Wie bei allen Schmerzzuständen des Bewegungsapparates können auch Schmerzen an der Wirbelsäule höchst unterschiedliche Ursachen haben. „Die“ Rückentherapie gibt es nicht, denn eine einzige standardisierte Behandlungsmethode kann niemals allen möglichen Erkrankungen gerecht werden. Orthopress sprach in München mit dem Orthopäden Dr. Gerhard Fischer über die Behandlungsmöglichkeiten der Wirbelsäule.
Herr Dr. Fischer, wann verspricht eine Therapie bei Rückenschmerzen Erfolg?
Die ideale Therapie setzt zunächst immer eine möglichst umfangreiche und genaue Diagnose voraus. Wichtig ist daher ein standardisiertes diagnostisches Vorgehen, welches den genauen Ort der Schmerzverursachung aufdeckt. Erst hierdurch wird eine gezielte, individuell abgestimmte Behandlung ermöglicht. Als komplexes Organ weist die Wirbelsäule eine Vielzahl schmerzverursachender Regionen auf. Die zentrale Bandscheibe kann durch Degeneration oder Rissbildung des bindegewebigen Faserrings mit Ausbildung eines Bandscheibenvorfalles betroffen sein. Die alternde Wirbelsäule dagegen neigt zu Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke (Facetten), Einengung des Rückenmarkkanals (spinale Stenose) oder Knochenschwund (Osteoporose) mit jeweils typischer Schmerzsymptomatik. Neben einer Vielzahl weiterer struktureller Ursachen ist die oft erhebliche psychosoziale Komponente chronischer Rückenschmerzen von Bedeutung.
Aber wie stellt man nun fest, welche Therapie für die eigenen Beschwerden geeignet ist?
Im Vordergrund steht zunächst das ausführliche ärztliche Gespräch, um Ursache und Ausmaß der Schmerzchronifizierung sowie den Umfang der bisherigen therapeutischen Maßnahmen abzuklären. Eine differenzierte Untersuchung des Bewegungssystems, die Planung ergänzend fachübergreifender Zusatzuntersuchungen sowie ein standardisiertes schmerztherapeutisches Vorgehen weisen auf die genaue Lokalisation der Schmerzentstehung hin. Erst nach diesen Untersuchungen wird eine gezielte, individuelle Therapie ermöglicht.
Erste „Stufe“ einer Rückenbehandlung ist oft das Spritzen von Schmerzmitteln. Nimmt diese Behandlung dem Patienten nicht bloß für eine mehr oder weniger kurze Zeit die Schmerzen?
Das ist so nicht ganz richtig. Das Prinzip der rückenmarksnahen Injektion besteht in der Verabreichung eines oder mehrerer Medikamente in den Rückenmarkkanal. Dies sind aber in aller Regel nicht nur schmerzlindernde Medikamente. Die medizinische Grundlagenforschung hat gezeigt, dass bei einem Bandscheibenvorfall neben der direkt mechanischen Nervenkompression vor allem die begleitende Entzündungsreaktion verantwortlich für den oft unerträglichen Schmerz ist. Konsequenterweise werden deshalb entzündungshemmende und abschwellende Substanzen in den Bereich des Bandscheibenvorfalles und die durch ihn entzündlich angeschwollene Nervenwurzel injiziert. Durch die hohe Erfolgsquote bilden rückenmarksnahe Injektionen mittlerweile die Grundlage der Behandlung radikulärer Schmerzen (z.B. Ischiasbeschwerden), verursacht durch einen Bandscheibenvorfall oder die knöcherne Einengung nervaler Strukturen im Rückenmarkkanal. Dabei gibt es heute verschiedenste Methoden der Injektionstherapie. Neben der so genannten „kaudalen epiduralen Injektion“, bei welcher durch eine kleine Öffnung des Kreuzbeines die Nervenwurzeln im Bereich der Lendenwirbelsäule umspült werden, ist man heute bei der schräg epidural-perineuralen Injektion durch die besondere Technik des Einführens in der Lage unmittelbar bis zum Bandscheibenvorfall vorzudringen. Hier genügen wenige Tropfen einer entzündungshemmenden Substanz, um eine Abschwellung des entzündeten Nerven- und Bandscheibengewebes herbeizuführen. Diese Behandlung, die unter CT-Kontrolle erfolgen kann, dauert nur wenige Minuten – eine Sedierung (Betäubung) des Patienten ist meist nicht erforderlich. Hierbei erreicht man meist mit einer einmaligen Injektion bereits eine deutliche Beschwerdelinderung. Der Behandlungserfolg wird dann durch Physiotherapie, medizinische Rehabilitation, Trainingstherapie sowie – wenn nötig – eine Änderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen des Patienten unterstützt.
