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Kinderorthopädie

Wachstumsschmerzen oder doch mehr?

Close-up of a orthopedic physician looking at the medical scan of a patient on his digital tablet. Cropped shot of doctor reviewing patients leg x-ray on his tablet pc.

Dem Knochenkrebs auf der Spur

Es fängt oft ganz harmlos an. Das Kind – meist sind es Jungen – klagt über nächtliche Schmerzen  z.B. im Knie. Ein Sturz, ein Aufprall oder eine Rempelei beim Fußballspielen in den letzten Tagen sind schnell als Ursache gefunden. Wenn aber die Schmerzen nun gar nicht nachlassen und die Schwellung nicht zurückgeht, wird es nach einiger Zeit dann doch dem Hausarzt vorgestellt. Die Behandlungen mit Salben und Umschlägen bringen aber nicht den gewünschten Erfolg. Der ersten Röntgenaufnahme folgen schnell weitere Untersuchungen und auf einmal ist der Alptraum aller Eltern wahr geworden: das eigene Kind leidet an einem der seltenen Tumoren der Knochen.

Nun ist aber nicht Knochentumor gleich Knochentumor. Sie gehen zwar alle von Knochenzellen aus, können aber feingeweblich unterschiedlich differenziert sein und damit auch ein unterschiedliches Wachstumsverhalten zeigen. So gibt es welche, die eher knochenartige Zellen bilden, andere sind vom Aufbau eher knorpelartig. Allein unter den bösartigen Formen – ganz zu schweigen von den vielen gutartigen – werden von der WHO, der Weltgesundheitsbehörde, etwa 20 verschiedene Unterarten unterschieden. Die häufigste bösartige Form ist das Osteosarkom, das aus Knochengrundsubstanz, dem sogenannten Knochenzement besteht und sich vor allem an den langen Röhrenknochen der Oberarme und Beine entwickelt, in der Hälfte der Fälle im Bereich der Knie. Betroffen sind überwiegend männliche Teenager und junge Erwachsene bis zum 25. Lebensjahr. Osteosarkome können schon relativ früh Tochtergeschwülste – etwa in der Lunge – bilden.

Der zweithäufigste bösartige Knochentumor ist das nach seinem Erstbeschreiber benannte Ewing-Sarkom, das nicht nur an den Röhrenknochen auftritt, sondern auch an platten Knochen wie im Beckenbereich, an den Rippen oder an der Wirbelsäule. Dieser sehr aggressiv wachsende Tumor, der vom Knochenmark ausgeht, kommt auch schon bei kleinen Kindern vor. Statistisch gesehen auch wieder häufiger bei Jungen als bei Mädchen.

Knochentumoren treten aber nicht nur bei Kindern und Jugendlichen auf. Das Chondrosarkom, das vom Knorpelgewebe seinen Ausgang nimmt, befällt eher Menschen, die das 40. Lebensjahr überschritten haben. Es tritt besonders häufig im Schulter- und Beckenbereich und am oberen Ende von Oberarmen und Oberschenkeln auf.

Die Ursachen für die Entstehung von Knochentumoren sind bis heute noch weitgehend unbekannt. Für einige Formen werden genetische Veränderungen vermutet und die Forschung hat auch schon einige Krebsgene entdeckt, die in Zusammenhang mit der Erkrankung stehen. Man weiß auch, dass Kinder, die an einem sehr seltenen, familiär vorkommenden, bösartigen Augentumor leiden, häufig auch ein Osteosarkom entwickeln. In seltenen Fällen entstehen Knochentumore auch in Bereichen, die früher einmal aufgrund anderer Erkrankungen bestrahlt wurden.

Insgesamt stellen primäre Knochentumore, also solche, die ihren Ursprung direkt im Knochen haben, eine eher seltene Erkrankung dar, wobei nur 25% der Fälle bösartig sind. Wesentlich häufiger bilden sich in den Knochen – besonders im höheren Lebensalter – Absiedlungen anderer bösartiger Grunderkrankungen. Bekannt ist dies z.B. bei Lungen-, Brust- und Prostatakrebs.

Die Hinweise auf einen Knochentumor sind unspezifisch und werden meist zunächst mit Verletzungen oder Wachstumsbeschwerden in Zusammenhang gebracht. Schmerzen – besonders auch nachts – und manchmal Schwellung der betroffenen Region sind die ersten Krankheitszeichen. Beim Ewing-Sarkom tritt hin und wieder auch Fieber auf. In der Regel erfolgt eine Röntgenaufnahme zur Abklärung erst nach einiger Zeit, wenn sich die Beschwerden gar nicht gebessert haben. Wird dann der Verdacht auf einen Knochentumor geäußert, sollte die weitere Diagnostik in einem Zentrum erfolgen, das spezielle Erfahrung mit diesen seltenen Tumoren hat. Auch wenn es nicht sehr viele Zentren dieser Art gibt, sollten Eltern aber nicht den u.U. weiten Weg scheuen und ihre Kinder dort vorstellen. Meist sind weitere Zusatzuntersuchungen erforderlich wie z.B. Computertomographie oder Kernspintomographie, Knochenszintigraphie, Ultraschall und Laborwerte. Letzte Sicherheit bei der Diagnose bringt aber nur eine Probeentnahme (Biopsie). Die feingewebliche Beurteilung unter dem Mikroskop sollte durch erfahrene Spezialärzte erfolgen, denn von dieser Diagnose hängt die weitere Behandlung ab. Um eine bereits erfolgte Weiterverbreitung (Metastasierung) festzustellen, können auch noch andere Untersuchungen wie z.B. Gefäßdarstellungen (Arteriogramm) eingesetzt werden.

