… und das Baby trainiert mit!
Im Wasser fühlen sie sich herrlich leicht. Das kann man von ihrem Leben an Land nicht gerade behaupten. Vorsichtig, fast ein bisschen unbeholfen – ausgestattet mit einer dicken Kugel – tapsen sie die Treppe runter, die in den Pool führt.
Kaum im Wasser legen sie los: Eins, Zwei, Drei, Vier. Fünf, Sechs, Sieben, Acht! Und das Atmen nicht vergessen! Das Wasser steht ihnen bis zum Hals, die Trainerin steht am Beckenrand und aus den Lautsprechern kommt irgendetwas Aktuelles, Tanzbares.
Je tiefer der Körper ins Wasser eintaucht, um so „leichter“ wird er. Ragt nur noch der Kopf aus dem Wasser, wiegt der Körper nur noch ein Zehntel seines ursprünglichen Gewichts. Gelenke und Sehnen werden also extrem entlastet.
Nach der Aufwärmphase, die Muskulatur und Kondition trainiert, wirft die Trainerin “Spaghetti“ ins Wasser. So werden die bonbonfarbenen Teile genannt, die bis dahin aufgetürmt am Beckenrand lagen. Es handelt sich um ungefähr ein Meter lange Schaumstoff-Schlangen, ungefähr so dick wie ein Nutella-Glas. Diese „Spaghetti“ sind Alleskönner. Sie sind Gleichgewichtshalter, Stütze, Spielzeug und Werkzeug. Sie sind außerdem ideal für Übungen zu zweit.
Die Atmosphäre ist freundschaftlich und entspannt. Die Teilnehmerinnen sitzen nicht nur im selben Pool – sie sitzen auch alle in einem Boot. Zumindest was eine Sache betrifft: Sie alle bekommen im Frühjahr ein Baby. Sie sind also auch ohne ausgeklügelte Paar-Trainings-Einheiten niemals so richtig allein.
Übrigens: Das Baby trainiert mit. Die Babys sporttreibender Mütter gelten als besonders „fit“. Sie profitieren von der Sportlust ihrer Mamas und sollen sich besonders gut entwickeln. Konsequenzen des „Co-Trainings“ der Babys: Viele haben ein größeres Herz, bilden mehr Muskelglykon (Kraftstoff für körperliche Arbeit), haben ein stabiles Herzkreislaufsystem und einen aktiven Stoffwechsel.
Auch wichtig für das Wohlbefinden der Babys: Die gute Laune der sporttreibenden Mütter. Sport hat oft positive Auswirkungen auf das Körper- und Selbstwertgefühl. Und das wirkt sich schon auf das Ungeborene aus … Fühlt sich die Mutter gut, freut sich das Baby.
Zwischendurch erklärt die Trainerin, welche Muskeln man zu welchem Zeitpunkt spüren sollte. Sie rät zu Pausen und hat einen Blick für Frauen, die sich überfordern. Die eigenen Grenzen besser kennen lernen und akzeptieren. Die Trainerin macht Mut, genau das zu tun. Denn Übereifer tut weder den Frauen noch den Babys gut!
Viele Frauen stehen auch und gerade in der Schwangerschaft unter großem Druck. Es ist nicht nur die Ungewissheit, was sie nach dem Tag X erwartet … Teilweise regelrecht kontraproduktiv ist die Erwartungshaltung in der näheren Umgebung. Die ist natürlich immer sehr unterschiedlich. Doch gibt es den Trend zur „unschwangeren Schwangeren“. Schwanger sein ja. Aber bitte fit, schön und am besten so lange wie möglich schlank.
Immer wieder versuchen Frauen, ihr „normales Leben“ so lange wie möglich zu konservieren. Im Job und auch im Privatleben – auf keinen Fall zur Ausnahme werden … Besonders für extrem ehrgeizige Frauen scheint das Mithalten mit den nicht-schwangeren Kolleginnen an erster Stelle zu stehen. Diäten in Schwangerschaften, das Festhalten an den gewohnten Ritualen ist interessanterweise genauso häufig zu beobachten wie übervorsichtiges Handeln. Beides ist in einer Extremform ungesund.
Wünschenswert ist eine gesunde Mischung aus Wissen und Intuition. Eine Mischung, die einem erlaubt, Dinge zu tun, die man gerne tun möchte, aber auch auf Dinge zu verzichten, die schädlich sind. Die meisten Schwangeren wissen intuitiv, was ihnen gut tut. Wer also in der Schwangerschaft Lust hat auf Sport, sollte Sport machen. Fitnesstraining in der Schwangerschaft ist gesund, wenn es sich um eine normal verlaufende Schwangerschaft handelt. Hebammen und Gynäkologen raten, die gewohnte Sportart weiter zu trainieren, solange sich die Frauen gut dabei fühlen. Das gewohnte Pensum sollte man allerdings etwas reduzieren. Meistens im letzten Schwangerschaftsdrittel wechseln Frauen in spezielle Kurse für Schwangere.
