Plötzlich ist es passiert: Beim Badmintonspiel hat sich die 30jährige Janine Maertens die Schulter verrissen. „Seitdem schmerzt die Außenseite meiner Schulter unaufhörlich“, berichtet die drahtige Reisekauffrau. Sie hat zwar im Laufe ihres Lebens schon mehrfach Schulterschmerzen gehabt, doch die Beschwerden sind jeweils nach einigen Tagen der Schonung wieder abgeklungen. Diesmal ist es anders: Seit über drei Wochen kann sie den rechten Arm nicht mehr anheben, ohne dass ihr der heftige Schmerz Tränen in die Augen treibt.
Schulterbeschwerden sind dabei lange nicht so selten, wie man annehmen sollte, weiß der Berliner Chirurg Dr. Bernard: „Bei fast zehn Prozent aller Bundesbürger ist heute diagnostisch im Ansatz eine Erkrankung im Schultergelenk nachweisbar.“
Aber wie kommen – insbesondere bei jungen Patienten – solche Schultererkrankungen zustande?
Dr. Bernard: „Unser Schultergelenk besteht aus einem im Vergleich zur Gelenkpfanne großen Oberarmkopf. Hinzu kommen zahlreiche Bänder, Sehnen und eine besonders kräftige Muskulatur, die einen weiten Bewegungsradius unserer Arme bei hoher Kraftausübung erlaubt. Seitliche Bewegungen des Armes werden dabei von einer speziellen Muskelgruppe kontrolliert, welche den Oberarmkopf schalenförmig umschließt. Diese wird als ‚Rotatorenmanschette’ bezeichnet. Sie liegt am Kopf des Schultergelenks an und wird durch einen Schleimbeutel nach oben hin vom knöchernen Schulterdach, dem ‚Akromion’, getrennt. Ein Teil der Rotatorenmanschette ist die Supraspinatussehne, welche direkt unter dem Schulterdach verläuft.“
Dieses Zusammenwirken von Supraspinatussehne, Sehnengleitraum, Akromiondach und Schleimbeutel kann nun auf verschiedenartige Weise gestört werden. Häufigste Einschränkung ist dabei das so genannte Engpasssyndrom (‚Impingement’), welches hervorgerufen werden kann durch eine Verengung des subakromialen Gleitraums oder eine Verdickung der Sehne. Beide Mechanismen führen dazu, dass die Sehne beim Hochheben des Armes im Subakromialraum einklemmt wird und den dort liegenden Schleimbeutel reizt. Dies führt zu einer chronischen Entzündung, welche sehr schmerzhaft ist.
Anfänglich treten diese Schmerzen oft nur beim Hochheben des Armes auf, nämlich dann, wenn es zu Einklemmungserscheinungen der Sehne kommt. Besteht diese Impingementsymptomatik jedoch längere Zeit, wird ein chronischer Reizzustand in dem subakromialen Schleimbeutel ausgelöst, so dass die Schmerzen im Schultergelenk auch in Ruhe auftreten und nicht nur dann, wenn der Arm hochgehoben wird. Beim fortgeschrittenen Impingementsyndrom ist es typisch, dass die Patienten nachts vor Schmerzen nicht mehr durchschlafen können und auch nicht auf der betroffenen Seit liegen können. Unbehandelt führt ein Impingement zu einem Durchscheuern und damit zur Ruptur der Supraspinatussehne – das Resultat sind dann nicht nur Schmerzen, sondern auch ein Funktionsausfall: Der Patient kann den Arm nicht mehr richtig hochheben.
Wie stellt man nun fest, ob ein Impingement vorliegt, und wie wird behandelt?
