch die Namen für diese Zustände: Halswirbelsäulensyndrom, Zervikalsyndrom oder auch Zervikobrachialsyndrom. Nackenschmerzen sind jedenfalls weit verbreitet und man schätzt, dass etwa 15 Prozent der Bevölkerung darunter leiden. 

Aufbau der Halswirbelsäule

Die Halswirbelsäule bildet den oberen – beweglichsten – Anteil unserer Wirbelsäule. Sie besteht aus sieben Wirbeln, von denen die fünf unteren im Prinzip wie alle anderen Wirbel auch aufgebaut sind. Sie bestehen aus Wirbelkörper, Wirbelbogen und Quer- und Dornfortsatz. Die übereinander liegenden Wirbelkörper sind dabei das tragende Element. Die Wirbelbögen bilden das Gerüst für das „Rohr“, durch das das Rückenmark vom Kopf her nach unten zieht. Der Dornfortsatz des siebten, also letzten Halswirbels, ist besonders kräftig ausgebildet und deutlich im Nacken zu tasten. Die beiden oberen Wirbel sind anders gestaltet und haben sogar eigene Namen. Der erste Wirbel ist der „Atlas“ – benannt nach dem Riesen aus der griechischen Mythologie, der die Weltkugel trug – und der zweite „Axis“ (= Achse), um den sich der erste drehen kann. Sie teilen sich die Aufgabe, einerseits die Last des Kopfes zu tragen und andererseits zu gewährleisten, dass dieser sich möglichst frei und ungehindert bewegen kann. 

Der Atlas besteht im Prinzip nur aus einem Knochenring mit kräftigen Querfortsätzen. Auf ihnen lasten genau passende Knochenvorsprünge der Schädelbasis. Damit stellen sie die eigentlichen „Kopfträger“ dar. An der Stelle, wo sich bei den anderen Wirbeln der Wirbelkörper befindet, ragt der Dens (= Zahn) des Axis – gewissermaßen dessen nach oben verlängerter Wirbelkörper – in den Ring des Atlas. Über ein sehr festes Band ist dieser Dorn an der Hinterseite des vorderen Atlasbogens fixiert. Damit wird einerseits verhindert, dass sich dieser Zapfen in Richtung des von den Wirbelbögen gebildeten Kanals – in dem ja das Rückenmark verläuft – bewegen kann. Andererseits kann sich aber der Atlas um diesen Zapfen herum drehen wie ein Türscharnier und ermöglicht so die Drehbewegungen des Kopfes. Im Gelenk zwischen Atlas und Kopf sind dagegen nur kleine Nickbewegungen von etwa 10 Grad möglich. Weitere Ausschläge kommen durch Mitbewegung der Halswirbelsäule zustande. 

Eine Besonderheit zeichnet die Halswirbelsäule gegenüber den anderen Wirbelsäulenabschnitten aus: Bei ihr zieht nicht nur das Rückenmark durch einen Kanal, den die Wirbelbögen bilden. In den Querfortsätzen der Halswirbel befinden sich Löcher, durch die – vom Herzen kommend – beiderseits Arterien verlaufen, die sauerstoffreiches Blut zum Kopf und zum Gehirn befördern. Bei Überkopfarbeiten können sie leicht abgeknickt werden; so kann die Durchblutung zum Gehirn beeinträchtigt werden, was dann zu einem Schwindelgefühl führen kann. 

Muskulatur stützt und schützt die Halswirbel

Die Halswirbelsäule besteht aber nicht nur aus ihren knöchernen Elementen. Mindestens genauso wichtig sind die vielen Bänder und Bindegewebeverbindungen zwischen den einzelnen Wirbeln und den von ihnen gebildeten zahlreichen kleineren Gelenken. Auch die Bandscheiben sind für die Funktion der Wirbelsäule unentbehrlich. Sie sind häufig Ursache für Schmerzen in diesem Bereich. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung sind auch die vielen kleineren und größeren Muskeln, die die Verbindungen der Wirbel untereinander, zum Kopf und zu Schultern und Armen hin stabilisieren. 

