Mit Botuliumtoxin das Übel besiegen
Peinlich sind sie schon: Die ständigen nassen Flecken an der Kleidung unter den Achselhöhlen, die Schweißfüße oder die permanent feuchten Hände. Da der Schweiß in aller Regel nicht geruchsneutral ist, erlebt so manch einer die soziale Unverträglichkeit hautnah.
Spätestens im Sommer schwitzt jeder einmal, doch für manche Menschen ist das Schwitzen 365 Tage im Jahr ein echtes Problem: Hyperhidrosis heißt der medizinische Fachausdruck für diese zwar nicht gefährliche, aber umso lästigere Erscheinung. Die Schweißdrüsen der Haut werden durch Freisetzung von Mediatoren des vegetativen Nervensystems stimuliert. Dieses unwillkürliche Nervensystem steuert zahlreiche Körperfunktionen ohne unser Dazutun, denn es funktioniert autonom. So regelt es auch den Wärmehaushalt, indem es z.B. die Drüsen zur Schweißproduktion anregt. Ein ganz normaler Vorgang bei den meisten Menschen. Bei manchen jedoch ist die Ruheaktivität des vegetativen Nervensystems erhöht. Bei anderen erfolgt auf nur geringe Stressreize eine Überreaktion. In beiden Fällen ist unangepasstes Schwitzen die Folge.
Früher gab es nur die radikale Lösung
„Am häufigsten bemerkbar macht sich diese Tatsache dann an den Stellen mit den meisten Schweißdrüsen: In den Achselhöhlen, an Händen und Füßen sowie im Bereich des Haaransatzes und der Stirn“, weiß Dr. Rainer Saffar, ärztlicher Leiter der Klinik am Tor in Emmendingen. „Allerdings kommen auch immer mehr Patienten zu uns wegen abnormer Schweißproduktion am gesamten Körper.“
Da, wo kein noch so häufiges Waschen, kein Deodorant oder Antitranspirant mehr hilft, half bis vor kurzem nur eine Radikaloperation: Entweder die Entfernung der Schweißdrüsen mittels einer speziellen Technik, bei der sie aus der Haut herausgeschabt werden, oder eine sehr aufwendige Operation, bei der die im Brustkorb gelegenen Nervenknoten, die die Impulse weiterleiten, zerstört werden.
Mit Botulinum die Schweißdrüsen elegant ausschalten
Diese radikalen Zeiten sind nun dank einer neuen Methode vorbei: Die Behandlung mit Botulinumtoxin hat die Therapie der Hyperhidrosis revolutioniert. Botulinum ist ein auch natürlicherweise vorkommendes Bakterieneiweiß, dessen Wirkung man sich in der Medizin schon seit vielen Jahren zunutze macht. Wurde es ursprünglich in der Schmerztherapie zur Entspannung von Muskelverkrampfungen eingesetzt, hat es heute auch einen weiten Bekanntheitsgrad in der ästhetischen Chirurgie bei der Behandlung von Gesichtsfalten erlangt. Seit neuestem kann dieses Medikament auch in der Therapie der Hyperhidrosis sehr erfolgreich eingesetzt werden.
Der Typ A dieses hoch wirksamen Giftes wird stark verdünnt in die Bereiche der Schweißdrüsen injiziert, wo es eine Hemmung der Acetylcholinfreisetzung bewirkt. Dieses ist der Mediator, der für die Ausschüttung des Schweißes verantwortlich ist. Zuvor werden die entsprechenden Stellen anhand eines Jod/Stärketests markiert. Die ganze Prozedur dauert dann je nach zu behandelnder Fläche nur 15 bis 30 Minuten. Nach drei bis sechs Tagen versiegt die Schweißproduktion zumeist komplett, und der geplagte Patient hat Ruhe vor dem lästigen Übel. Andere Funktionen der Haut, wie der Tastsinn, werden durch dieses Verfahren nicht beeinflusst.
Meistens ist nur eine Sitzung erforderlich
„Zu über 80 Prozent ist der Eingriff schon bei der ersten Sitzung erfolgreich. Die Behandlung ist kostengünstiger und nebenwirkungsärmer als eine Operation“, so Dr. Saffar. „Sie ist zudem eine ideale Ergänzung zu unserem Spektrum in der plastisch-ästhetischen Chirurgie, für die wir ja eigentlich bekannt sind.“
Sollte in seltenen Fällen der Erfolg nicht ausreichend sein, besteht immer noch die Möglichkeit, die Injektion zu wiederholen. Eine mehr als einmalige Wiederholung ist allerdings nicht angebracht, da die Erfahrung gezeigt hat, dass etwa fünf Prozent aller Behandelten auch auf weitere Injektionen nicht ansprechen. Bei diesen so genannten Nonresponder ist dann immer noch die operative Entfernung der Schweißdrüsen möglich.
Nebenwirkungen sind kaum zu erwarten
Nebenwirkungen sind bei sachgemäßer Handhabung kaum zu erwarten. Ganz selten berichten Patienten über Kopfschmerzen, die mit den üblichen Schmerztabletten allerdings sehr gut in den Griff zu bekommen sind. Wird die Substanz in die unter der Haut gelegene Muskulatur injiziert, kommt es lokal zu einer vorübergehenden Hemmung der Impulse für diese Muskeln, so dass sie nicht mehr angespannt werden können. Dieses sind aber genau die Vorteile, die man sich bei der Schmerztherapie von verspannten Muskeln zunutze macht. Auch die Faltenunterspritzung der Krähenfüße oder Zornesfalten basiert auf genau diesem Prinzip.
„Die Injektionen wären sehr schmerzhaft, wenn wir nicht die diversen Betäubungsverfahren, die uns für diese Fälle zur Verfügung stehen, nutzen würden“, berichtet Dr. Saffar. Und er weiß, wovon er spricht, schließlich ist er Facharzt für Anästhesie. So wird denn der Eingriff meistens in örtlicher Betäubung vorgenommen und kann bei ängstlichen Patienten mit einem Dämmerschlaf (sog. Analgosedierung) kombiniert werden.
aus ORTHOpress 04|2002
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