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Rücken

Invasive Schmerztherapie – Wer kann davon profitieren?

Viele Menschen leiden unter quälenden Rückenschmerzen, obwohl nicht immer eine Ursache dafür erkennbar ist. In der Regel werden dann auch zunächst Schmerzmittel und physiotherapeutische Anwendungen verordnet. Wenn aber alle Maßnahmen nicht helfen, steht am Ende der so genannte «austherapierte» Patient: ein Mensch, an dem alles versucht wurde, was die Schulmedizin an Erfolg versprechenden Maßnahmen bereithält – und der doch keine wesentliche Besserung seiner Beschwerden erfahren durfte. Erst am Schluss einer Odyssee durch verschiedenste Arztpraxen kommt der Patient in der Regel zu einem Schmerztherapeuten. Viel zu spät, meinen Dr. Albrecht und Dr. Waldmann vom Schmerzzentrum Stuttgart, denn nicht selten chronifiziert der Schmerz, bevor eine adäquate Behandlung begonnen wurde. Dennoch kann die richtige Therapie auch bei solchen Patienten noch eine erhebliche Verbesserung der Lebensqualität bewirken.

Dr. Waldmann, Dr. Albrecht, muss Schmerz nicht eigentlich immer ursächlich bekämpft werden? Was nützt die beste Schmerzbehandlung, wenn nicht das abgestellt wird, was ihn hervorruft?

Dr. Waldmann: Beim «austherapierten» Patienten hat sich der Schmerz meist verselbstständigt. Entweder ist hier dann keine Ursache erkennbar oder aber sie liegt nicht mehr vor. Anders als etwa bei Rückenschmerzen, welche z.B. durch eine Beinlängendifferenz auftreten, kann man hier den Zustand, welcher irgendwann einmal zum Schmerz geführt hat, nicht mehr behandeln. Wenn der Schmerz aber seine Bedeutung als Warnsignal verloren hat, kann es durchaus sinnvoll sein, ihn abzustellen. 

Was führt typischerweise zu einem solchen Schmerz?

Dr. Albrecht: Beim so genannten «Facettensyndrom» z.B. liegen Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke vor. Diese sind meist durch die Höhenminderung des Zwischenwirbelraums als Folge von Bandscheibenschäden oder auch nach einer bereits erfolgten Bandscheibenoperation bedingt. Dabei drängen die Gelenkflächen der Wirbelbogengelenke (Facetten) schmerzhaft ineinander und führen so zur Reizung einzelner Nervenfasern. Im Gegensatz zu einer Reizung der Nervenwurzel handelt es sich hier nicht um einen fortgeleiteten, ausstrahlenden Schmerz, sondern im Allgemeinen um recht gut lokalisierbare, regional auftretende Beschwerden. Auch ein verengter Spinalkanal kann ähnliche Beschwerden hervorrufen.

Wie kann man diese Schmerzen behandeln?

Dr. Waldmann: Eine Möglichkeit ist die Durchführung einer Periduralanästhesie (PDA). Der Periduralraum befindet sich zwischen dem Wirbelkörper und dem Rückenmarkraum. In diesen Raum spült man nun ein Lokalanästhetikum ein. Dieses wandert durch die Zwischenwirbellöcher an die dort austretenden Nervenwurzeln und wirkt dort schmerzlindernd. 

Aber die Schmerzlinderung hält doch nur so lange an wie die Wirkung des Schmerzmittels?

Dr. Albrecht: Nicht immer. Es kommt zuweilen vor, dass sich das «Schmerzgedächtnis» erholt und danach nicht mehr den Impuls «Schmerz» ans Gehirn sendet. Sollte auch nach mehreren Facetteninfiltrationen der Schmerz bestehen bleiben, so muss man über eine dauerhafte Denervierung der entsprechenden Nervenfaser nachdenken. 

Ist das nicht ein komplizierter Eingriff?

Dr. Waldmann: Heute nicht mehr. Wir arbeiten hier z.B. mit der Radiofrequenzkoagulation. Unter Bildwandlerkontrolle wird dabei eine Hitzesonde bis unmittelbar an die schmerzende Nervenfaser herangeführt. Bei einer Temperatur von etwa 85 °C wird dann innerhalb von 60 Sekunden die Eiweißstruktur der Nervenfaser gezielt denaturiert. Das Resultat ist eine lang anhaltende Blockade der Schmerzen, viel länger als sie etwa durch eine perkutane Infiltration zu erreichen ist. Der Patient spürt davon nichts – bis auf die Tatsache, dass die Schmerzen verschwinden.

Aber wird der Nerv durch diese Behandlung nicht für immer ausgeschaltet?

Dr. Albrecht: Auch wenn die Nervenstruktur zunächst beeinträchtigt ist, so wird der Nerv nicht abgetötet wie z.B. bei einer Laserdenervierung. Innerhalb etwa eines Jahres erholt sich der Nerv wieder. Auch hier gilt: Es muss nicht sein, dass danach der Schmerz wieder auftritt. Wichtig ist, dass vor der Behandlung genau festgestellt wird, ob eine solche Nervendenervierung Erfolg versprechend ist. Wir machen daher erst zwei Probeblockaden, indem wir die entsprechenden Wirbelkörper mit einem lokal kurz wirkenden Betäubungsmittel anspritzen. Erst wenn diese Ergebnisse zeigen, dass der Einsatz der Radiofrequenzkoagulation sinnvoll ist, führen wir diese auch durch.

Kann es passieren, dass nach der Behandlung ein Taubheitsgefühl oder gar Lähmungen auftreten?

Dr. Waldmann: Wir unterscheiden zwischen sensorischen und motorischen Nervenfasern. Auch hier führt die Probeblockade zu einer großen Sicherheit der Behandlung: Der Arzt weiß genau, in welchem Bereich er die Hitzesonde einsetzen muss.

Welche Hoffnung können Patienten haben, denen auch eine Facettendenervierung nicht hilft?

Dr. Albrecht: Eine Möglichkeit ist die Implantation eines Reizstromgebers, der «Spinal Cord Stimulation» (SCS). Dies ist im Prinzip ein «Schmerzschrittmacher». Durch Elektroden, die im Spinalkanal auf das Rückenmark aufgelegt werden, kann durch individuell einstellbare Reizstromimpulse das Schmerzsignal quasi ausgelöscht werden. Auch hier wird aber zunächst etwa eine Woche lang eine Probestimulation durchgeführt, erst dann wird das Steuergerät unter die Haut implantiert.

Was ist das Wichtigste an einer erfolgreichen Schmerzbehandlung?

Dr. Waldmann: Wichtig ist die Qualitätssicherung der Behandlung und das Vorgehen nach einem allgemeinen standardisierten Raster. So muss der Schmerztherapeut etwa wissen, ob der vorherige behandelnde Arzt bereits eine PDA durchgeführt hat. Es sollte kein Schritt unternommen werden, ohne dass alle vorherigen Maßnahmen ausgeschöpft wurden. Nur so hat man die Möglichkeit, dem Patienten mit der für ihn am wenigsten belastenden Maßnahme zu helfen.

Dr. Albrecht, Dr. Waldmann, haben Sie vielen Dank für das Gespräch! 

Aus ORTHOpress 2 | 2001

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.