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Leben & Gesundheit

Darf’s ein bisschen mehr sein?

Woman floating on a white inflatable in swimming pool in a pink bikini. She is tanned in turquoise water wearing a sun hat.

Der Mythos Bikinifigur

„I wish they all could be California girls“, klang es sehnsüchtig in den Sechzigern. Hinter den besungenen kalifornischen Mädels verbarg sich nichts anderes, als was Großteile der Weltbevölkerung auch heute noch damit assoziieren und was zum Inbegriff eines scheinbar über Jahrzehnte unverändert gültigen Schönheitsideals geworden ist: knackige, appetitlich braune, glatte Frauenkörper, quasi nackt – und doch auf zwei Körperebenen von einigen wenigen Zentimetern jeweils textil verhüllt. – Schon der Klang hat etwas Reizvolles oder doch zumindest Neckisches: „Bikini“. Tatsächlich verbirgt sich dahinter – historisch gesehen – ein Politikum, denn benannt ist der Bikini nach dem Atoll in der Ralikgruppe der Marshallinseln – nicht etwa, weil die dortigen braunen Inselschönen, wie man uns auch heute noch in anzüglich-kitschigen Billigstreifen „weiß“-machen will, einen solchen bereits getragen hätten; zufälligerweise zeitgleich mit den damals auf dem Südseeatoll erfolgten Atombombenversuchen kam der zweiteilige Badeanzug für Damen auf, der (obwohl ja die entscheidenden Hüllen gar nicht gefallen waren) mit der gleichen moralischen Entrüstung betrachtet wurde wie die Atombombenversuche auf „Bikini“, das nun weltbekannt geworden war, allerdings anders als die „Sprengkraft“ des Zweiteilers nur allzu bald als Pate und als solches wieder in Vergessenheit geriet …

Dieser Spannungszustand zwischen Zeigen und Verbergen macht offenbar den eigentlichen, historisch überdauernden Reiz des Bikinis aus. Zwar entzückt bekanntlich ein schöner Rücken und auch ein hübscher Nabel zieht sicherlich Blicke auf sich. Doch sollte man vor allem die männliche Ästhetik nicht allzu sehr überschätzen: Busen und Popo bzw. Schambereich sind nun einmal die primären, sexuell wirkenden Attribute einer Frau. Das Mehr an Reiz des Bikinis gegenüber dem Einteiler etwa liegt also keineswegs in der größeren Nacktheit als solcher, sondern vielmehr in der Reduktion auf das Verbergen des Wesentlichen mit einem permanent appellativen Charakter: „Ich zeig dir, was ich dir nicht zeige.“ Pure Nacktheit – nicht nur in Sauna und am FKK-Strand – wirkt demgegenüber oft reizmindernd; das bestätigt nicht zuletzt der anhaltende Boom zu Tatoos und Piercing. Der Bikini, als dekadente Koketterie unserer Zeit, also verletzt keine Tabus, ganz im Gegenteil: Er erinnert vielmehr an sie und hält sie dadurch am Leben, er suggeriert Schamgrenzen, die längst überschritten sind, und eröffnet dadurch in einer überstimulierten Sexmuffel-Gesellschaft wieder einen Bereich der Spekulation und Fantasie. Auch bei Männern, die den Einteiler vehement favorisieren, ist übrigens das „Bikini-Prinzip“ wirksam, die Spekulation hier nur eine bewusst subtilere.

Auf diesem Hintergrund erklärt sich auch eine Art Wellenbewegung in der modischen Entwicklung des Bikinis, dessen Entdeckung übrigens wegbereitend für den weltweiten Ruhm des „Playboys“ geworden ist und ohne den die gesamte Pin-up-Kultur undenkbar gewesen wäre. In den Anfängen, die ziemlich lange, bis in die klassische (Sean Connery-)Bond-Ära hinein wirkten, erinnerten vor allem die Höschen in ihrer den Oberschenkelansatz verhüllenden und bis zur Taille hinauf reichenden Form doch noch sehr an die damaligen Bade-Kleider(!). Mehr bzw. weniger war damals schlicht nicht drin. Das Skandalon bestand also letztlich in einer sich dem heutigen Betrachter als ziemlich unvorteilhaft darbietenden, von oben wie unten eingezwängten Fleisch-Haut-Ringwurst auf Höhe des oberen Rippenbogens. Eine Monroe im String-Tanga! Unvorstellbar, wenn nicht sogar ein wenig komisch. Denkbar schon eher bei der Andress, deren zwar breites, aber durchaus muskulös-sehniges Becken immer noch von einem shortsähnlichen Unterteil umspannt war. „Evolutionär“ gesehen aber kam es über viele Jahre hinweg schließlich zu einer steten Verknappung der Bestandteile des Bikinis mit einem gewissen Höhepunkt in den Achtzigern. MAD witzelte hierzu in einer Persiflage auf die damalige Erfolgsserie „Drei Engel für Charlie“. Charlie nämlich verwunderte sich im Kultmagazin darüber, welche Krawatte wohl für die Zweiteiler seiner fast nie mit Blei scharfschießenden drei Engel hatte zerschnitten werden müssen … Spätestens seit dieser Zeit galt dann auch der flache Bauch als selbstverständliches, unhintergehbares Attribut der Bikini-Trägerin.

