Kniearthrose: Nicht vorschnell zum Gelenkersatz greifen
Kaum jemand macht sich über seinen Gelenkknorpel Gedanken, so lange alles in Ordnung ist und die Gelenke nicht schmerzen. Wenn die natürlichen Stoßdämpfer in unseren Kniegelenken jedoch verschlissen sind, ist guter Rat teuer.
Kaum jemand macht sich über seinen Gelenkknorpel Gedanken, so lange alles in Ordnung ist und die Gelenke nicht schmerzen. Wenn die natürlichen Stoßdämpfer in unseren Kniegelenken jedoch verschlissen sind, ist guter Rat teuer. Immer noch wird zu oft und zu schnell zum Gelenkersatz geraten – der ist zwar so nah am Originalgelenk wie noch nie zuvor, dennoch gehören für den Empfänger einer Totalendoprothese viele Aktivitäten damit für immer der Vergangenheit an. Dabei gibt es heute durchaus Möglichkeiten, diesen letzten Schritt zumindest hinauszuschieben: Auch Patienten, die schon eine regelrechte Behandlungsodyssee hinter sich haben, kann oft noch geholfen werden. Orthopress sprach in Freiburg mit Dr. Axel Kentsch, bis 1997 Chefarzt der Sportklinik Stuttgart, der heute in der neu eröffneten Praxisklinik 2000 operativ tätig ist. Sein Tätigkeitsschwerpunkt ist die Behandlung von mehrfach voroperierten Patienten, denen bislang nicht oder nur bedingt geholfen werden konnte.
Herr Dr. Kentsch, welche Fortschritte hat die Behandlung degenerativer Erkrankungen des Kniegelenks in den letzten Jahren gemacht?
Dr. Kentsch: Durch das bessere Verständnis von Anatomie und Biomechanik einerseits sowie die Einführung der Arthroskopie auf breiter Front andererseits, hat die operative Behandlung des Kniegelenkes in den letzten 20 Jahren einen vehementen Aufschwung erfahren. Fortschritte wurden vor allen Dingen auf dem Gebiet der erhaltenden Meniscuschirurgie, der Wiederherstellungschirurgie im Bereich der Bänder und der operativen Arthrosebehandlung erzielt. Vermehrte Aufmerksamkeit haben dabei die verbesserten Verfahren zur Knorpelregeneration bzw. Knorpelersatz erfahren. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um die Abrasionsarthroplastik, die Mosaikplastik und den autologen Knorpelzellersatz (ACT). Insbesondere beim ACT wurden in letzter Zeit aufgrund intensiver wissenschaftlicher Forschungsarbeit starke Fortschritte erreicht. Durch die enge Verbindung von Wissenschaft und Industrie konnten gerade in Freiburg richtungsweisende Verbesserungen erzielt werden, wenngleich das Problem der Arthroseentstehung, der Arthroseprophylaxe und der Heilung grundsätzlich noch nicht gelöst ist.
Aber selbst, wenn man die Arthrose heute durch eine ganze Reihe von Maßnahmen aufhalten kann, bleibt doch meist die Ursache bestehen. Was kann man dagegen tun?
Dr. Kentsch: Vielen Arthrosekranken kann durch entlastende Umstellungsoperationen durchschlagend geholfen werden. Viele Arthrosen beruhen ja auf einer Achsenfehlstellung der Extremität (O- oder X-Beine), wodurch es zu einer einseitigen Belastung einer Lauffläche des Gelenks kommt. Wenn man diese operativ beseitigt, so kann man damit sicherlich einem weiteren Fortschreiten der Erkrankung entgegenwirken und den Behandlungserfolg maximieren. In vielen Fällen läßt sich so die Implantation von Kunstgelenken um Jahre hinaus schieben oder ganz vermeiden.
Oftmals sind Patienten nach mehreren Eingriffen entmutigt, weil ihnen scheinbar nichts geholfen hat. Welche Hoffnungen darf ein mehrfach operierter Patient überhaupt noch haben, dass ihm ohne Knieprothese geholfen werden kann?
Dr. Kentsch: Aufgrund der zahlenmäßig erheblichen Zunahme von Wiederherstellungsoperationen am Bandapparat sehen wir vermehrt Fälle, bei denen die Patienten vom Operationsresultat – oft nach Mehr- oder Vielfachoperationen – enttäuscht sind und „die Flinte ins Korn geworfen haben“. Dies muß nicht sein, denn nach gründlicher Analyse und durch Ausschöpfung aller therapeutischen Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, können viele Patienten „aus dem Sumpf gezogen werden“. Ziel aller Verfahren ist immer die Wiederherstellung einer möglichst natürlichen Anatomie mit guter Beweglichkeit und Belastbarkeit und mit möglichst großer Beschwerdefreiheit. Interessanterweise kann auch in schwierigen Situationen oft durch kleine Maßnahmen geholfen werden, aber nicht selten kann das gesteckte Ziel nur durch aufwendigste Komplexchirurgie erreicht werden.
Warum sind in der Vergangenheit so viele Knieoperationen mißlungen?
Dr. Kentsch: Diese komplizierten Eingriffe waren und sind wenigen Spezialisten in Deutschland vorbehalten, die eine breite Ausbildung und die Langzeiterfahrung bei der Behandlung von scheinbar hoffnungslosen Fällen haben. Insbesondere bei deformierenden Arthrosen, Schwerstzuständen nach Voroperationen, missglückten Kniescheibenstabilisierungen, nach sog. „lateral Release“ und bei Zuständen von schwerer hinterer oder lateraler Knieinstabilität ist es wichtig, das Ergebnis eines Eingriffs korrekt einschätzen und entsprechend planen zu können.
Manchmal scheint es, dass viele Patienten die Funktionsabläufe in ihren Gelenken nicht oder nur ungenügend kennen. Wie wichtig ist die Aufklärung für die Kniechirurgie?
Dr. Kentsch: In allen Fällen bildet die Präzise und vom Patienten verstehbare Aufklärung über die therapeutischen Optionen die Grundlage für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. Man muß bedenken, dass gerade beim voroperierten Knie und nach größeren Eingriffen eine mehrmonatige differenzierte Rehabilitationsphase nötig werden kann, in der vom Patienten, Therapeuten und Arzt alles abverlangt wird. Um so wichtiger ist, dass der Patient auch tatsächlich versteht, was für ein Eingriff vorgenommen wurde und wie er sich verhalten muss, um ein möglichst optimales Ergebnis für sich und sein weiteres Leben zu erreichen.
Herr Dr. Kentsch, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
aus ORTHOpress 1 | 2002
Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.