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Leben & Gesundheit

Gedanken zur Praxisgestaltung

Two clinical doctors greeting an elderly couple at the hospital.

Zeige mir Deine Praxis und ich sage Dir, was für ein Arzt Du bist

Immer noch findet man heute Arztpraxen, in denen die Gänge dunkel und verwinkelt sind, die Räume schlecht beschildert und Patienten erst hin und her irren müssen, bevor sie das Sprechzimmer entdecken. Manche sind gar so beengt, dass Dritte Gespräche zwischen Patienten und der Arzthelferin am Empfang mitbekommen müssen. Auch die obligatorischen zerfledderten drei Kinderbücher ändern nichts an der Tatsache, dass es sich meistens um mit unbequemen Stühlen voll gestopfte, trostlose Räume handelt. Der Patient aber beurteilt „seinen“ Arzt zunehmend auch unter diesen Gesichtspunkten – nicht nur nach seiner Kompetenz!

„Die Kriterien, nach denen Patienten urteilen, beruhen zu einem wesentlichen Teil auf Signalen, die bewusst oder unbewusst von der Praxis insgesamt ausgehen. Dabei spielen die Praxisinhaber natürlich eine große Rolle, aber nicht minder wichtig sind zum Beispiel die Freundlichkeit des Personals, die Gestaltung der Praxis mit einer übersichtlichen Anordnung der Räume, die Klarheit der Abläufe und nicht zuletzt die Wirkung der Praxiseinrichtung“, weiß die Hamburger Architektin Dr.-Ing. Renate Weidemann, zu deren Spezialgebiet die Errichtung von Arztpraxen gehört. 

Individuelle Lösungen sind gefragt

Wird die Praxistür geöffnet, entscheiden mitunter die ersten Sekunden, ob Patienten sich wahrgenommen fühlen. Ein heller, freundlicher Raum, ein offener, klar gegliederter Empfang gehören genauso dazu wie zugewandtes, aufmerksames Personal. „Vielfach glichen sich in den letzten Jahren die Praxen wie ein Ei dem anderen“, so Frau Dr. Weidemann. „Ein einmal erprobtes Konzept wurde immer wieder angewandt ohne Rücksicht darauf, ob dies im Einzelfall auch der vorhandenen Bausubstanz sowie den Bedürfnissen der Mitarbeitenden und Patienten gerecht wurde.“ Diese Stereotypie möchte sie ändern. „Damit ein gutes Klima in einer Praxis herrscht, müssen alle Abläufe aufeinander abgestimmt sein. Dazu sind ganz individuelle Lösungen erforderlich, die je nach baulichen Voraussetzungen, Fachrichtung, Praxisschwerpunkt und Patientenklientel ganz unterschiedlich ausfallen können. Die ‚Standardpraxis für alle Fälle‘ sollte es nicht mehr geben.“ Zu Klarheit und Übersichtlichkeit gehören aber auch Faktoren wie Beleuchtung, Beschilderung, Belüftung und leichter Zugang für Gehbehinderte oder ältere Menschen. 

Im Wartezimmer Stress abbauen

Frau Dr. Weidemann: „Neben dem Empfang, der ‚Visitenkarte‘ einer Praxis, spielt für Patienten natürlich die Gestaltung und Einrichtung des Wartezimmers eine große Rolle. Unabhängig davon, dass sich niemand gerne dort aufhält, sollte die Zeit dort doch so angenehm wie möglich gestaltet werden.“ Dazu sollte es nach den Bedürfnissen der Wartenden ausgerichtet sein und dabei helfen, Angstgefühle abzubauen, sich zu entspannen und abzulenken. Zu den Grundbedürfnissen der Patienten zählen – neben einer möglichst kurzen Verweildauer – vor allem das nach einem „eigenen Revier“. Das bedeutet, dass der Wartebereich nicht dicht an dicht mit Stühlen angefüllt sein darf und dass die Stühle bequem, rückengerecht und möglichst mit Armlehnen, die mehr Abstand bieten, ausgestattet sein sollten: Enge bedeutet Stress, und der kann vermieden werden. Zudem müssen die Warteräume hell und freundlich sein und natürlich über Tageslicht verfügen. Frau Dr. Weidemann weiß aus Erfahrung, dass es sich lohnt, den Wartebereich eher großzügig zu gestalten. 

Sprechzimmer sind Orte der Kommunikation

Kernbereich einer jeden Praxis sind natürlich das Sprech- bzw. das Behandlungszimmer. Hier fokussiert sich die Arzt-Patienten-Beziehung. Die Gestaltung dieser Räume erfordert im Vorfeld immer viele Überlegungen. In Gesprächen mit den Praxisinhabern erörtert Frau Dr. Weidemann die individuellen Schwerpunkte. Auf dieser Grundlage kann dann die optimale Lösung erarbeitet werden. Manchmal muss ein Kompromiss gefunden werden zwischen dem persönlichen Stil und den Bedürfnissen der potenziellen Patienten. Frau Dr. Weidemann hilft den Ärzten dabei, die Praxis mit den Augen der Patienten wahrzunehmen und aus deren Sicht zu gestalten. Primär den Nutzen der „Kunden“ im Auge zu haben – nicht nur bezogen auf die reine ärztliche Tätigkeit, sondern auch auf die Gestaltung des gesamten Umfeldes –, ist für manche Ärzte noch ein neuer Gedanke. 

Exakte Planung zahlt sich langfristig aus

„Mit der Grundrissgestaltung einer Praxis werden Arbeitsabläufe in der Regel für viele Jahre festgelegt. Auch die Innengestaltung wird man nicht alle paar Jahre ändern können“, erklärt Frau Dr. Weidemann. „Es lohnt sich daher, bei der Planung größte Sorgfalt darauf zu verwenden und kompetenten Rat einzuholen. Fehler in dieser Frühphase lassen sich später oft nur noch schwer korrigieren. Oberstes Ziel bei der Planung einer Praxis – sei es Neubau oder Umgestaltung bestehender Räume – ist die Befriedigung der Bedürfnisse von Patienten, MitarbeiterInnen und Ärzten. Nur so wird garantiert, dass alle sich langfristig wohl fühlen und sich gerne in den Räumen aufhalten – und Patienten sogar gern wiederkommen.“ 

aus ORTHOpress 1 | 2002

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.