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Eine Eule kann ihren Kopf bis zu 270 Grad weit drehen, das sind drei Viertel eines Kreises. Damit hat sie bei der Jagd nahezu einen Rundum-Blick. Würden wir unseren Kopf so weit verdrehen, müssten wir mit schwersten Schäden wie einem Schlaganfall rechnen. Doch die Eule klemmt sich weder Blutgefäße noch Nerven ein. Woran liegt das?
Die Eule hat 14 Halswirbel, die zur Beweglichkeit ihrer Halswirbelsäule (HWS) beitragen, der Mensch nur sieben. Eine der Hauptschlagadern der Eule verläuft in einem knöchernen Kanal innerhalb ihrer Halswirbelsäule. Dieser Kanal ist extrem weit, sodass die Ader auch bei extremer Drehung nicht eingeengt wird. Im Bereich der menschlichen Halswirbelsäule verlaufen lebenswichtige Blutgefäße und Nerven auf eher engem Raum. Dadurch ist sie wesentlich empfindlicher und anfälliger für diverse Verletzungen und Verschleiß. Und obwohl sie den beweglichsten Teil unserer Wirbelsäule darstellt, ist sie längst nicht so flexibel wie die der Eule.
HWS-Syndrom
Alle unspezifischen Beschwerden an der Halswirbelsäule und solche, die von der Halswirbelsäule ausgehen, werden als HWS-Syndrom bezeichnet. Dazu zählen z. B. Schmerzen am Hals, Nacken oder in den Schultern sowie vom Nacken oder der HWS ausgehende Kopfschmerzen. Im Bereich der Halswirbelsäule treten acht paarige Nerven aus dem Rückenmark aus. Die oberen vier versorgen den Hals, seine Muskeln sowie das Zwerchfell, die unteren vier die Brust- und Armmuskulatur. Werden diese Nerven gereizt oder gequetscht, können Kribbeln, Taubheitsgefühle und andere Empfindungsstörungen sowie eine Kraftminderung in den oberen Extremitäten die Folge sein. Der Übergang vom Hals zum Kopf ist eine empfindliche Region. Kommt es hier zu Funktionsstörungen, treten mitunter Symptome wie Schwindel, Ohrensausen oder Tinnitus auf.
Die Ursachen für ein HWS-Syndrom sind vielfältig. Oft stecken muskuläre Verspannungen, bedingt durch Stress, oder Verschleißerscheinungen an den Wirbelgelenken (Facettengelenksarthrose) und Bandscheiben (z. B. ein Bandscheibenvorfall) dahinter. Aber auch „blockierte“ Wirbelgelenke, Entzündungen oder Unfälle (z. B. Schleudertrauma) können zu den typischen HWS-Syndrom-Schmerzen führen. Je nach Dauer der Beschwerden sprechen Ärzte vom akuten oder chronischen HWS-Syndrom.
HWS-Syndrom: Therapie
Vielfach erzielt bereits eine Behandlung mit Massagen und Wärme gute Ergebnisse. Muskuläre Verspannungen können so gelöst werden. Wer viel am Computer arbeitet, kann z. B. die Maus zeitweise mit der anderen Hand bedienen. Auch lohnt es sich ganz allgemein, auf die richtige Arbeitshaltung zu achten. Bei hartnäckigeren Schmerzen verschreiben die Ärzte häufig Schmerzmittel. Diese sollten jedoch nur vorübergehend eingenommen werden, um z. B. eine erste Beweglichkeit und physiotherapeutische Anwendungen zu ermöglichen. Haben die Beschwerden eine greifbare Ursache wie einen Bandscheibenvorfall oder eine Arthrose, richtet sich die Behandlung nach dieser zugrunde liegenden Erkrankung. Sehr hilfreich ist es in den meisten Fällen – nicht nur für Formel-1-Piloten –, die Hals- und Nackenmuskulatur mit gezielten Übungen zu kräftigen, zu stärken und zu dehnen.
Bandscheibenvorfall HWS
Bei einem Bandscheibenvorfall ist der Faserring der Bandscheibe gerissen, sodass der innere, gallertartige Kern hervorquillt und unter Umständen auf umliegende Nerven in der HWS drückt. Dies führt je nach Lokalisation zu heftigen Schmerzen, die in Kopf, Schulter und Arme ausstrahlen, sowie zu Gefühlsstörungen und Kraftminderung in den Armen. In der Akutphase helfen Schmerzmittel in Form von Tabletten oder Injektionen. Im weiteren Verlauf tragen Physiotherapie und physikalische Anwendungen dazu bei, die Schmerzen in den Griff zu bekommen und die Beweglichkeit wiederherzustellen. Führt eine konservative Behandlung auch nach mehreren Wochen nicht zum Erfolg oder leidet der Patient unter Lähmungen oder sonstigen Ausfallerscheinungen, muss in der Regel operiert werden. Während der Operation an der HWS wird die betroffene Bandscheibe entfernt und durch einen Platzhalter, wie eine Bandscheibenprothese oder Knochenmaterial, ersetzt. In seltenen Fällen entfernen die Ärzte lediglich das ausgetretene Bandscheibengewebe.