In den Neunzigern kam es, insofern es nichts weiter zu verknappen gab, folgerichtig zu einer Rückbesinnung auf die alten Formen, teils in starker und bewusster historischer Anlehnung, teils neue Akzente setzend. Alle Varianten aber nach dem Motto: Mehr ist mehr, was für die Models selbst allerdings gar keine Bedeutung mehr hatte. Und in diesem Sommer sind, will man den Modeschöpfern Glauben schenken, nur noch solche Bikinimodelle angesagt, mit denen sich die Trägerin äußerst bedeckt hält: unten herum entweder an Taucherbadehosen angelehnte Hot-Pants oder eher verspielt und nicht zuletzt kaschierend die aktuellen Pareo-Bikinis, die zwar endlich das lange Hüftspeck-Einwickel-Strandtuch ablösen, aber immer noch deplatziert wirken, so als wolle die Trägerin mit ihrem Minirock eher in die Disco denn baden gehen. Als Oberteile stehen Bandeau (Achtung! wirklich nur für ganz Schmal- und Flachbrüstige geeignet, da sonst das Dekolletee wie ein in die Breite aufgegangener Hefeteig wirkt), das Top mit breiten (Schnallen-)Trägern, der Tankgirl-Look, wobei in das hautenge Hemdchen ein stützendes Unterbrustgummi eingearbeitet ist, und das Netztop zum Drüberziehen und Aufpeppen des „normalen“ Bikinis zur Verfügung. 

So vielgestaltig der Bikini in seiner heutigen modischen Varianzbreite und seiner historisch bedingten Formvielfalt auch ist, würde man sich doch allgemeinverbindlich auf ein Ur-Schnittmuster in den Köpfen der meisten Zeitgenossen einigen können, auf eine Art Klassiker zwischen den Extremen, den die Bikini-Frau auch so oder so ähnlich neben anderen Modellen besitzt und auch nach wie vor trägt: nämlich weder linien- noch quadratartige Gebilde, sondern die (erwünschten) Körperrundungen ausreichend und zugleich ausreichend knapp umspannende Dreiecke. Und genau mit dieser Grundform ist eine bestimmte, gedachte Körperform der Frau verbunden: die sog. Bikinifigur, die man aber weder der Monroe (obwohl eine der ersten und bekanntesten öffentlichen Bikini-Trägerinnen!) noch ernstlich der Vielzahl an Models der Jetzt-Zeit bescheinigen würde, deren Körperhervorhebungen sich oft auf die scharf nach vorne gerichteten Beckenknochen beschränken. Gleichwohl löst das Zauberwort bei nahender Saison bei den meisten Frauen geradezu panische Maßnahmen der Gewichtsreduktion aus. Dabei ist mit Bikinifigur letztlich nicht ein (wie auch immer historisch bedingtes) Körperideal selbst gemeint, sondern eine dem imaginären Grundschnitt gemäße Figur. Im Grunde eine Frage der Geometrie! Zwischen den Auswüchsen des Barbie-Schreckens und unbekümmerter Zur-Schau-Stellung formloser Fleisch- und Fettmassen, denen ein Einteiler tatsächlich zu mehr Kontur verhilfe, gibt es eine gesunde Mitte, die ein angstfreies und vielleicht sogar lustbetontes Tragen des Bikinis ermöglicht. Dazu ein paar Gedanken und Anregungen für Bikini-Anwärterinnen, die beim Wort „Bikinischnitt“ nicht gleich ans Skalpell denken:

Schlankheit, aber nicht um jeden Preis! Dünn zu sein heißt noch lange nicht eine schöne Figur, d.h. gute, weibliche Körperporportionen zu haben. Eine in sich stimmige Erscheinung in Größe 40 ist oft netter anzusehen als gemarterte Gerippe, die das Fettgewebe an entscheidender Stelle eingebüßt haben, womöglich mit verbliebenen Problemzonen und durch Abmagerungskuren unansehnlich gewordener Haut.

Die Bikini-Figur ist, wie gesagt, ein relativer Begriff: das Erscheinungsbild des Körpers in Relation zum Bikini. Modelle daher nie nach ihrem modischen Wert aussuchen, sondern im Hinblick auf individuelle Gegebenheiten. 

