Diagnose und Verlaufsbeurteilung in einem
Wenn ein Kind im Winter Schnupfen und Husten bekommt, dann ist es für den Hausarzt meist kein großes Problem, herauszufinden, was ihm fehlt: In einer kurzen Untersuchung stellt der Arzt den Infekt fest und verschreibt ein entsprechendes Medikament – in schwereren Fällen ein Antibiotikum. Von der Erkenntnis, was dem kleinen Patienten fehlt bis zum Beginn einer wirksamen Therapie ist es mithin ein kurzer Schritt. Was aber, wenn die Beschwerden diffus sind und nicht innerhalb weniger Minuten durch bloßen Augenschein die Ursache der Erkrankung gefunden werden kann? Am Anfang einer wirksamen Therapie steht immer eine umfassende Diagnose, und die kann mitunter sogar komplizierter sein als die Beseitigung des Problems selbst, wissen die Orthopäden Dr. Ulrich Piontkowski aus Bietigheim-Bissingen und Dr. Ulrich Hannemann aus Albstadt-Truchtelfingen: „Besonders Rückenschmerzen können eine Vielzahl von Ursachen haben. Sie möglichst vollständig abzuklären, ist die Grundvoraussetzung, um dem Patienten wirklich helfen zu können“. Oft helfen Röntgenbilder hier nicht weiter, denn sie zeigen dem Arzt immer nur einen Ausschnitt des menschlichen Körpers. So ist es zum Beispiel schwierig, etwaigen Problemen in der Gesamtstatik auf die Spur zu kommen.
3D-Vermessung ohne Strahlenbelastung
Kreuzschmerzen können auch dann auftreten, wenn auf dem Röntgenbild weder ein Bandscheibenvorfall noch eine starke Verkrümmung der Wirbelsäule zu sehen sind. Die einzige Möglichkeit, den wirklichen Grund der Beschwerden zu diagnostizieren, liegt daher vielfach in teuren CT- oder Kernspinaufnahmen.“
Eine neue Methode, Fehlstellungen der Wirbelsäule auf die Schliche zu kommen, steht jetzt mit der 3D-Lichtoptischen Vermessung der Wirbelsäule zur Verfügung. Dr. Piontkowski: „Ausgangspunkt dieses neuen Verfahrens ist eine Waage vor einer dunklen Fläche: Auf den Rücken des Patienten wird ein Lichtraster projiziert und von einer Videokamera aufgenommen. Ein Rechner erstellt dann ein dreidimensionales Bild des Rückens und der Wirbelsäule. Die Vorteile liegen auf der Hand: Beckenschiefstände und Beinlängendifferenzen, die mit den herkömmlichen bildgebenden Verfahren nicht oder nur unzureichend dargestellt werden können, lassen sich auf diesem Wege einfach und schnell erkennen und erlauben so in kürzester Zeit einen wirksamen Therapieansatz“. Darüber hinaus ist der Patient keinerlei Strahlenbelastung ausgesetzt – ein unschätzbarer Vorteil gegenüber Röntgen- oder CT-Bildern.
Die Wirbelsäule kann so beliebig oft vermessen werden, auch bei Kindern, weil es absolut ungefährlich ist. Anders als beim beim Röntgen beispielsweise dringen keine Röntgenstrahlen in den Körper ein, um die Knochen auf dem Bild sichtbar zu machen. Bei der Kernspintomographie, die im Liegen gemacht wird, werden die Weichteile des Körpers sichtbar. Bei der lichtoptischen Wirbelsäulenvermessung, die im Stehen durchgeführt wird, geht es um die Oberfläche des Rückens und die Statik des Körpers – also um etwas ganz anderes als bei den beiden anderen bildgebenden Verfahren. Die Wirbelsäulenvermessung ist damit eine zusätzliche, ergänzende Methode, welche in ihrer Aussage die anderen bildgebenden Verfahren optimal unterstützt – perfekt geeignet für ganzheitliche Konzepte in der Orthopädie.
