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Knie

Karbonfaserstiftung bei Kniegelenksarthrose

Digital composite of Highlighted knee of injured man

Kann der Einbau eines künstlichen Kniegelenks vermieden werden?

Der Gelenkknorpel ist das am stärksten belastete Gewebe des Körpers. Seine Zerstörung führt unweigerlich zur Arthrose, da er nur über eine außerordentlich geringe Regenerationsfähigkeit verfügt. Ist das Endstadium einer Kniegelenkarthrose erreicht, hilft zur Erhaltung der Beweglichkeit nur noch der Einbau eines künstlichen Kniegelenks.

Umso wichtiger ist es, die Integrität des Knorpelgewebes möglichst lange zu erhalten. Sportliche Aktivität, berufliche Überlastungen sowie altersbedingte Veränderungen führen zu traumatischen oder degenerativen Schäden. Die Folgen sind Schmerzen und Beweglichkeitseinschränkungen, die Aktivitäten in Beruf oder Freizeit (Sporttreiben, Wandern etc.) erheblich beeinträchtigen, ja diese sogar unmöglich machen können. Leichtere Schäden werden meist konservativ physiotherapeutisch behandelt. Versagen diese Maßnahmen beim fortgeschrittenen Knorpelschaden, werden operative Methoden notwendig. Eine Methode, um die Implantation eines künstlichen Gelenks aufzuschieben oder zu vermeiden, ist der Einsatz von Karbonfaserstiften. ORTHOpress sprach mit dem Darmstädter Orthopäden Dr. Adrian Chinta.

Herr Dr. Chinta, warum ist der Gelenkknorpel so wichtig für uns?

Dr. Chinta: Der Knorpel unseres Kniegelenks ist unser natürlicher Stoßdämpfer. Er muss bei Bewegung unser Gewicht abfangen und unsere Gelenke so vor Beschädigung schützen. Degeneriert der Knorpel, so kann er seine Funktion im Gelenk nicht mehr zufriedenstellend ausführen. Die Folge sind starke, immer weiter zunehmende Schmerzen und eine Bewegungseinschränkung, die bis hin zur Immobilität geht. Für viele Patienten ist dies der Anfang einer Invalidität und Verlust der sozialen Kontakte, wenn nicht rechtzeitig eingegriffen wird.

Wie kann ein solcher Knorpelschaden behandelt werden?

Dr. Chinta: Reizzustände, die häufig durch Abrieb der geschädigten Knorpelfläche entstanden sind, werden erheblich gelindert durch die Abtragung, Umformung und Glättung der betroffenen Knorpelareale z.B. mit dem Shaver oder dem Laser. Bei begrenzten Knorpelschäden können auch z.B. eine Knorpel-Knochenzylinder-Transplantation oder Chondrozytenimplantation durchgeführt werden. Die größte Herausforderung stellen jedoch die großen, ausgedehnten Knorpeldefekte dar, die zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führen. Diese sowohl durch Ruhe- als auch Belastungsschmerz gekennzeichnete Situation zwingt nicht selten zu endgültigen Radikalmaßnahmen wie dem Einbau eines künstlichen Kniegelenkes. Die wegen der begrenzten Lebensdauer der Gelenkprothesen vorprogrammierte Wechseloperation bedingt den Versuch, deren Einbau so lange wie nur möglich zu verzögern, was nur durch die Wiederinstandsetzung der Knorpeloberfläche erreicht werden kann.

Zur Wiederherstellung der defekten Knorpelareale werdenVerfahren angewandt, die die Fähigkeit der Knochenzellen ausnutzen, in bestimmten Situationen einen etwas minderwertigen sog. »Faserknorpel« zu bilden. Bei der Abrasionsarthroplastik und der Mikrofrakturierung wird zum Beispiel die knorpellose Gelenkoberfläche »angefrischt«, d. h. es wird bis in die blutführenden Schichten hineingefräst, um das Wachstum von Ersatzknorpel zu stimulieren. Auch so genannte »Pridie-Bohrungen« sollen den Transport der wichtigen, zur Regeneration notwendigen Stoffe sicherstellen. Lediglich die Implantation von Karbonfaserstiften erreicht jedoch die auch bei Knochendurchblutungsstörungen meist tiefer im Knochen vorhandenen, noch »lebendigen« Strukturen, die dann auch über einen wesentlich längeren Zeitraum als bei den anderen Methoden zur Produktion des Faserknorpelregenerates angeregt werden.

Wie funktioniert die Karbonfasermethode?

