Suche
0
Anzeige
Behandlungsmethoden

Elektrische Impulse gegen Schmerz

One businesswoman portrait suffering bad back ache working from home

SCS gibt Schmerzpatienten neue Hoffnung

Ein Gefühl, welches jedermann kennt, ist der Schmerz. Wie Juckreiz oder die Empfindung von Kälte und Hitze begleitet er uns ein Leben lang. Und das ist auch gut so – denn Schmerz ist ein Warnsignal. Es weist uns darauf hin, wenn an irgendeiner Stelle mit unserem Körper etwas nicht stimmt. Ob wir uns mit dem Hammer auf den Daumen schlagen oder uns im Sommer einen rostigen Nagel in den nackten Fuß treten: Unsere Nerven senden sofort und unmissverständlich ein Schmerzsignal ans Gehirn. Nicht, um uns zu bestrafen, sondern zu verhüten, dass – von uns unbemerkt – ein größerer, vielleicht ernsthafter Schaden eintritt. Haben wir dann die verstauchte Stelle gekühlt oder die Wunde entsprechend versorgt, so verschwindet in aller Regel auch der Schmerz.

Rund 1,5 Millionen chronisch Schmerzkranke in Deutschland

Bei manchen Menschen jedoch gerät der Schmerz außer Kontrolle: Sie haben ständig Schmerzen, obwohl die eigentliche Ursache vielleicht schon lange nicht mehr besteht oder aber nicht mehr ursächlich zu therapieren ist. An einer solchen chronischen Schmerzkrankheit leiden in Deutschland etwa 1,5 Millionen Menschen. Besonders groß ist dabei unter ihnen die Anzahl derer, die unter unkontrollierbaren Rücken- und Ischiasschmerzen leiden. Ohne eine entsprechende Behandlung ist der weitere Lebensweg für viele von ihnen vorgezeichnet: Berufsunfähigkeit, soziale Isolation und der ständige Leidensdruck führen nach einer Odyssee durch verschiedenste Arztpraxen und Krankenhäuser nicht selten zum Totalverlust von Selbstwertgefühl. Am Ende steht der sogenannte „austherapierte“ Patient, der oft bereits in psychotherapeutischer Behandlung ist. Aber wie entstehen solche chronischen Rückenschmerzen? „Häufige Ursache ist eine Verschlimmerung nach einer oder mehreren fehlgeschlagenen Bandscheibenoperationen“, weiß Dr. Johan Moreau, Neurochirurg an der Aachener Itertal-Klinik. Dieser von den Amerikanern „Failed Back Surgery“ („misslungene Rückenoperation“) genannte Zustand ist aufgrund einer lokalen Nervenschädigung oder auch narbigen Verwachsungen nur selten behebbar. Dr. Moreau: „Die meisten der Patienten sind auf die Gabe hochdosierter Schmerzmittel angewiesen. Aber selbst wenn dadurch eine Linderung zu erreichen ist, so sind die Nebenwirkungen in der Regel hoch. Depressionen, Suchtbildung und ein ständiges Leben von einer zur anderen Tablette sind Begleiterscheinungen, die in ihren Auswirkungen manchmal so schlimm werden können wie der Schmerz, der eigentlich damit bekämpft werden sollte. ­Auch erlaubt die sedierende Wirkung solcher Medikamente nur in seltenen Fällen eine Wiedereingliederung in den aktiven Erwerbsprozess.“

SCS-Rückenmarksstimulation überlagert den Schmerz

Seit einigen Jahren nun befasst sich die Medizin mit der Ausschaltung von Schmerz durch elektrischen Strom. Ähnlich dem Prinzip eines Herzschrittmachers sollen feinste elektrische Impulse die natürlichen Reizleitungen beeinflussen. Ein solcher „Schmerzschrittmacher“ wird als SCS („Spinal Cord Stimulation“, zu deutsch Rückenmarksstimulation) bezeichnet.

In einem kleinen Eingriff unter örtlicher Betäubung wird dabei die nur rund 2 mm dünne Elektrode direkt an die entsprechende Stelle an die Hinterseite des Rückenmarks herangeführt. Durch ein batteriebetriebenes Steuergerät erhalten die Elektroden dann ein dem individuellen Schmerzempfinden des Patienten angepasstes Signal.

„Die Wirkungsweise muss man sich in etwa so vorstellen, wie wenn man sich eine schmerzende Stelle reibt, an der man sich gestoßen hat“, erklärt Dr. Moreau. „Durch das Reiben wird das Schmerzgefühl überlagert – ebenso tritt bei der Rückenmarksstimulation das Schmerzgefühl durch den elektrischen Impuls in den Hintergrund.“ Die richtige Lage der Elektroden stellt der Arzt mittels einer Probestimulation fest. So können unter Mithilfe des Patienten die optimale Elektrodenlage sowie die Einstellungen für Impulsstärke und –frequenz festgelegt werden.