Nicht nur die Diagnose, auch die Therapie profitiert
„So kann nicht nur die Diagnose von diesem Verfahren profitieren“, erläutert Dr. Hannemann. „Auch die Verlaufsbeurteilung einer Behandlung wird durch die 3D-Vermessung wesentlich erleichtert. Schließlich kann man ja nicht über Wochen und Monate hinweg alle paar Tage eine Röntgenaufnahme machen, um Erfolg oder Mißerfolg einer Therapie festzustellen.“ Die Strahlenbelastung wäre so hoch, dass sie in keiner Relation zur gewonnenen Information steht. Die Vermessung per Videokamera dagegen belastet den Patienten nicht nur überhaupt nicht, sondern ist auch besonders schnell durchführbar.
„Damit eignet sich diese Untersuchungsform auch in besonderer Weise zur frühzeitigen Erkennung, Verlaufsbeurteilung und Behandlung etwa von Skoliosen bei Kindern und ist ab etwa dem fünften Lebensjahr problemlos durchführbar“, betont Dr. Hannemann.
Spezialeinlagen verbessern Muskelkraft
Aber wie werden die erkannten Haltungsschäden behandelt? Dr. Piontkowski: „Wichtig ist, beim Patienten die nötige ‚Muskelkraft’ zur Verbesserung seiner Haltung wiederherzustellen. Dabei bedient man sich der Erkenntnisse der ‚Angewandten Kinesiologie’. Diese geht davon aus, dass sich die Stärke eines Muskels verändert, wenn therapeutisch relevante Punkte am Körper behandelt oder auch nur berührt werden.“ Basierend auf diesen Erkenntnissen wurde bereits vor vielen Jahren ein standardisierter Muskeltest entwickelt, mit dessen Hilfe sich die Reaktion des Körpers auf Reize, Substanzen und Emotionen jeglicher Art messen lässt. Zusammen mit der 3D-Wirbelsäulenvermessung ergibt sich so ein Korrektursystem, bei dem Diagnose und Therapie Hand in Hand gehen: Neben einer physiotherapeutischen Behandlung werden zur Haltungskorrektur auch weiche, prallelastisch gefüllte Spezialeinlagen nach Frau Prof. Fusco verwendet, welche die kinesiologisch schwach testenden Muskelketten kontinuierlich stimulieren. Die Behandlungswirkung lässt sich dann wieder durch die dreidimensionale Wirbelsäulenvermessung kontrollieren. Arzt und Patient haben so die Möglichkeit, den Fortschritt einer Behandlung effektiv zu messen und weitere Maßnahmen gezielt auf den Therapieerfolg abzustimmen.
Nicht nur für Rückenbeschwerden geeignet
Aber nicht nur die Ursachen von Rückenbeschwerden können so rechtzeitig erkannt und behandelt werden.
Dr. Hannemann: „Man weiß heute, dass Fehlstellungen und so genannte Dysbalancen der Wirbelsäule Auswirkungen auf die unterschiedlichsten Körperteile haben. Wenn ein Patient über Schmerzen im Unterkiefer klagt, dann die Wirbelsäulen-Analyse helfen, herauszufinden, ob die Probleme vielleicht im Bereich der Wirbelsäule zu suchen sind.“ Aber auch bei Patienten, die z.B. einen Gliedmaßenersatz am Bein benötigen, kann das Verfahren sinnvoll eingesetzt werden – so kann z.B. die Prothese millimetergenau angepasst werden, weil die Vermessung Auskunft über die Belastung der einzelnen Beine gibt.
Schnelligkeit der Untersuchung wichtiges Merkmal
Auch die Schnelligkeit der Untersuchung ist wichtig, und hier zeigen sich die besonderen Pluspunkte der 3D-Technik. Besonders bei Wiederholungsuntersuchungen ist das rasche Vorliegen von Ergebnissen ein entscheidender Faktor, weiß Dr. Piontkowski: „Dies spart insbesondere bei Untersuchungsserien viel Zeit – bei ausgeprägten und lange bestehenden Fehlhaltungen kann mit der ersten Korrektur die Dysfunktion der Muskulatur nicht immer sofort komplett ausgeglichen, so dass eine weitere Vermessung schon nach einer kurzen Zeit erfolgen sollte. In der täglichen Praxis ist es daher ein nicht zu unterschätzender Vorteil wichtig, dass nicht erst die Entwicklung von Bildern abgewartet werden muß oder gar der Patient erneut den Gang zum Radiologen antreten muß.“
aus ORTHOpress 03|2002
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