Karbonfaserstifte in der Diskussion
Zu den besonders unangenehmen, weil bewegungseinschränkenden Krankheiten gehört heute ohne Zweifel die Kniearthrose. Dabei handelt es sich nicht mehr nur um eine Alterskrankheit: Auch bei Menschen diesseits der 50 ist eine beginnende oder fortgeschrittene Kniearthrose nicht so selten, wie man vielleicht annehmen sollte: Übergewicht und Bewegungsmangel, aber auch Überbelastung durch Extremsportarten und Sportunfälle führen zu immer jüngeren Patienten.
Was aber kann man tun, um eine einmal diagnostizierte Arthrose wirksam aufzuhalten? Der Gelenkersatz ist zwar in den letzten Jahren erheblich weiterentwickelt worden, aber immer noch kann ein „Versorgungsloch“ durch die begrenzte Lebensdauer einer solchen Prothese nicht ausgeschlossen werden. Immer größere Bedeutung kommt daher gelenkerhaltenden Maßnahmen wie z.B. dem Einsatz von Karbonfaserstiften zu. Was aber können diese Techniken wirklich leisten? Orthopress sprach in Hamburg mit Privatdozent Dr. Christian Tesch.
Herr Dr. Tesch, was bewirkt das Einsetzen der Karbonfaserstiftebei einer Arthrose?
Man geht davon aus, dass durch Einbringen von Karbonfaserstiften in die Bohrkanäle diese über einen langen Zeitraum hinweg offen gehalten werden können, um dadurch das Knorpelwachstum anzuregen. Das Grundprinzip, nämlich die so genannte „Pridie-Bohrung“, ist dabei bereits seit Jahren bekannt: Durch eine Bohrung bis in den Knochen hinein gelangen über das austretende Blut wichtige Boten- und Nährstoffe an die Oberfläche der beschädigten Gelenkoberfläche und regen dort die Neubildung von Knorpelmasse an. Diese Bohrungen verheilen jedoch in der Regel wieder sehr schnell – möglicherweise zu schnell, um einen wirksamen Knorpelaufbau zu ermöglichen. Durch den Einsatz der Karbonfaserstifte kann man sehr tief in den Knochen hineinbohren, viele Stammzellen mobilisieren und vermutlich lebenslang den Knochenkanal offen halten. Damit kann es lange zur Bildung des Ersatzknorpels kommen.
Die Karbonfasermethode gilt als besonders schneller Eingriff, nach dem der Patient rasch wieder auf den Beinen ist – dennoch muss dem Knorpel ja eine gewisse Zeit für die Regeneration eingeräumt werden. Wann zeigen sich die Erfolge des Eingriffs?
Ursächlich für den Erfolg ist die Einhaltung der Schonzeiten nach der Operation, um den Knorpelaufbau nicht durch zu frühe Belastung zu gefährden. Ich gehe hier erfahrungsgemäß von etwa 4 Wochen absoluter Schonung aus. Ab der vierten Woche kommt dann bis etwa zur zwölften postoperativen Woche eine Orthese zum Einsatz. Damit kann der Patient dann ohne Gehstützen gehen, weil der kranke Gelenkteil durch die Orthese ausreichend entlastet wird.
Wie groß sind die Chancen, danach ein schmerzfreies Leben führen zu können? Wird die Arthrose nicht in den allermeisten Fällen nach einer kurzen Zeit der Besserung weiter fortschreiten?
Der Einsatz der Karbonfaserstifte in der Medizin ist noch relativ jung. Wir arbeiten selbst derzeit noch an einer Auswertung der Ergebnisse von etwa 600 Patienten, um aussagekräftige Daten zu erhalten. Ob und wann die Arthrose weiter fortschreitet, hängt aber natürlich von vielen verschiedenen Parametern ab. Wie angegriffen war die Gelenkfläche zum Zeitpunkt des Eingriffs, wie die Qualität der noch vorhandenen Knorpelmasse? All diese Faktoren spielen eine entscheidende Rolle für die individuelle Prognose. Eine generelle Aussage im Sinne von: „nach diesem Eingriff werden Sie für viele Jahre schmerzfrei sein und keine Beschwerden mehr haben“, kann nur unseriös sein. Ob und wann ein solches Verfahren überhaupt zum Einsatz gelangen kann, muss immer im Einzelfall entschieden werden.
Aber der bloße Einsatz der Karbonfaserstifte beseitigt ja nicht die Ursache der Kniearthrose. Gibt es weiterführende Maßnahmen, um den Behandlungserfolg zu sichern oder zu verbessern?
Sinnvoll kann im Zusammenhang mit der Karbonfasermethode auch eine so genannte Umstellungsosteotomie sein. Viele Arthrosen beruhen ja auf einer Achsenfehlstellung der Extremität (O- oder X-Beine), wodurch es zu einer einseitigen Belastung einer Lauffläche des Gelenks kommt. Wenn man diese operativ beseitigt, so kann man damit sicherlich einem weiteren Fortschreiten der Erkrankung entgegenwirken und den Behandlungserfolg maximieren. In jedem Fall sollte jedoch zwischen einem solchen Eingriff und dem Einsatz der Karbonfaserstifte ein zeitlicher Abstand von mindestens sechs Wochen eingehalten werden.
Wenn jedoch alle diese Maßnahmen nicht zum Erfolg geführt haben: Kann einem solchen Patienten noch konservativ, d.h. gelenkerhaltend geholfen werden?
Der Einsatz der Karbonfaserstifte ist tatsächlich die „letzte Ausfahrt vor dem Gelenkersatz“. Wenn der Knorpelschaden dennoch größer wird, so dass zum Schluss der Knochen schmerzhaft aufeinander reibt, ist der Zeitpunkt für eine Endoprothese gekommen. Dies bedeutet heute aber nicht mehr das Ende aller Aktivität. Auch im Sinne einer optimalen prothetischen Versorgung bis zum Lebensende kann heute zunächst nur der Teil des Gelenks ersetzt werden, der auch verschlissen ist. Überdies können moderne Schlittenprothesen wie z.B. das Repicci-Knie minimalinvasiv eingebracht werden. Der besondere Vorteil besteht dabei in dem Umstand, dass die Kniescheibe nicht, wie bei der Implantation herkömmlicher Prothesen, zur Seite geklappt werden muss. So ist die Traumatisierung im Zuge eines solchen Eingriffs wesentlich geringer als noch vor wenigen Jahren und auch der Knochen muss für eine solche unikondyläre Schlittenprothese nur sparsam reseziert werden. Dies ist insbesondere im Hinblick auf eine spätere Revisionsoperation von großem Vorteil: Je mehr Knochen noch vorhanden ist, desto einfacher gestaltet sich das stabile Verankern der folgenden Prothese. Zudem unterliegt der Empfänger eines Repicci-Knies nicht den Einschränkungen hinsichtlich der Bewegungsmöglichkeiten, denen Patienten mit einer Totalendoprothese unterworfen sind.
Herr Dr. Tesch, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.