Die Behandlung ist vom Tumortyp abhängig und besteht in der Regel aus einer Kombination von verschiedenen Methoden, chirurgisch, medikamentös und mit Strahlen. In der Bundesrepublik werden zur Zeit etwa 90% der betroffenen Kinder in pädiatrisch-onkologischen Zentren nach bundeseinheitlichen Konzepten behandelt. Durch Vergleich der dabei gewonnenen Erkenntnisse ist es in den letzten Jahren gelungen, die Behandlungen immer weiter zu verbessern, so dass es heute wesentlich bessere Heilungschancen gibt als noch vor wenigen Jahren.

Patienten mit Osteosarkomen erhalten meistens zunächst eine Chemotherapie, um zum einen den Tumor zu verkleinern, und zum anderen die möglicherweise schon bei Diagnosestellung vorhandenen kleinsten Absiedlungen in den Lungen zu zerstören. Dadurch gelingt es, vielen Patienten die sonst nach einiger Zeit auftretenden Lungenmetastasten zu ersparen. Erst nach dieser ersten medikamentösen Therapie erfolgt die Operation mit Entfernung des Tumors. Früher mussten in der Regel die betroffenen Gliedmaßen amputiert werden. Heute gelingt es in mehr als zwei Dritteln der Fälle, sie zu erhalten. An die Operation schließen sich dann weitere Chemotherapiezyklen an. Kinder mit einem Ewing-Sarkom werden ähnlich behandelt, aber zusätzlich oft noch bestrahlt. Beim Chondrosarkom, das häufig nicht besonders gut auf eine Chemotherapie anspricht, ist die Operation die Therapie der Wahl. Dabei wird der Tumor mit einem schmalen Streifen gesunden Gewebes rundherum entfernt. So soll das Auftreten von Rezidiven verhindert werden.

Nach abgeschlossener Behandlung bleiben die Patienten über Jahre hinweg in der weiteren Nachsorge. In regelmäßigen, zunächst sehr kurzfristigen, später dann in längeren Abständen erfolgen gründliche Untersuchungen. Ziel ist es, so früh wie eben möglich zu erfassen, ob die Erkrankung wieder auftritt oder Absiedlungen gebildet hat. Denn auch Rezidive und Metastasen können heute oft noch geheilt werden. Zusätzlich wird aber auch der allgemeine Gesundheitszustand der oft noch jungen Patienten überprüft. Manchmal haben nämlich die doch sehr aggressiven Therapien Schäden an anderen Organen wie z.B. dem Herzen oder den Nieren zur Folge. In den Fällen, in denen die Gliedmaßen nicht erhalten werden konnten und Prothesen angefertigt werden mussten, können diese bei den Kontrollen überprüft und dem Wachstum angepasst werden. Ein wichtiger Aspekt der Nachbetreuung ist auch der psychische Beistand, denn solch eine Krankheit geht nicht spurlos an den Betroffenen und deren Familien vorbei. Die heute doch sehr guten Heilungschancen haben einen hohen Preis. Die Kinder müssen nicht nur sehr strapaziöse und oft auch schmerzhafte Behandlungen ertragen. Sie sind auch u. U. über Wochen von zu Hause, ihrer Familie und ihrem sozialen Umfeld getrennt und liegen in einer weit entfernten Klinik. Diese Erfahrungen müssen auch bei einer Heilung verarbeitet werden und erfordern oft professionellen Beistand. Es dauert seine Zeit bis die Kinder und Jugendlichen ihren Platz im Leben wiederfinden. Aber der Aufwand lohnt sich, denn mit diesen aufwendigen Therapien können beim Osteosarkom z.B. heute – je nach Tumorgröße bei Diagnosestellung – bis zu 80 Prozent der Betroffenen von ihrer Erkrankung geheilt werden, während 1970 nur 5 Prozent der an Osteosarkomen erkrankten Patienten überlebten. Auch beim Ewing-Sarkom, das bis vor wenigen Jahren eigentlich noch als unheilbar galt, liegen die Gesundungsraten inzwischen bei über 50 Prozent. Mittlerweile leben in Deutschland über 25000 Menschen, die in ihrer Kindheit irgendwann einmal an Krebs erkrankt waren und heute vielfach ein völlig normales Leben führen.

So beeindruckend die Erfolge inzwischen auch sind, so wird doch mit Hochdruck in der Forschung weiter gearbeitet, vor allem, um die auftretenden Spätfolgen zu erfassen und in Zukunft vermeiden zu können. Ein weiterer Forschungsschwerpunkt sind aber auch die Krankheiten selber, deren Eigenschaften und Besonderheiten besser erkannt werden sollen. Anhand dieser besonderen Tumormerkmale können dann noch effektivere und nebenwirkungsärmere Therapien entwickelt werden. Ein anderer wichtiger Zweig der Forschung beschäftigt sich mit der Genetik der Knochentumoren. Inzwischen geht man davon aus, dass es sich zumindest bei einigen Formen um genetische Erkrankungen handelt, an deren Entschlüsselung die Wissenschaftler intensiv arbeiten. Aber bis zur praktischen Umsetzung ist noch ein weiter Weg, denn das Wissen allein, dass bestimmte Gene eine Krankheit auslösen, fördern oder verhindern können, reicht in der Regel nicht aus, daraus entsprechende Therapien zu entwickeln.

Aus ORTHOpress 1 | 2002

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.