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Krankheitsbilder

Hilfe bei Arthrose auf molekularbiologischer Grundlage

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Neuer Therapieansatz mit Orthokin

Der Arthrose, also dem meist durch Verschleiß bedingten Knorpelabbau in den Gelenken, stand man bis vor wenigen Jahren noch relativ machtlos gegenüber. Solange die molekularbiologischen Zusammenhänge nicht bekannt waren, hatte man außer ein paar allgemeinen Ratschlägen oder Kortisonspritzen als ultima ratio keine wirkungsvollen Therapien zur Verfügung. Die Forschung in den letzten Jahren hat aber gerade auf diesem Gebiet enorme Fortschritte gemacht. Die Entstehungsbedingungen für eine Arthrose sind zwar noch nicht bis ins Letzte geklärt, doch konnten auf Grund der neuen Erkenntnisse effektive Behandlungsansätze entwickelt werden, die die Krankheit ursächlich angehen.

„Bei der Entstehung der Arthrose spielen die so genannten Zytokine eine wichtige Rolle. Sie sind wesentlich verantwortlich für die entzündlichen und degenerativen Veränderungen im Gelenk. Diese Botenstoffe des körpereigenen Abwehrsystems stehen beim Gesunden mit ihren natürlichen Gegenspielern, den Antizytokinen, in einem ausgewogenen Gleichgewicht. Heute weiß man, dass es z.B. durch mangelnde Bewegung oder permanente Fehlbelastung zu einer Störung dieser Balance kommt mit einem Übergewicht an Zytokinen“, erklärt der Berliner Orthopäde Dr. Christian Roggenbuck. Sein Kollege Dr. Gabriel Buntin ergänzt: „Der bekannteste Vertreter der Zytokine ist das Interleukin-1. Dessen Gegenspieler, der Interleukin-1-Rezeptorantagonist IL-RA, auch Anti-Interleukin-1 genannt, blockiert, wie der Name sagt, die Bindungsstelle für das Interleukin, so dass es seine Wirkung nicht entfalten kann. Mit modernsten biotechnischen Methoden ist es nun gelungen, die körpereigene Produktion dieses Antizytokins zu erhöhen. Dadurch wird der zerstörerischen Wirkung der Zytokine Einhalt geboten und der Knorpelabbau gestoppt.“

Orthokin: nicht nur Knie, auch Schulter, Hüfte und Wirbelsäule profitieren

Bekannt geworden ist dieses neue Verfahren als Orthokin-Therapie. Inzwischen wurde es weltweit an mehreren Tausend Patienten erprobt. Stand zunächst die Behandlung der Kniearthrose im Vordergrund, wird heute Orthokin auch an anderen Gelenken, wie Schulter oder Hüfte, erfolgreich eingesetzt. Auch Bandscheibengewebe besteht aus Knorpel, so dass auch hier die Zytokine ihre verhängnisvolle Wirkung entfalten können, die sowohl an den Wirbelgelenken als auch an den Nervenwurzeln zur Reizung und schließlich Zerstörung vieler Strukturen führen kann. Untersuchungen haben gezeigt, dass auch hier durch eine gezielte Einspritzung von Anti-Interleukin-1 eine Reizberuhigung am Nerven und ein Stopp der Veränderungen am Knorpel einsetzen kann.

Die Herstellung: individuelles Präparat mit modernster Technik

Wie erfolgt nun die Therapie? Dr. Roggenbuck beschreibt den Ablauf der Behandlung: „Bei der Therapie mit Orthokin wird dem Patienten mit einer speziellen Spritze Blut aus einer Armvene entnommen. Durch die besondere Beschichtung der Innenfläche der Spritze werden die im Blut enthaltenen weißen Blutkörperchen angeregt, die bestimmten Hemmstoffe des Immunsystems wie Anti-Interleukin-1 zu produzieren. Innerhalb kurzer Zeit steigt die Konzentration der Interleukin-Antagonisten etwa um den Faktor Hundert. In speziellen Labors werden diese Hemmstoffe dann von den anderen Blutbestandteilen isoliert. Anschließend wird die so gewonnene Injektionslösung aufgeteilt und in Portionen zu 2 ml tiefgefroren. Nach und nach kann dann der Arzt das Präparat den Patienten in die betroffenen Gelenke injizieren.“