Realitätssinn bewahren. Im Bedarfsfall lieber für den jeweils üppiger geratenen Körperteil auch tatsächlich eine Nummer größer nehmen, als stur am 90-60-90-Glauben festhalten.

Statusbestimmung und selbstkritische Ursache-Wirkungs-Analyse. Vorzüge sollten ins rechte Licht gesetzt, Nachteile dürfen kaschiert werden, aber niemals sollte man versuchen, Schwachstellen derart zu kompensieren, dass dadurch andere umso deutlicher hervortreten (Häufig zu beobachtendes Beispiel: Ein bis weit in den Schritt hinauf gezogenes Bikinihöschen soll die Beine optisch verlängern und die Taille schmaler erscheinen lassen. Unerwünschter, nicht bedachter Nebeneffekt: Auch das Gesäß, das nun seitlich hervorquillt, verlängert sich dadurch, wirkt auch bei schlanken Frauen überdimensioniert und weicht vor allem von der ästhetischen Grundform – runde(!) Hinterbacken, nicht längliche – ab.)

Zur strategischen Aufwertung der eigenen Bikinifigur kann die Beachtung einiger geometrischer Grundsätze hilfreich sein. Nicht zufällig ist die klassische Grundform des Bikinis der Triangel. Er nämlich entspricht in besonderer Weise dem Ideal der proportionierten Körperrundungen der Bikini-Frau. Man zeichne zum Vergleich einmal ein gleichseitiges Dreieck in einen Kreis, und zwar so, dass die eine Grundseite genau auf der Kreishälfte liegt. Dagegen halte man ein nicht gleichschenkliges Dreieck, dessen Grundseite an der Kreistangente liegt – dann wird augenscheinlich, wovon hier die Rede ist. Das Runde ist also nicht als solches rund, sondern optisches Produkt zweier geometrischer Figuren. Gleiches gilt für die Relation der jeweiligen Dreiecke zueinander, von Ober- und Unterteil. Noch ein Beispiel: Über Kreuz verlaufende Träger „zentrieren“ eine in die Breite gehende Oberweite – verbreitern zugleich aber auch Schultern und Becken … 

Farben und Muster bewirken ebenfalls „geometrische“ Effekte. Doch sollte man hier nicht bei den Regeln „Schwarz macht schlank“ bzw. „Längsstreifen machen schlank“ stehen bleiben.

Nicht umsonst haben neben Schlankheits-Industrie und Fitnessstudios vor allem auch Kosmetiksalons, Hautärzte und Sonnenstudios Hochkonjunktur in der heißen Phase des Bikinis. Es geht schließlich um „nackte Tatsachen“ und damit leider auch um eine Vielzahl zu überwindender ästhetischer Stolpersteine. Unangefochtener Spitzenreiter: die Cellulitis, gefolgt von Op-Narben, Schwangerschaftsstreifen, Leberflecken, Bartstoppeln im Schambereich oder gar Pickel am Gesäß … Eine gepflegte Haut und mäßige Körperbräune wirken wie ein zusätzlich angezogenes Kleid (aber bitte ohne „Nähte“), wie ein Schutzanzug gegen als unschön empfundene Irregularitäten. 

Alles „hängt“ mit allem zusammen: „Body-Lifting“ durch eine gute Körperhaltung. Zwar bleibt ein Busen- und Popo-Tonus illusorisch und bleiben die Gesetze der Schwerkraft angesichts der mehr oder weniger ausschließlich aus Fettgewebe – und eben nicht aus Plastik – bestehenden Rundungen weiterhin in Kraft, aber ein guter Ganzkörper-Spannungszustand wirkt Wunder gegen (vermeidbare) Hängebrüste und -bäuche. – Die Laufstegschönen kommen ja auch nicht plattfüßig einhergetrampelt, sondern tragen zur Unterstützung ihrer aufrechten Haltung sogar hochhackiges Schuhwerk zum Bikini. Pumps am Strand allerdings – sicherlich eine Maßnahme, bei der man baden gehen dürfte.

Im Zeitalter zunehmender Sterilität, in Zeiten, wo wir selbst beim türkischen Frisch-Gemüse-Einzelhändler unsere Auberginen in Folie eingeschweißt vorfinden, wird die Frage „Darf’s ein bisschen mehr sein?“ vom Standpunkt eines abstrakten, in den meisten Köpfen herumspukenden Figurideals eindeutig verneint werden. Die Vakuumfigur, komprimiert und drall verpackt, ohne Dellen und Luftblasen, wird mit Sicherheit noch lange Vorreiter bleiben. Doch ein bisschen Mehr an Selbstbewusstsein, an natürlichem Körperbewusstsein und Einfallsreichtum bei der optischen Kreation der eigenen Bikinifigur wäre vielleicht hilfreich, die Zeit bis zum nächsten Paradigmenwechsel entspannter zu überstehen.

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.

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