Individualtherapie durch Methodenvielfalt in der Behandlung orthopädischer Grunderkrankungen
„Zwei Augen“ sehen bekanntlich mehr – und drei Orthopäden …?
Die im Raum Stuttgart niedergelassenen Orthopäden Dr. Magiera (Korntal), Dr. Piontkowski (Bietigheim-Bissingen) und Dr. Heger (Leonberg) jedenfalls sind der Überzeugung, dass eine reine Spezialisierung auf bestimmte therapeutische Verfahren nicht immer von Vorteil für die Patienten ist. Sie verstehen sich als Kooperationsgemeinschaft, die mit Hilfe einer Vielzahl moderner wie erprobter Behandlungsoptionen eine umfassende und individuelle Betreuung für die Patienten der Region bietet. Information ihrer Patienten ist den drei Ärzten ebenfalls ein großes Anliegen. Im Folgenden die Ausführungen zu zwei exemplarischen Verfahren aus dem umfangreichen Behandlungsspektrum der Stuttgarter Doktoren: das Reflexmuskeltraining und die sog. „Prolotherapie“.
Reflexmuskeltraining: Behandlung der Osteoporose ohne Hormone
Unter Osteoporose versteht man eine Stoffwechselstörung der Knochen, die durch eine Abnahme der Knochenmasse – und damit der Knochenstabilität – charakterisiert ist, was zu einem erhöhten Knochenbruchrisiko führt. Es entstehen zumeist Einbrüche der Wirbelkörper, was sich in der Folge häufig in einem verstärkten Rundrücken äußert. Oder es treten Brüche der Röhrenknochen auf, meist am Oberschenkel als Schenkelhalsbruch. Zu den entscheidenden, beeinflussbaren Risikofaktoren gehört u.a. Bewegungsmangel (ungenügende körperliche Aktivität).
Dabei besteht der Bewegungsapparat nicht nur aus Knochen, sondern auch aus Muskeln, Sehnen, Bändern und Gelenken. Sie sind keine toten Strukturen, sondern unterliegen als dynamisches Gewebe ständigen Aufbau-, Abbau- und Umbauprozessen. Der Zustand des Bewegungsapparates richtet sich also nach den Anforderungen, die an ihn gestellt werden. Bei Nichtbenutzung verkümmern die Muskeln, Knochen und Gelenke. Meist ist dieser Vorgang beim Muskel gut sichtbar, z.B. am Oberarm, der Biceps-Muskel wird kleiner und schlaff. An anderen Körperstellen ist er nicht mehr so augenfällig, so am Rumpf die Bauch- und Rückenmuskulatur.
Doch auch die Knochenmasse ist mit dem Muskelzustand eng verknüpft. Vor allem die Schwerkraft und die Muskelaktivität stellen die wesentlichen mechanischen Anreize dar, die am Knochen wirken. Besonders wichtig ist dabei die Druckbelastung, die auf den Knochen ausgeübt wird. Fehlen diese Belastungsreize, wird Knochenmasse abgebaut. Demgegenüber wirkt zunehmende Muskelkraft stimulierend auf die Knochensubstanzneubildung. Dieser Vorgang wird erfolgreich in der Osteoporosebehandlung ausgenutzt: Knochenaufbau durch Muskeltraining.
Eine Anpassung des Skelettsystems findet in jedem Alter statt. Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Muskulatur zu kräftigen. Beim klassischen Muskelaufbautraining muss die Muskulatur willkürlich angespannt werden, d.h. man muss dem Muskel befehlen: „Spann dich an!“. Bekannte Übungen sind z.B. Kniebeugen oder Training mit der Hantel, die entweder statisch gehalten wird oder dynamisch auf und ab bewegt wird. Nachteilig wirkt sich bei diesen Verfahren die hohe Gelenkbelastung aus. Es bestehen darüber hinaus vor allem beim Untrainierten übungsspezifische Verletzungs- und Überlastungsrisiken.
Zur intensiven Muskelkräftigung und zum Knochenaufbau ist ein Verfahren entwickelt worden, das grundlegend anders erfolgt – und ohne die o.g. Risiken. Bei diesem Reflexmuskeltraining wird der Muskel unwillkürlich, d.h. automatisch aktiviert. Der Muskel wird von außen kurzfristig gedehnt und als Reflex folgt automatisch die Muskelanspannung. Diese Methode bietet u.a. zwei wesentliche Vorteile. Der auslösende Reiz kann viel schneller hintereinander gesetzt werden als bei einer willkürlichen Anspannung, sodass der Muskel sich 10 bis 30 Mal pro Sekunde(!) anspannen muss. Die Muskelkräftigung ist dadurch wesentlich intensiver als beim konventionellen Training. Also ein Training im Zeitraffer. Streng gemäß der Grundregel: Knochenmasse folgt Muskelmasse, nimmt auch die Knochensubstanz deutlich zu. Zudem ist keine wesentliche Anstrengung des Übenden notwendig.
