Normalerweise bilden Zähne, Kaumuskel und Kiefergelenke eine reibungslos ineinandergreifende Einheit. Allerdings ist dies nicht immer so: Dysbalancen und Fehlstellungen im Kieferbereich und im übrigen Stütz- und Bewegungssystem können weitreichende Folgen haben, weiß Dr. Robert Saxler von der Sternklinik in Bremen. Er ist auf die ganzheitliche Behandlung dieses „Craniomandibuläre Dysfunktion“ oder kurz CMD genannten Symptomkomplexes spezialisiert.
Herr Dr. Saxler, wie äußert sich eine CMD?
Dr. Saxler: Schädel und Kiefer bilden zusammen eine funktionelle Einheit und sind über das Kiefergelenk sowie kräftige Muskelbündel und die dazugehörigen Faszien miteinander verbunden. Sie beeinflussen sich daher gegenseitig. Bei der Entstehung einer CMD spielen Dysbalancen eine entscheidende Rolle. Im Kieferbereich kann es beispielsweise durch zu hohen oder zu stark abgeschliffenen Zahnersatz dazu kommen. Jeglichen Höhenunterschied versucht unser Kauapparat kraftvoll auszugleichen. Dabei wird die Muskulatur sehr beansprucht. Erstes Symptom ist oft das Zähneknirschen, das viele Menschen unbewusst bei Stress und selbst im Schlaf praktizieren. Dieses Zuviel an Druck kann sich dann auch auf andere Körperregionen auswirken. So kommt es beispielsweise oftmals auch im Nackenbereich zu schmerzhaften Muskelverspannungen. Eine CMD führt dabei nicht nur zu Beschwerden im Mund- und Kieferbereich. Auch in den nachfolgenden Statikebenen kann sie erhebliche Probleme verursachen. Wird die Störung nicht oder zu spät erkannt, kann es sogar zu chronischen Schmerzen kommen, die nur sehr schwer zu behandeln sind. Selbst Iliosakralgelenks- und Hüft- oder Knieschmerzen können hier ihren Ursprung haben.
Wie erkennen Sie, ob eine CMD die Ursache der Beschwerden ist?
Dr. Saxler: Wir beraten uns bei der Diagnosefindungmit Spezialisten wie Kieferorthopäden, Osteopathen, Physiotherapeuten, Mund-Kiefer-Gesichtschirurgen und Zahnärzten. Gemeinsam und interdisziplinär stimmen wir dann einen wirksamen Therapieplan miteinander ab. Die Diagnostik von CMD erfolgt dann mittels speziell ausgerichteter Diagnostikgeräte. Damit können wir z. B. Muskelspannungsmessungen im Bereich der Gesichtsmuskulatur, der Halsmuskulatur und der Kiefergelenksmuskulatur durchführen. Ganz wichtig sind auch eine Vermessung der Wirbelsäule vom Kopf bis zum Kreuz-Darmbein-Gelenk sowie eine Ganganalyse und Analyse der Beinachsen.
Warum ist diese ganzheitliche Herangehensweise so wichtig?
Dr. Saxler: Da die Schmerzen ja praktisch überall auftreten können, ist es so wichtig, sich von eben dieser Kaskade zurück zum eigentlichen Ausgangspunkt der Beschwerden zu hangeln. Es ist unabdingbar, dass Ärzte und Therapeuten verschiedenster Fachrichtungen zusammenarbeiten; nur so kann man alle Details erkennen und sicher diagnostizieren. Sonst ist die Gefahr groß, dass bei Beschwerden des Bewegungsapparates nur symptomatisch und nicht ursächlich behandelt wird. Das passiert in der Praxis leider viel zu häufig und führt dazu, dass die Patienten allenfalls kurz- und nie langfristig eine Linderung ihrer Beschwerden erfahren. Häufig kommen die genannten Analysen zu dem Ergebnis, dass muskuläre Dysbalancen oder Defizite Grund für die Beschwerden sind. Besonders die Wirbelsäule, die mitunter enorme Kräfte zu bewältigen hat und nur durch das umliegende Muskelgewebe gestützt wird, ist anfällig für degenerative Veränderungen und schmerzhafte Verspannungen. Selbst bei trainierten Sportlern sind Schwächen der Rückenmuskulatur zu finden.
Wie wird eine CMD behandelt?
Dr. Saxler: Wir behandeln eine CMD mit manualtherapeutischen und osteopathischen Methoden. Unterstützend kommen ganzheitlich ausgerichtete medizinische Trainingstherapien zum Einsatz wie unser speziell entwickelter Trainingszirkel. Dieser eignet sich nicht nur zur Behandlung von CMD-induzierten Schmerzen, sondern kommt auch bei degenerativen Erkrankungen wie Arthrose an Schulter-, Knie- und Hüftgelenken, Bandscheibenproblemen, Schleudertraumata oder rheumatischen Erkrankungen zum Einsatz. Die speziellen Trainingsgeräte erzeugen einen mechanischen Widerstand, welcher der physiologischen Kraftkurve der jeweils zu trainierenden Muskelgruppe weitgehend entspricht. So können bestimmte Muskelgruppen isoliert trainiert werden.
CMD – zusätzliche diagnostische Sicherheit durch eigenes offenes MRT
Optimal ergänzt wird die CMD-Diagnostik durch Aufnahmen im eigenen Magnetresonanztomographen (MRT), die in Kooperation mit einem auf CMD spezialisierten Radiologen durchgeführt werden. So können pathologische bzw. degenerative Veränderungen des gesamten Stütz- und Bewegungssystems erfasst werden. Dies umfasst neben der Wirbelsäule mit ihren Facettengelenken sowie der Diagnostik der Bandscheiben und der alternden oder entzündeten paravertebralen Muskulatur auch alle kleinen und großen Gelenke. Außerdem wird das MRT als Kontrollinstrument bei Injektionstherapien an der Wirbelsäule und den Gelenken genutzt. Solche Injektionstherapien eignen sich besonders bei Schmerzen, die gegen konservative Therapien resistent sind wie beispielsweise Nervenkompressionen oder Nervenwurzelreizsyndrome. Die MRT-Kontrolle ermöglicht hier eine hervorragende Übersicht über das zu behandelnde Gebiet ohne jegliche Strahlenbelastung.
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