Die endgültige Implantation erfolgt erst nach einer Probephase

Nach dem Legen der Elektroden wird in einer wenige Tage andauernden Testphase festgestellt, ob durch die SCS eine dauerhafte Schmerzlinderung erreicht werden kann. Erst dann wird der nur etwa streichholzschachtelgroße Impulsgeber in die Bauchdecke des Patienten eingepflanzt. Manchmal zeigt sich schnell, dass die Therapie zwar hilft, aber dennoch nicht ganz die nötige Reizintensität aufgebracht werden kann. Insbesondere bei schweren Rückenschmerzen kann es daher sinnvoll sein, nicht nur eine, sondern zwei Elektroden an verschiedenen Stellen zu positionieren.

Lithium-Batterien erlauben lange Lebensdauer

Dr. Moreau: „Die Rückenmarksstimulation durch elektrischen Strom ist eine hochwirksame Schmerztherapie, die eigentlich bereits seit Jahren bekannt ist. Die Problematik lag in der Vergangenheit jedoch darin, dass die für einen jahrelangen sicheren Betrieb des Schmerzschrittmachers notwendigen Batterien so groß und schwer waren, dass an eine Implantation des Impulsgebers nicht zu denken war.“ Anders ausgedrückt: Mit den früher verfügbaren Batterien konnte bei akzeptabler Größe der Schmerz nur für wenige Monate in Schach gehalten werden – zu schnell wurde ein Austausch der entladenen Stromlieferanten notwendig. Mit den Lithium-Ionen-Batterien der neuesten Generation ist das nun anders: Sie erlauben je nach Spannung und Impulsdauer des zur Überlagerung des Schmerzes notwendigen Signals eine Betriebsdauer von etwa 2-5 Jahren. Danach wird der Impulsgeber in einem kleinen Eingriff gegen die dann aktuellste Version ausgetauscht.

Steuergerät erlaubt dem Patienten Einstellung der Stromstärke

Nach der Implantation kann der Patient dann – je nach Bedürfnis der Schmerzlinderung – die Stimulation an- oder abschalten und Impulsdauer sowie Stromstärke einstellen. Dies erfolgt mit Hilfe eines kleinen Steuergeräts, welches bequem in der Hosentasche getragen werden kann – die Außenwelt bekommt davon kaum etwas mit.

„Dennoch kommt es vor, dass mit dem Einsatz von Katheterelektroden nicht die gewünschte Schmerzlinderung (oder diese nicht dauerhaft) erreicht werden kann. Dies kann zum einen an der Art der nötigen Stimulation, zum anderen an der Möglichkeit des Verrutschens der Elektroden liegen. Hier bietet sich alternativ der Einsatz von Flächenelektroden an. Diese werden in einem kleinen mikrochirurgischen Eingriff direkt auf das Rückenmark aufgelegt und erreichen mit ihren Impulsen so eine breitere Stimulation“, erläutert Dr. Moreau. Die Flächenelektroden werden ansonsten genau wie auch die Katheterelektroden an den Impulsgeber angeschlossen, ohne dass zusätzliche Geräte implantiert werden müssen.

Gute Ergebnisse auch mit Morphinpumpe

Eine andere Methode, welche bei sogenannten „austherapierten“ Patienten mit gutem Erfolg zur Anwendung kommt, ist die Verabreichung von Morphium mittels einer Medikamentenpumpe. Dr. Moreau: „Hierbei wird über einen winzigen Katheter eine einstellbare Menge Morphium über eine computergesteuerte Pumpe direkt in den Liquor (die Rückenmarksflüssigkeit) gegeben. Wie beim Schmerzschrittmacher wird die vergleichbar große Pumpe im Bauchraum implantiert.“ Der Vorteil gegenüber einer oralen oder intravenösen Gabe von Schmerzmitteln ist hier, dass die Dosierung wesentlich feiner erfolgt: Der Wirkstoff wird dort appliziert, wo er auch tatsächlich benötigt wird. Patienten mit Morphinpumpe kommen daher meist mit einer geringen Dosis aus. Viele von ihnen können so nach einer langen Phase der Zurückgezogenheit wieder ein normales Leben führen und nicht selten wieder arbeiten gehen.

Fazit: Mit der SCS, aber auch mit dem gezielten Einsatz von Schmerzmitteln durch eine Medikamentenpumpe ist man so heute in der Lage, den Medikamentenverbrauch zu reduzieren und die Lebensqualität vieler Patienten deutlich zu verbessern.

aus ORTHOpress 03|2002
Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.