Gefährliche Sportarten, bei denen es zu Stößen in den Bauch kommen kann, sollte man natürlich meiden. Hierzu zählen zum Beispiel Hockey, Handball oder Fechten. Auch sollte man natürlich alles meiden, was mit Sturzgefahr verbunden ist.
Und nicht vergessen: Cool down. Langsames Ausklingenlassen nach Anstrengung und Auspowern ist unbedingtes Muss. Auch und gerade in der Schwangerschaft sollten Frauen darauf achten, sich selbst nicht zu überfordern.
Der Pool ist bunt. Abwechselnd ziehen sich die Frauen durchs Wasser. Die „Spaghetti“ funktionieren als Kopfkissen. Mit geschlossenen Augen im Wasser treiben. Eine Übung, die wichtig ist für das Selbstbewusstsein der Frauen, erläutert die Trainerin. Ob aktiver oder passiver Part – beide Aktionen stärken das Vertrauen in die eigene Kraft und in die Kraft der anderen.
In der letzten Phase sind die Frauen wieder solo. Sie schweben am Beckenrand und hören Mozart. Abwechselnd lassen sie sich nach rechts oder links sinken. Auf der breiten Fensterbank brennen Teelichter. Außen- und Wassertemperatur liegen deutlich über dem gewohnten Durchschnitt. 32 Grad Celsius sollte das Wasser haben. Sonst ist es während der Entspannungsphasen zu kalt. Übrigens schwitzt man zwar nicht im Wasser, verbraucht aber ungefähr fünfmal so viel Energie wie an Land.
Nach dem Duschen sitzen sie zusammen. Mit Handtuchturban bei Apfelschorle und Pulsmesser. Die Stimmung ist großartig und erinnert ein bisschen an den Ausflug einer Mädchenklasse. Obwohl altersmäßig die meisten weit entfernt sind von Schule, Gekicher und Klassenfahrten. Zwischen 23 und 38 Jahre alt sind die Frauen. Wir leben in einer Großstadt. Und in deutschen Großstädten ist jede dritte Frau über 30, wenn sie ihr erstes Kind erwartet. Für einige liegt die letzte Verabredung zum Tanzen mehr als 15 Jahre zurück, erzählen sie lachend beim Pulsmessen. Gemessen wird übrigens vor und nach dem Training.
Es wäre schön, so eine Teilnehmerin, wenn man sich nachher auch noch trifft. Viele Fitness-Institute haben da schon vorgesorgt. Nach der Geburt gibt es Kurse für Frauen, die nicht schwanger sind. Die machen bestimmt genauso viel Spaß. Das zeigt allein der Blick in den Pool am nächsten Tag. Dort hüpfen, schwitzen und trainieren sie – Frauen, erste Mütter, mehrfache Mütter und wer weiß, vielleicht rechnet irgendeine gerade aus, wann sie den Kurs wechselt. Aqua-Training für Schwangere …
Aqua-Aerobic
Aus dem Aerobic kommen die Bewegungsabläufe. Sie wurden fürs Wasser abgewandelt und nutzen den Wasserwiderstand aus. Konkret bedeutet das: Nicht nur Bewegungen gegen die Schwerkraft – auf dem Land sind das die Bewegungen nach oben – brauchen Kraft, auch die gegenläufigen Bewegungen fressen Power. Beides ist also anstrengend: Der Weg weg von der Ausgangsposition und der Weg wieder zurück zur Ausgangsposition. Bewegungsabläufe wie z.B. Hüpfen oder Springen trauen sich an Land oft nur sportliche Menschen zu … Im Wasser können auch untrainierte, ältere oder übergewichtige Menschen loslegen. Ganze Muskelgruppen und bestimmte Bewegungskoordinationen werden verletzungsfrei trainiert.
Aqua-Gymnastik
Wo genau setze ich die Grenze? Alles eine Definitionsfrage. Auch hier wird im Wasser trainiert. Es geht im Allgemeinen ruhiger zu. Dehnende Übungen wechseln mit kräftigenden Übungen ab. Benutzt werden Wasserhanteln, Bälle und Flossenhandschuhe, die Kondition spielt hier eine untergeordnete Rolle.
Aqua-Aerobic für Schwangere ist meistens eine Mischform aus den beiden Typen:
Die Leichtigkeit im Wasser, kein Verletzungsrisiko und die Schonung für Sprung- und Kniegelenke machen diese Sportart so ideal für Schwangere. Idealerweise werden Übungen aus dem klassischen Beckenbodentraining integriert. In manchen Kursen wird auch die Atmung trainiert.
aus ORTHOpress 1 | 2002
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