Die Injektionen erfolgen zunächst in wöchentlichen Abständen. Je nach Besserung der Beschwerden und Zunahme der Beweglichkeit können nach etwa drei Wochen die Abstände vergrößert werden. Bei 50 bis 80 Prozent der Behandelten tritt ungefähr drei Wochen nach der ersten Injektion eine lang anhaltende Beschwerdebesserung ein. In einer kontrollierten Studie in den USA wurde nach drei Monaten eine Erfolgsquote von ca. 75 Prozent beobachtet.

Ausmaß der Knorpelzerstörung vorher bestimmen

„Natürlich kann auch die Therapie mit Interleukin-Rezeptorantagonisten keine Wunder vollbringen“, dämpft Dr. Buntin allzu euphorische Erwartungen. „Voraussetzung für einen Erfolg ist, dass überhaupt noch Knorpelmasse vorhanden ist. Die entzündlichen Prozesse können mit Orthokin zwar zurückgedrängt werden, aber ein einmal eingetretener Knorpelverlust kann nicht wieder rückgängig gemacht werden. Daher sprechen Veränderungen im Anfangs- oder im mittleren Stadium der Arthrose auch besonders gut auf die Behandlung an. Ist der Knorpel erst einmal vollständig zerstört, hilft auch kein Orthokin mehr, dann muss an einen operativen Gelenkersatz gedacht werden.“

Wichtig ist daher, vor einer Behandlung das Ausmaß der Knorpelschädigung genau zu bestimmen. Dazu reicht in der Regel ein einfaches Röntgenbild nicht aus, da damit nur weit fortgeschrittene Schädigungen festgestellt werden können. Üblicherweise wird zur Diagnosesicherung eine Kernspinaufnahme gemacht und/oder eventuell eine Gelenkspiegelung vorgenommen. Letztere hat zudem den Vorteil, dass dabei das betroffene Gelenk von abgesplitterten Knorpelbruchstückchen gesäubert, die rissig gewordene Knorpeloberfläche wieder geglättet und z.B. am Knie gleichzeitig bestehende Meniskusschäden beseitigt werden können. Allerdings sollte nach solch einer Arthroskopie erst einige Wochen später mit der ergänzenden Orthokin-Behandlung begonnen werden. Auch starke entzündliche Veränderungen mit Ergussbildung sollten zunächst vorbehandelt und die Flüssigkeitsansammlung durch Punktion reduziert werden, bevor die Anti-Interleukin-1-Lösung injiziert wird.

Beachtet man diese wenigen Bedingungen, steht dem erfahrenen Arzt mit der Orthokin-Therapie ein sehr sicheres und fast nebenwirkungsfreies Arthrose-Therapeutikum zur Verfügung. Allergische Reaktionen sind nicht bekannt, schließlich handelt es sich um ein Präparat, das aus patienteneigenem Material gewonnen wurde.

Nachbehandlung sichert den Therapieerfolg

Allerdings sollte die Behandlung mit den speziellen Immunstoffen immer in ein therapeutisches Gesamtkonzept eingebettet sein. Darauf weisen Dr. Roggenbuck und Dr. Buntin ausdrücklich hin. Eine anschließende entsprechende Physiotherapie sei wichtig, um Mobilität und Schmerzfreiheit über einen langen Zeitraum zu gewährleisten. Dazu gehören auch die Umstellung und Änderung falscher Lebensgewohnheiten. „Auch die beste Therapie ist nur so erfolgreich, wie es die Mitarbeit des Patienten erlaubt. Seien es nun arthrotische Veränderungen an Schultern, Hüften, Knien oder im Bereich der Wirbelsäule, immer ist es wichtig Übergewicht abzubauen, Fehlhaltungen zu korrigieren, gegen das ‚Einrosten‘ zu arbeiten und sich selbst die Beweglichkeit durch ständiges Trainieren zu erhalten.“

aus ORTHOpress 03|2002
Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.