Facettengelenksarthrose
Bei den Facettengelenken handelt es sich um die kleinen Gelenke, die die einzelnen Wirbel über ihre Querfortsätze miteinander verbinden. Wenn im Laufe der Zeit die Bandscheiben an Höhe verlieren, müssen die Facettengelenke mehr Last tragen. Dadurch verschleißen und entzünden sie sich. Um die Gelenke zu stabilisieren, bildet der Körper dann an dieser Stelle neues Knochenmaterial, was dazu führt, dass sich der Wirbelkanal verengt (Spinalkanalstenose) und Nerven und Gewebe beeinträchtigt werden. Infolge dessen kommt es zu Schmerzen und das Gelenk wird steif und unbeweglich. Behandelt werden kann sie durch Injektionen, die der Arzt unter Bildkontrolle direkt ins Gelenk einbringt. Dies ist auch bei den kleinen Facettengelenken der HWS möglich. Helfen Medikamente nicht weiter, kann der Arzt die schmerzleitenden Nerven an den betroffenen Stellen veröden.
Schleudertrauma
Ein Schleudertrauma bezeichnet den Zustand der Halswirbelsäule, nachdem sie, z. B. durch einen Autoauffahrunfall, ruckartig, unkontrolliert und über das natürliche Maß hinaus nach vorn und nach hinten bewegt wurde. Einige Stunden bis Tage nach diesem Ereignis beginnt das Schleudertrauma mit Nackensteife, Kopf- und Nackenschmerzen, die in Schulter und Arme ausstrahlen können. Manchmal kommen Schwindel, Ohrgeräusche und Schlafstörungen hinzu. Nur in schweren Fällen kommt es zu neurologischen Ausfallerscheinungen. In der Regel klingen die Symp-tome bei guter Aufklärung der Patienten und entsprechender Behandlung (z. B. Schmerzmittel bzw. muskelentspannende Medikamente, kurzfristige Schonung und anschließende Mobilisation durch Physiotherapie) nach einigen Tagen oder wenigen Wochen ab. In einigen Fällen, hauptsächlich bei früheren Verletzungen der Wirbelsäule oder aufgrund psychischer Begleitumstände, können die Beschwerden eines Schleudertraumas chronisch werden. Die genauen Ursachen für eine Chronifizierung sind noch nicht hinreichend erforscht. Behandelt wird ein chronisches Schleudertrauma z. B. durch eine spezielle Schmerztherapie, die auch eine Psychotherapie umfassen kann.
Frakturen an der HWS
Frakturen an der Halswirbelsäule entstehen meist im Rahmen von Verkehrs- oder Sportunfällen. Besonders gefährlich ist auch der viel zitierte Kopfsprung in zu seichtes Wasser. Je nachdem, an welcher Stelle ein oder mehrere Halswirbel gebrochen sind, kann es neben Schmerzen im Nacken auch zu Lähmungen und Taubheitsgefühlen im Nacken oder in den Armen sowie zu Schluckstörungen kommen. Eine Fraktur der Halswirbelsäule stellt immer einen Notfall dar, da sie oft mit einer Rückenmarksverletzung einhergeht, die eine Querschnittslähmung verursachen kann. Nicht selten besteht durch weitere Begleitverletzungen sogar Lebensgefahr, z. B. wenn die Funktion von Atmung und Kreislauf gestört wird. Patienten, bei denen nach einem Unfall eine Fraktur der Wirbelsäule wahrscheinlich ist bzw. noch nicht ausgeschlossen werden konnte, werden so gelagert, dass sich potenzielle Brüche nicht (weiter) verschieben und dadurch weiteren Schaden anrichten können. Ein stabiler, also nicht verschobener Bruch an der HWS wird in der Regel konservativ behandelt. Dazu wird der Wirbelsäulenabschnitt mit einer Halskrause oder einer entsprechenden Fixierung für mehrere Wochen ruhiggestellt. Gesplitterte oder verschobene Brüche müssen operativ versorgt werden. Die anschließende Rehabilitation kann – je nach Schwere der Verletzung – bis zu mehrere Monate dauern.
Kiefer und HWS
Beschwerden an der Halswirbelsäule können auch vom Kiefergelenk herrühren und umgekehrt. Dieser vom falschen Zusammenspiel von Unterkiefer und Schädel ausgelöste Zustand wird auch als CMD (Craniomandibuläre Dysfunktion) bezeichnet. So kann ein Fehlbiss (etwa aufgrund von falsch angepasstem Zahnersatz) zu einer Dysbalance der Kiefergelenke führen, die sich bis in die Wirbelsäule hinein fortsetzt. Die Folge können unter anderem Kopfschmerzen, Ein- und Durchschlafprobleme sowie Sehstörungen und Schwindel sein. Betroffene leiden oft unter ganz unterschiedlichen Symp-tomen, für die auf den ersten Blick keine körperliche Ursache gefunden wird, da sich die Untersuchung meist auf organische oder orthopädische Gesichtspunkte beschränkt. Bei anhaltenden Beschwerden sollte daher immer auch an eine zahnärztliche Funktionsdiagnostik gedacht werden.
von Ulrike Pickert
aus ORTHOpress 2/2018
Fragen und Antworten
Kann die HWS Übelkeit auslösen?
Schwindel, der auch mit Kopfschmerzen und Übelkeit einhergehen kann, kann von der Halswirbelsäule (HWS) ausgehen.
Welche Symptome treten beim HWS-Syndrom auf?
Unspezifischen Beschwerden an der Halswirbelsäule sowie Symptome, die von der Halswirbelsäule ausgehen werden dem HWS-Syndrom zugesprochen, so z. B. Schmerzen am Hals, Nacken oder in den Schultern und vom Nacken oder der HWS ausgehende Kopfschmerzen.
Welche Medikamente helfen bei Verspannungen?
Gegen Schmerzen werden in der Regel Schmerzmittel verabreicht. Diese sollten im bestan Fall aber nur kurzfirstig eingenommen werden und helfen, ohne blockierende Schmerzen die Muskulatur z. B. durch Physiotherapie zu stärken.