Dabei sind vor allem die kleinen, tief liegenden Muskeln entscheidend für die Balance und eine gute Feinabstimmung der Bewegung. Wie unerlässlich sie für die Haltung des Kopfes sind, zeigt die Tatsache, dass z.B. Kampfjet-Piloten oder Rennfahrer diese Muskeln durch spezielles Training kräftigen, damit sie den starken Beschleunigungen besser Stand halten können. Normalerweise aber fristen gerade diese Muskeln ein eher kümmerliches Dasein. Zudem ziehen viele Menschen ihre Schultern ständig unnötig hoch, wodurch die Nackenmuskulatur verkümmert und sich verkürzt. In solch einer verkrampften Muskulatur ist die Blutversorgung gestört, sodass kaum frisches, sauerstoffreiches Blut herantransportiert werden kann. Andererseits sammeln sich Stoffwechselabbauprodukte an und können nicht fortgeschafft werden. Es entstehen Schmerzen, die dazu führen, dass die Muskulatur noch weniger bewegt wird. Ein Teufelskreis kommt in Gang. Um dem vorzubeugen, empfiehlt es sich, den Kopf wie ein spanischer Grande zu halten: Schultern nach unten, Kinn zurück und Nacken lang. 

Halswirbelsäulensyndrom – viele Symptome, eine Ursache?

Aus Unachtsamkeit oder Gedankenlosigkeit eingenommene Haltungen werden oft noch durch nicht passend eingerichtete Arbeitsstellen, sei es in Haushalt, Büro oder Werkstatt, verschlimmert. Hält man ständig den Kopf zu hoch oder zu niedrig, entwickeln sich aus diesen Fehlbelastungen heraus auf Dauer degenerative Veränderungen, die zum einen besonders die Bandscheiben in Mitleidenschaft ziehen. Zum anderen kann auch durch die veränderte Belastung die Entstehung von knöchernen Auswüchsen begünstigt werden. Diese führen dann unter Umständen zu Verengungen der Wirbellöcher und damit zu einer Beeinträchtigung der dort verlaufenden Blutgefäße oder Nerven. 

Neben den schmerzhaften Muskelverspannungen im Nacken treten beim Halswirbelsäulensyndrom aber auch andere Symptome auf. In vielen Fällen strahlen die Schmerzen aus und betreffen auch Schulter und Arme bis hin zu den Händen. Je nachdem, welche Wirbeletage von z.B. degenerativen Veränderungen mit Bandscheibenvorfall betroffen ist, können sich ganz charakteristische Störungen herausbilden, die Rückschlüsse auf den Entstehungsort zulassen. Letztlich kann es in den betroffenen Bereichen zu einem insgesamt gestörten Kraft-, Schmerz- und Berührungsempfinden kommen. 

Vielfach gehen vom Nacken ausgehende Störungen auch mit Schwindel, Hör-, Seh- oder Schluckstörungen einher. Andererseits können diese Störungen und sogar isolierte Nackenschmerzen ihre Ursache auch in anderen Organen, z.B. in krankhaft veränderten Kiefergelenken, haben. Eine sorgfältige Abklärung und Differenzialdiagnose ist also immer erforderlich. 

Der besondere Fall: Halswirbelsäulenkopfschmerzen

An der Frage, ob vom Nacken ausgehende und ausstrahlende Kopfschmerzen auch immer von Strukturen des Nackens verursacht werden, daran scheiden sich immer wieder die Geister. Mit diesem „zervikalen Kopfweh“ beschäftigen sich Allgemeinmediziner, Orthopäden, Radiologen, Anästhesisten, Internisten, Rheumatologen, HNO-Ärzte, physikalische Mediziner, Neurologen und Neurochirurgen. Diese Kopfschmerzen treten in vielfältiger Form auf und sind in ihrer Symptomatik manchmal nicht von einer echten Migräne oder einem Spannungskopfschmerz zu unterscheiden. Die Tatsache, dass sie im Nacken oder Hinterkopf empfunden werden, bedeutet aber noch längst nicht, dass sie auch dort entstehen. Die Zuordnung ist deswegen so schwierig, weil es Verbindungen gibt zwischen den im Nackenbereich aus dem Rückenmark abgehenden „zervikalen“ Nerven und dem Trigeminusnerv, der im Wesentlichen für die Versorgung des Gesichts zuständig ist. Über diese „zervico-trigeminalen Schaltstellen“ kann es somit zur Weiterleitung von Schmerzimpulsen vom Nacken zum Gesicht und umgekehrt kommen. Den Beweis führen, dass die Schmerzen tatsächlich vom Nacken kommen, kann man durch die Blockierung der entsprechenden Nerven mit einem örtlichen Betäubungsmittel. Hören die Schmerzen nach der Injektion auf, lag dort die Wurzel des Übels. Dieses Verfahren ist aber nicht ganz risikolos und die schmerzstillende Wirkung hält auch nur kurz an, sodass es sich für eine Therapie nicht eignet. Erschwerend kommt noch hinzu, dass verschiedene Ursachen in eine „gemeinsame anatomische Endstrecke“ münden und der Halswirbelsäulenkopfschmerz kein eigenes Krankheitsbild, sondern ein „Reaktionsmuster“ darstellt. Dementsprechend gibt es auch keine einheitliche Therapie. Angewendet werden schmerzstillende Medikamente, Akupunktur, Manualtherapie und verschiedene Operationsmethoden. Es liegen aber noch keine kontrollierten Langzeitstudien vor, in denen die unterschiedlichen Ansätze auf ihre Wirksamkeit hin verglichen wurden. 