Unter dem Begriff „Reflexmuskeltraining“ oder auch – bekannter – „Vibrationsmuskelkräftigung“ wird seit einigen Jahren die Osteoporosetherapie auf einem eigens dafür entwickelten Vibrationsgerät durchgeführt. Das Gerät gleicht einer Standwippe mit Fußpedalen, die sich in schnellem Wechsel rechts/links auf und ab bewegen. Ähnlich wie bei einem „Stepper“, nur mit viel geringerer Auf- und Abwärtsbewegung (ca. 1–2 cm). Durch Stehen auf dieser vibrierenden Wippe wird die Muskulatur des einen Beines bei der Abwärtsbewegung schnell gedehnt, sodass sich die gegenseitige Muskulatur reflexhaft anspannt, um den Körper im Gleichgewicht zu halten. Wechselseitig kann dies 20–30 Mal pro Sekunde wiederholt werden. Als Nebeneffekt wird der Muskel auch elastischer, und die Muskelkoordination verbessert sich. Durch die dabei auftretenden starken Gravitationsreize kommt es auch zu einem erheblichen Knochensubstanzaufbau. Wichtig ist die regelmäßige Durchführung, denn nur so kann ein anhaltender Effekt erzielt werden. Dies ist zwar nicht so bequem wie die Einnahme von Tabletten (Hormone, Fluoride etc.), die natürlich auch einen Stellenwert in der Osteoporose-Therapie besitzen, aber ohne Arzneimittelnebenwirkungen.
Prolotherapie bei chronischen Kreuz- und Rückenschmerzen: Alte Behandlungsform neu entdeckt
Die Prolotherapie ist eine Form der Injektionsbehandlung, mit der gelockerte, erschlaffte Bänder gestärkt werden können. Der Name „Prolotherapie“ – ausführlich auch „Proliferationstherapie“ – kommt aus dem Lateinischen und setzt sich zusammen aus den Wörtern „proles“ und „ferre“, im medizinischen Sprachgebrauch mit der Bedeutung „Zellvermehrung“.
Die wohl häufigste Ursache chronischer Rücken- und Kreuzschmerzen ist ein „Ausleiern“ der Bandverbindungen durch jahrelange Unterfunktion der Muskeln. Schon über 80 Jahre ist dieser Zusammenhang bekannt und auch neuere Forschungsergebnisse bestätigen dies. Darüber hinaus werden Bandscheibenvorfälle erst als Folge einer solchen jahrelangen Fehlbalance angesehen. Wenn die Beschwerden auf einer Erschlaffung der Bandverbindungen (Sehnen) beruhen, reicht es typischerweise nicht aus, nur die Muskulatur durch Übungen zu kräftigen. Der Erfolg ist oft nur kurzfristig oder bleibt aus. Die Motivation für ein langfristiges muskelaufbauendes Training schwindet dahin.
Nur ein einwandfreies Zusammenspiel von Knochen, Gelenken, Muskeln und Bändern gewährleistet eine beschwerdefreie Funktion. Die Bänder stabilisieren die Gelenkverbindungen in allen Stellungen und begrenzen den Bewegungsumfang. Gelenke sind nicht nur z.B. das Knie oder die Hüfte, auch die Wirbelsäule besteht aus vielen Gelenkverbindungen.
Durch eine spezielle Injektionsbehandlung ist es möglich, gelockerte Bänder zu kräftigen. Das Verfahren ist seit den 50er-Jahren vorwiegend im anglo-amerikanischen Raum verbreitet. Durch das Spritzen eines speziellen Medikamentes in und an diese Beschwerden auslösenden gelockerten Bänder werden diese verstärkt. Der Wirkstoff lockt Bindegewebszellen an, die sich dort vermehren. Dieser Vorgang braucht einige Wochen, um die Bänder dauerhaft zu verfestigen. Mehrere Injektionen sind erforderlich.
Das Medikament ist seit den 50er-Jahren in den USA zugelassen und besteht im Wesentlichen aus einer Mischung von Glycerin und Zucker. In den ersten Tagen nach der Injektion treten erfahrungsgemäß deutlich verstärkte Beschwerden auf. Schonung ist anfangs erforderlich, aber keine Bettruhe, leichte Bewegung soll erfolgen. Anfangs ist mitunter die Einnahme eines Schmerzmittels notwendig. Die Injektionen werden im Abstand von ca. 10 Tagen wiederholt, je nach individueller Reaktion. Insgesamt besteht eine Injektionsserie meist aus 8–10 Sitzungen. Das frisch gebildete Gewebe ist noch empfindlich, erst ungefähr 6–8 Wochen nach der letzten Spritze ist eine volle Belastbarkeit zu erwarten. Es handelt sich also nicht um eine „schnelle Therapie“, etwas Geduld ist notwendig. Die behandelten Bänder werden aber dauerhaft gekräftigt. Anhaltend vermehrte körperliche Belastbarkeit entsteht oder wird wiederhergestellt, ein erfolgreiches Muskelaufbautraining dadurch häufig erst ermöglicht.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.