Nicht immer gleich gut geeignet
Rückenschmerzen sind in den letzten Jahren beinahe zur Volkskrankheit Nummer Eins geworden. Hauptursache: Bewegungsmangel und zu langes Sitzen. Glücklicherweise haben sich die Behandlungserfolge bei Rückenschmerzen, seit es minimalinvasive Methoden gibt, deutlich verbessert. Die meisten werden bereits ambulant durchgeführt.
Viele Patienten mit Rückenschmerzen sind auf der Suche nach schonenden Alternativmethoden.
Für die Patienten wird es jedoch, durch die große Menge an unterschiedlichen Behandlungsempfehlungen und -methoden, fast unmöglich herauszufinden, welche Lösung die beste ist. „Orthopress“ sprach mit dem Münchner Wirbelsäulenspezialisten Dr. Thomas Hoogland, der sich seit 1989 ganz auf die Behandlung von Patienten mit Rückenbeschwerden spezialisiert hat. Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt dabei auf den unterschiedlichen minimalinvasiven Methoden.
Dr. Thomas Hoogland ist Präsident der „Wissenschaftlichen Gesellschaft für Mikrochirurgie der Wirbelsäule“ und Mitglied der Nordamerikanischen Spine (Wirbelsäulen-)Society, die sich um nationale und internationale Neuentwicklungen bemühen.
Herr Dr. Hoogland, welche Behandlungen kann man jetzt bei Rückenschmerzen empfehlen?
In erster Linie ist dies von der Intensität und Dauer der Schmerzen abhängig und davon, ob die Schmerzen zusätzlich ins Gesäß und/oder Bein ausstrahlen. Viele Rückenschmerzprobleme sind vorübergehend, oft sind einfach einige Tage Schonung ausreichend, unterstützt mit Schmerzmitteln, die nicht unbedingt in der Form von Spritzen verabreicht werden müssen. Bei sehr heftigen Schmerzen oder immer wiederkehrenden Beschwerden ist erst eine gründliche Untersuchung und meistens eine Kernspintomografie notwendig, bevor eine Behandlung durchgeführt wird.
Was halten Sie von Chiropraktik oder manueller Therapie?
Diese Behandlungen sind oft sehr erfolgreich bei hexenschussartigen oder akuten Rückenschmerzen. In diesen Fällen wird ein Hexenschuss von einem kleinen Riss in der Bandscheibe verursacht. Die Chiropraktik entlastet den verletzten Bereich. Wenn ein Bandscheibenvorfall mit ausstrahlenden Schmerzen ins Bein vorliegt, ist ein größerer Schaden an der Bandscheibe vorhanden und somit eine chiropraktische Behandlung nicht zu empfehlen.
Was sollte man bei einem Bandscheibenvorfall tun?
Ein Bandscheibenvorfall sollte von einem kompetenten Arzt diagnostiziert werden. In der Regel wird dazu eine Kernspintomografie benötigt. Sind noch keine Lähmungen oder Taubheit aufgetreten, kann ein Bandscheibenvorfall am besten zunächst mit Ruhe, Schonung und Schmerzmitteln behandelt werden. Bei sehr heftigen Schmerzen ist die einmalige Gabe von Kortison hilfreich. Sollten sich die Symptome innerhalb einiger Wochen zurückbilden, ist eine weitere konservative Behandlung inklusive Krankengymnastik und Rückenschulung angebracht. Falls die Schmerzen anhalten, kann über eine gezielte Spülung und Kortisoninjektion im Bereich des Vorfalls versucht werden den Reizzustand des Nervs zu beruhigen.
Die so genannte Periradikuläre Infiltration kann entweder computergesteuert oder mittels eines Röntgenbildverstärkers durchgeführt werden (diese Behandlung kann ambulant erfolgen). Falls ein derartiger Eingriff keine oder kaum Verbesserung bringt, sollte er nicht wiederholt werden. Bei Beschwerdebesserung ist die Behandlung ein- bis zweimal zu wiederholen. Eine Katheterbehandlung ist in dieser Phase jedoch nicht durchzuführen.
Wann sollte man operieren?
Falls ein Bandscheibenvorfall mit ins Bein ausstrahlenden Schmerzen vorliegt, sollte nicht länger als drei Monate gewartet werden, da sonst ein Dauerschaden des Nervs und damit eine Verschlechterung des Behandlungsergebnisses eintreten könnte. Eine langfristige konservative Therapie ist hier kontraproduktiv.
Stimmt die Behauptung also nicht, dass Bandscheibenvorfälle mit konservativen Behandlungen immer gut ausheilen?
Eine langwierige, konservative Behandlung bei anhaltender Schmerzsymptomatik führt zu größeren Schäden als eine frühzeitige schonende Operation.
Was meinen Sie mit schonender Operation?
Seit einigen Jahren werden schonende minimalinvasive Eingriffe ambulant oder kurzstationär durchgeführt. Die Komplikationsrate ist deutlich niedriger als bei vielfältigen Kortisonbehandlungen, Schmerzinjektionen, Katheterbehandlungen oder mehrfachen chiropraktischen Eingriffen.
Über welche minimalinvasiven Eingriffe reden Sie?