Dr. Chinta: Hierbei werden Kohlenstoffstifte in die lädierte Gelenkoberfläche eingepflanzt, die mit einer besonderen Umhüllung versehen sind. Sie setzen einen sehr intensiven Reiz zur Bildung von Faserknorpel, halten die Bohrkanäle offen, fördern die Vermehrung von Reparaturzellen und erleichtern über die spezielle äußere Karbonfaserverflechtung die Zellenverbreitung auf dem Knochendefekt. An diesen großflächigen Stellen mit totalem Knorpeldefekt werden der bloßliegende, verhärtete Gelenkknochen zuerst abradiert, zusätzlich bis in das normal durchblutete Knochengewebe mehrfach durchbohrt und in die entstandenen Bohrkanäle Karbonfaserstifte eingeführt. Sie regen gleichzeitig das Wachstum von Bindegewebszellen aus der Tiefe an, die sich, an der Gelenkoberfläche angelangt, durch Bewegung in Knorpel umwandeln und so die vorherigen Knorpeldefekte wieder ausfüllen. Das aus dieser Behandlung resultierende »neue« Knorpelgewebe heißt »Faserknorpel« und verfügt über eine etwas geringere Belastbarkeit als diejenige des normalen, hyalinen Knorpels. Bereits nach vier Wochen lässt sich diese aktive Regeneration im Gelenk nachweisen. Im Endergebnis hat man nach einigen Monaten eine neue knorpelige Gelenkoberfläche, quasi eine »BIOPROTHESE«.  

Warum ist es notwendig, die Bohrkanäle offen zu halten? Was ist der Vorteil gegenüber einer einfachen Pridie-Bohrung?

Dr. Chinta: Das Problem ist, dass ohne Hilfsmittel nur über eine relativ kurze Zeit hinweg die zum Knorpelaufbau notwendigen Stoffe an die Gelenkoberfläche transportiert werden – bis die künstlich geschaffene Knochenwunde abheilt. Danach wird kein Knorpelersatzgewebe mehr gebildet. Hinzu kommt, dass sich mit dem Alter die Durchblutung der Organe verschlechtert, so dass auch die Effizienz der Knorpelreparaturtechniken abnimmt. Aus diesem Grund ist es umso wichtiger, Methoden zu wählen, die am wirkungsvollsten und am längsten diese Faserknorpelbildung fördern. Neuere Beobachtungen haben noch fünf Jahre nach der Karbonfaserstiftimplantation eine weiterhin anhaltende Faserknorpelbildung feststellen können und Situationen, in denen dadurch der Einbau eines künstlichen Gelenks um zehn Jahre verzögert wurde, sind keine Einzelfälle.

Wie lange dauert die Behandlung mit den Karbonfaserstiften, und wie lange muss der Patient sich danach schonen?

Dr. Chinta: In den meisten Fällen handelt es sich um einen relativ kleinen Eingriff, der durchweg arthroskopisch durchgeführt wird. Häufig sind die Schmerzen sofort nach der Operation verschwunden. Nach wenigen Wochen kann mit dem betroffenen Bein in Maßen wieder aufgetreten werden – Gehhilfen müssen jedoch je nach Schadengröße eine Zeit lang benutzt werden. Nach etwa zwölf Wochen ist dann die volle Belastbarkeit gegeben, so dass auch sportliche Aktivitäten wie Fahrradfahren, Schwimmen, Golf-Spielen etc. wieder möglich sind.

Kann allein mit der »Reparatur« des Knorpels die Arthrose aufgehalten werden?

Dr. Chinta: Die Wiederherstellung der Knorpelflächen spielt bei der Arthrosebehandlung zwar die zentrale Rolle, gute Langzeitergebnisse können jedoch nur erwartet werden, wenn alle anderen krankhaften Begleitveränderungen, wie Durchblutungsstörungen und vor allem die Beinachsenfehlstellung, berücksichtigt und wenn möglich beseitigt werden. Die Kniegelenkarthrose lässt sich heute in beinahe jedem Stadium behandeln und der Einbau eines künstlichen Gelenks lässt sich vermeiden oder verzögern, es gibt dafür jedoch keine »Allheilmethode«. Im Gegenteil, umso wichtiger ist eine individuelle Knorpelschadenbeurteilung und dadurch eine adäquate Auswahl der geeignetsten, auf den jeweiligen Fall bezogenen Methode zur Erreichung der bestmöglichen Wiederherstellung der Gelenkfunktion. Deshalb gehört die operative Therapie der Arthrose in die Hand des erfahrenen Spezialisten, der möglichst alle dieser Verfahren beherrscht und am besten beurteilen kann, welche Methode in welchem Fall zum Einsatz kommen soll.

Herr Dr. Chinta, haben Sie vielen Dank für das Gespräch!

aus ORTHOpress 2 | 2002

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.