Schultergürtel-Engesyndrom oder eine Rippe mehr

Normalerweise finden sich Rippen nur im Bereich der Brustwirbelsäule. Bei einem von 100 Menschen bildet sich aber – ein- oder beidseitig – eine echte Rippe am letzten Halswirbel aus. Manchmal ist diese Rippe kaum länger als der Querfortsatz, manchmal reicht sie aber auch bis zum Brustbein. Dies wissen die Betroffenen oft gar nicht, wenn dadurch keine Symptome auftreten. In der Hälfte der Fälle kommt es aber durch diese Halsrippe zu einer Einengung des vom Hals zum Arm ziehenden Gefäßnervenbündels zwischen Hals- und erster Rippe. Diese Einklemmungen können besonders nachts in bestimmten Schlafpositionen auftreten oder wenn bei abgewinkeltem Arm der Kopf zur Gegenseite gedreht wird. Akut kommt es dann zu Durchblutungsstörungen mit Schmerzen im Arm. Wird diese Einengung nicht rechtzeitig erkannt, kann es auf Dauer zu Schwäche und Schweregefühl im Arm mit gestörter Feinmotorik kommen. In seltenen Fällen führt der permanente Druck auf die Blutgefäße auch zur Ausbildung von Gefäßverschlüssen mit nachfolgenden Embolien in den kleinen Fingergefäßen. Die Behandlung erfolgt durch die operative Entfernung der störenden Halsrippe. Dies kann durch einen kosmetisch günstigen Schnitt in der Achselhöhle erfolgen. 

Wenn der Kopf zur Peitsche wird

Mit dem Begriff Halswirbelsäule verbinden die meisten Menschen in erster Linie das Schleudertrauma bei Auffahrunfällen. Etwa 100.000 mal pro Jahr – mit steigender Tendenz – kommt es in Deutschland zu solchen Beschleunigungsverletzungen. Der starken Krafteinwirkung auf den Rumpf kann der Kopf zunächst nicht folgen und schleudert nach hinten, um dann umgehend in einer zweiten Bewegung heftig nach vorne zu kippen, so genannter „Peitschenhieb-Mechanismus“. Die Belastung der Halswirbelsäule ist besonders groß, wenn der Aufprall etwas versetzt seitlich erfolgt oder wenn der Kopf im Aufprallmoment etwas zur Seite verdreht ist. 

In der Folge kann es zu einer Vielzahl verschiedenster Symptome kommen. Da es sich um ähnliche biochemische Prozesse wie beim Muskelkater handelt, treten sie in der Regel erst nach einem symptomfreien Intervall von einigen Stunden bis zu einem Tag auf. Typische Beschwerden für ein Schleudertrauma sind Bewegungsschmerzen der Halswirbelsäule mit Schmerzausstrahlung in Hinterkopf, Brustwirbelsäule, Schultern und Arme. Hinzu treten können aber auch Kopfschmerzen, Schwindel, Schluckbeschwerden, Schlafstörungen und Konzentrationsschwäche. 

Früher war in diesen Fällen der Griff zur berüchtigten Halskrause Standard. Wissenschaftliche Studien haben aber ergeben, dass die Erholungsphase durch das Tragen dieser Stütze deutlich verlängert wird. Besser und Erfolg versprechender ist eine funktionelle Therapie. Das heißt zunächst Kühlen, Einnahme von schmerzstillenden und abschwellenden Medikamenten für einige Tage und gleichzeitig Beibehaltung der normalen Aktivität, eventuell verbunden mit vorsichtigen Muskel dehnenden und kräftigenden Übungen. 

In 95 Prozent der Fälle bleiben bei den Betroffenen keine Dauerschäden zurück, allerdings dauert es bis zur Beschwerdefreiheit in einzelnen Fällen bis zu einem halben Jahr. Normalerweise heilen die Folgen aber innerhalb von ein bis drei Wochen ab. Bei Frauen dauert es – wegen ihrer schwächer ausgeprägten Halsmuskulatur – meist etwas länger. 

aus ORTHOpress 1 | 2002

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.