Zu den minimalinvasiven Operationsmethoden bei Bandscheibenvorfällen gehören:
• die Chemonukleolyse
• die Laserschrumpfung des Bandscheibenvorfalls
• die perkutane Nukleotomie
• die endoskopische Nukleotomie
• die mikroskopische Nukleotomie.
Welche minimalinvasiven Operationsmethoden bevorzugen Sie und warum?
Wir haben alle oben genannten Methoden praktiziert und mussten feststellen, dass der Eingriff mit den geringsten Problemen und besten Ergebnissen aktuell die endoskopische Nukleotomie (Bandscheibenvorfallentfernung) ist. Diese kann unter örtlicher Betäubung durchgeführt werden, ist extrem schonend, verursacht keine zusätzlichen Narben und ist in 95% der Fälle erfolgreich. Eine Nervschädigung durch den Operateur kann nahezu ausgeschlossen werden.
Wird die endoskopische Nukleotomie nur von Wirbelsäulenspezialisten angeboten?
Leider gibt es in Deutschland nur wenige Zentren, die diesen Eingriff anbieten, da die Lernkurve für diesen Eingriff sehr lang ist. Es gibt jedoch einen positiven Trend: Mehr als zehn Kliniken und Zentren in Deutschland haben bereits begonnen, mit dieser Technik zu operieren.
Hat die endoskopische Entfernung eines Bandscheibenvorfalls Vorteile gegenüber einer konservativen Behandlung?
Ja. Der minimalinvasive Eingriff beseitigt sofort die Schmerzen, wodurch eine schnelle Erholung der Rückenmuskulatur und Nerven möglich ist. Damit werden Dauerschäden vermieden und die Arbeitsaufnahme ist meistens nach einer Woche wieder möglich.
Kann eine endoskopische Bandscheibenoperation für alle Arten der Bandscheibenvorfälle eingesetzt werden?
In erfahrenen Händen ist es möglich, alle Bandscheibenvorfälle endoskopisch zu beseitigen, insbesondere auch dann, wenn es sich um einen so genannten Rezidivvorfall (Bandscheibenvorfall bei voroperierten Patienten) handelt.
Welche Behandlung bei Bandscheibenvorfällen halten Sie für ungeeignet?
Mehrfache Vergabe von Kortison schadet dem Körper und auch der Bandscheibensubstanz. Kortison kann eine Vertuschung der Symptome bewirken, verursacht letztendlich jedoch mehr Schaden als Nutzen.
Inwiefern ziehen Sie die endoskopische Entfernung einer Katheterbehandlung vor?
Eine endgültige Beseitigung mittels einer endoskopischen Entfernung bietet u.E. oft die schnellste und effizienteste Lösung bei Bandscheibenvorfällen. Zwar kann bei akuten und ausstrahlenden Schmerzen durch eine gezielte Kochsalzspülung und Kortisoninfiltration eine Schmerzlinderung erreicht werden, die Katheterbehandlung scheint uns dafür aktuell jedoch zu umständlich und noch mit einer höheren Komplikationsrate belastet.
Was ist bei chronischen Rückenschmerzen durch Bandscheibenschaden zu tun?
Bei chronischen Rückenschmerzen durch Bandscheibenschaden ist eine gezielte Muskelkräftigungstherapie, z.B. mit dem MedX-Training (Kieser Training), der erste Schritt. Bleiben trotzdem erhebliche Beschwerden, dann sollte man minimalinvasive Eingriffe in Erwägung ziehen.
Welche minimalinvasiven Eingriffe gibt es bei chronischem Bandscheibenschaden und -verschleiß?
Sollte ein Bandscheibenprolaps vorhanden sein, kann mit einer endoskopischen Entlastung in 80% der Fälle eine gute Schmerzlinderung erzielt werden. Bei eindeutigem Verschleiß hilft oftmals eine Abrasion der Bandscheibe.
Welche Möglichkeiten der Schmerztherapie gibt es bei chronischen Rückenschmerzen?
Schmerztherapeutische Maßnahmen sind im Grunde genommen die letzten Strohhalme, falls die Ursache der Rückenschmerzen nicht festgestellt werden kann oder wenn es keine mechanische Lösung gibt. Leider sind viele Schmerztherapien wiederum ziemlich schmerzhaft und haben einen eher bescheidenen Langzeiterfolg.
Kann man die Bandscheiben auch ersetzen?
Heutzutage gibt es Möglichkeiten die Bandscheibe durch eine Prothese zu ersetzen. Die Indikationen sind jedoch sehr eingeschränkt.
Welche Möglichkeiten hat man bei einer Gel-Einspritzung oder einer Nukleus-Prothese (PDN)?
Erfahrung mit diesen Substanzen gibt es bis jetzt nur bei Patienten, die wahrscheinlich einen Bandscheibenersatz nicht brauchen. Bei deutlichen Verschleißerscheinungen haben diese Substanzen jedoch keine Wirksamkeit gezeigt.
Was empfehlen Sie abschließend bandscheibengeschädigten Patienten?
Suchen Sie sich einen kompetenten Facharzt, der sich ausschließlich auf Rücken- und Bandscheibenprobleme spezialisiert hat und Erfahrung sowohl mit den alten, insbesondere aber auch mit den neuen minimalinvasiven Behandlungsmethoden hat. Sollte eine Behandlung mit einem langen Krankenhausaufenthalt verbunden sein, sind Sie meistens nicht in den besten Händen.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.