Suche
0
Anzeige
Rücken

Konzertierte Aktion gegen den Schmerz

A man holds back. Pain in the lower back. Andros. Sore point highlighted in red. Closeup. Isolated on white.

Die Leidensgeschichte von Heinz Bendorf begann vor 8 Jahren. Beim Heben einer Wasserkiste verspürte er einen plötzlichen Schmerz im Lendenwirbelbereich. Zunächst wollte er diesen ignorieren, aber als sich die Schmerzen nicht bessern wollten, suchte er einen Hausarzt auf. Dieser ließ eine Computertomografie anfertigen. Diagnose: Bandscheibenvorfall. Dennoch war der Befund zu gering ausgeprägt, als dass eine Begründung für eine Operation vorlag. Von Hausarzt und Radiologen nach Hause entlassen, quälten ihn während der folgenden Tage zunehmende Rückenschmerzen, die auch in die Beine ausstrahlten. Schmerzmittel erhielt er zunächst nicht. Über die Empfehlung seines Hausarztes, sich ein paar Tage Bettruhe zu gönnen, konnte er gar nicht lachen …

„Von Bettruhe konnte keine Rede sein. Ich habe mich nächtelang im Bett hin und her gewälzt“, sagt der Anlagenbauer heute. Nach ungefähr drei Wochen stellten sich zusätzlich starke Kopfschmerzen im Nacken, später im gesamten Kopfbereich ein. Ihm war übel, es kam zu Schwindelattacken und quälenden Ohrgeräuschen. Diverse Therapieversuche mit Schmerzmedikamenten blieben erfolglos und führten zu zusätzlichen Magenproblemen. Auch die dann folgende jahrelange Odyssee von Arzt zu Arzt, die Bendorf hinter sich brachte, konnte seine Schmerzen nicht beseitigen – am Ende stand im Frühjahr 2001 die Berufsunfähigkeit.

Kein Einzelfall, wie Prof. Dr. Joachim Nadstawek, Leiter der Schmerzambulanz der Universitätsklinik Bonn, weiß: „Ca. 80% aller Einwohner der Bundesrepublik leiden in ihrem Leben irgendwann einmal unter Rückenschmerzen. Die Ursachen sind vielfältig. Bandscheibenvorfälle, Osteoporose, Fehlhaltungen oder Verletzungen können zu einem Teufelskreis aus Schmerz, Zunahme einer muskuloskelettalen Dysbalance und erneutem Schmerz führen, der dann bei nicht wenigen Menschen in eine Chronifizierung mündet.“

Genau hier setzt das Konzept der Bonner Schmerzambulanz an. Patienten, die sich in der Schmerzambulanz behandeln lassen wollen, erhalten nach einem ersten telefonischen Kontakt einen Gesprächstermin. In diesem Erstgespräch wird der Patient von erfahrenen Fachärzten untersucht. Bereits bestehende Untersuchungsergebnisse und Röntgenbilder werden gesichtet; danach wird erörtert, welche Untersuchungen noch benötigt werden. Sobald diese abgeschlossen sind und eine spezielle Schmerzdiagnose gestellt wurde, wird zusammen mit dem Patienten ein individuelles Behandlungskonzept besprochen. Die große Bandbreite der therapeutischen Möglichkeiten, derer sich die Schmerzambulanz Bonn bedient, umfasst sowohl bewährte Methoden, wie die Gabe von Medikamenten oder eine umfassende krankengymnastische Behandlung, als auch effektive innovative Verfahren wie die Radiofrequenzläsion oder die Anwendung von Botulinus. Bei Bedarf erhalten die Patienten Unterstützung durch eine begleitende Gesprächstherapie.

„Die Radiofrequenzläsion“, so Prof. Nadstaweks Mitarbeiter Dr. Wartenberg, „ist eine spezifische Wärmebehandlung, bei der über eine dünne Nadel ein gepulster Strom an den betroffenen Nervenstrukturen im Wirbelsäulenbereich zugeführt wird. Dies bewirkt eine weitgehende Schmerzfreiheit, ohne die Nerven zu zerstören.“ Die Therapie mit Botulinustoxin ist z.B. bei Spannungskopfschmerzen sehr effektiv und wird in Deutschland nur von wenigen Zentren angeboten. Dr. Wirz aus dem Team der Schmerzambulanz bemerkt dazu: „Den Schmerztherapeuten stehen heute gute, nebenwirkungsarme Medikamente und zahlreiche minimalinvasive Verfahren zur Verfügung. Dennoch werden diese in der Regel noch zu wenig genutzt.“

Neben Rückenschmerzpatienten behandelt das Team von Professor Nadstawek Patienten mit Kopf- und Gesichtsschmerzen, tumorbedingten Schmerzen oder so genannten neuropathischen Schmerzen, Schmerzen also, die durch Schädigung von Nerven entstehen können, z.B. bei Erkrankungen wie Diabetes mellitus. Tumorschmerzpatienten können ebenso von den mini­mal­invasiven Verfahren profitieren, so dass sie die Schmerzmedikamente reduzieren können – und damit die Nebenwirkungen wie Verstopfung oder Müdigkeit. Auch Patienten, die unter der gefürchteten Trigeminusneuralgie leiden, behandelt Professor Nadstawek mit der Radiofrequenzläsion im Kopfbereich.

Die Schmerzambulanz ist eine spezialisierte Fachabteilung der Klinik für Anästhesiologie der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Somit stehen ihr alle, breit gefächerten Möglichkeiten einer Universitätsklinik offen. Auf eine gute interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fachkliniken der Universität legt Professor Nadstawek Wert. Dies ist z.B. in der Behandlung von Rheumakranken von Vorteil, die gemeinsam mit der Rheumatologischen Ambulanz betreut werden. Rheumatische Erkrankungen verursachen neben den enormen Schmerzen häufig eine Immobilisation und betreffen oft ältere Patienten. Schon im akuten Schub kann diesen Patien­ten geholfen werden. Apropos Schmerz im Alter: Dieser ist neben Rücken-, Kopf-, Gesichtsschmerzen eines der Themen, denen sich die Schmerzambulanz besonders widmet. Gerade alte Menschen leiden häufig unter chronischen Schmerzen – ein Problem, das von der Gesellschaft oft nicht wahrgenommen wird.

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.