„Jeder länger als 14 Tage andauernde Schulterschmerz sollte vom Arzt mittels der Krankengeschichte und einer eingehenden Untersuchung genauestens analysiert werden“, betont Dr. Bernard. „Die Diagnostik umfasst dabei Anamnese, klinische Untersuchung sowie apparative Untersuchungen, das heißt zunächst Ultraschall und eine Röntgenuntersuchung bei einer bestimmten Einstellung des Gelenkes. Auf der Basis einer eindeutigen diagnostischen Aussage setzt die Therapie ein, die sich an der Intensität der Beschwerden orientiert.“ Anfangs kommen sanfte Therapiemaßnahmen zum Einsatz, also Eis- und Salbenbehandlung, bei Bedarf Schmerzmittel (NSAR). Auch Injektionen mit einem Cortisonpräparat können durch ihre schmerzstillende und abschwellende Wirkung Linderung bringen.
Die konservative Therapie sollte aber im Wesentlichen aus einer physiotherapeutischen Behandlung bestehen, wobei Therapieziel die funktionelle Erweiterung des Subakromialraums ist durch gezieltes Training derjenigen Muskelgruppen, die ein Tiefertreten des Humeruskopfes bewirken. Führt diese konservative Therapie jedoch nach etwa 6-8 Wochen zu keiner Besserungstendenz, bleibt als weitergehende Maßnahme nur mehr die arthroskopische Erweiterung des Subakromialraums. Dabei wird zunächst der Schleimbeutel ausgeräumt. Anschließend wird die Unterfläche des knöchernen Schulterdaches mit kleinen Fräsen um wenige Millimeter abgeschliffen. Gleichzeitig werden, falls nötig, Knochensporne des Schulterdaches und ggf. des Schultereckgelenkes abgetragen.
Welche Vorteile bietet die arthroskopische Operation gegenüber den früher üblichen „offenen“ Eingriffen?
Dr. Bernard: „Offene Eingriffe am Schultergelenk sind auch heute noch verbreitet. Dank der Spezialisierung und dem medizinischen Fortschritt bei sogenannten ‚Schlüsselloch-Operationen’ können aber mittlerweile fast alle Eingriffe an der Schulter arthroskopisch durchgeführt werden.“ Der gesamte Eingriff wird über lediglich zwei bis drei kleine Inzisionen von etwa 5 mm Länge durchgeführt. Der gesamte Weichteil- und Muskelmantel am Schultergelenk bleibt somit intakt. Die Belastung des Patienten ist dabei erheblich geringer, und neben einem viel geringeren Wundschmerz nach der Operation ist auch das Infektionsrisiko deutlich reduziert.
Wie muss der Patient nach einem solchen Eingriff nachbehandelt werden?
Operative Eingriffe am Gelenk oder den das Gelenk umgebenden Strukturen erfordern in aller Regel eine umfassende Rehabilitation. Daraus resultiert, dass die Patienten am Tag nach der Operation schon wieder mit aktiven und passiven Bewegungen im Schultergelenk beginnen. Im unmittelbaren Anschluss an die Operation erfolgt so ein straffes Physiotherapie-Programm, um möglichst schnell die volle Beweglichkeit in der Schulter wiederherzustellen. Überlastungen sind dabei allerdings tunlichst zu vermeiden – sonst kann es zu Entzündungserscheinungen und Schmerzen kommen, welche die Rehabilitation erschweren und verlängern. „Häufige lockere Übungen sind hier einem schnellen Krafttraining immer vorzuziehen, da es in der ersten Phase der Rehabilitation mehr auf die Erhaltung der Mobilität als auf einen subjektiven Kraftzuwachs ankommt. Wichtig ist das Einhalten von Erholungspausen, um Schmerz und Ermüdungserscheinungen zu vermeiden“, empfiehlt Dr. Bernard seinen Patienten.
Die Ergebnisse einer arthroskopischen Beseitigung des Impingementsyndroms sind dabei durchweg sehr gut. In einer an 288 Patienten durchgeführten Studie der Klinik Sanssouci wurde für 91 Prozent eine deutliche Beschwerdebesserung nachgewiesen, ein gutes oder sehr gutes funktionelles Ergebnis (nach Constant-Score) bei 84 Prozent der Patienten.
aus ORTHOpress 03|2002
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