Wie unterscheidet sich diese Technik vom „Epiduralen Katheterverfahren“ nach Prof. Racz?
Der Wirbelsäulenkatheter nach Prof. Racz stellt eine mögliche Behandlungsmethode bei chronischem Schmerz durch vorgefallenes Bandscheibengewebe oder verwachsenes Narbengewebe nach einer Operation dar. Wie bei den rückenmarksnahen Injektionen auch besteht das Prinzip in der Verabreichung entzündungshemmender, narbenlösender und schmerzlindernder Substanzen am Ort der Schmerzentstehung. Der unter Röntgenkontrolle vorgeschobene flexible Epiduralkatheter ist im Vergleich zu den bloßen Injektionstherapien aufwändiger, scheint jedoch überlegen in der Wirksamkeit bei Schmerzen durch Narbenbildung nach einer bereits erfolgten Bandscheibenoperation. Auch bei ungünstiger Lage eines Bandscheibenvorfalles kann dieser unter Umständen besser erreicht werden. In jedem Fall sollte jedoch vor Anwendung des Katheters das Ergebnis einer vorangegangenen rückenmarksnahen Injektion sowie einer neurologischen und neurochirurgischen Untersuchung abgewartet werden.
Aber wie verfährt man, wenn eine Injektionstherapie nicht Erfolg versprechend erscheint, z.B. bei Verschleißerscheinungen der kleinen Wirbelgelenke (Facettensyndrom)?
Die Nervenendigungen an den Facetten können mit der so genannten Kryoanalgesie ausgeschaltet werden. Dabei wird unter Bildwandlerkontrolle eine Kältesonde an den schmerzenden Nerv herangeschoben und der Nerv buchstäblich „kalt gestellt“. Dieses Verfahren hat sich besonders deswegen bewährt, weil der Nerv nicht für immer verödet, sondern durch den Kälteschock lediglich für längere Zeit betäubt wird. Die Schmerzfreiheit hält bei diesem Verfahren in der Regel etwa zwischen 9 und 18 Monaten an, es gibt jedoch auch vereinzelt Fälle, in denen der Schmerz gar nicht wiederkehrt. Dies schreibt man der Tatsache zu, dass sich während der Zeit der Ausschaltung des Schmerzes das sogenannte „Schmerzgedächtnis“ erholt.
Aber auch schmerzhafte Einrisse im Bereich des Bandscheibenfaserringes können typische, vor allem nach längerem Sitzen auftretende Schmerzen verursachen. Diese behandelt man mit der Radiofrequenz-Thermokoagulation (RFTC). Nach Platzierung einer Hitzesonde in den Bereich des hinteren Bandscheibenfaserringes wird innerhalb von etwa 4 Minuten bei einer Temperatur von ca. 75 °C das Bandscheibengewebe strukturell verändert. Auch so genannte Inflammationsmediatoren (entzündungsfördernde Botenstoffe) und schmerzverursachende Nervenendigungen werden bei diesem Eingriff zerstört. Auf ähnlichem Prinzip beruht die Percutane Laserdiscusdekompression (PLLD), wobei hier die zur thermischen Schrumpfung der Bandscheibe benötigte Hitze nicht mittels elektrischem Strom, sondern durch einen Laserstrahl erzeugt wird.
Einschränkend muss jedoch erwähnt werden, dass die genannten intradiscalen Verfahren meist nur bei jüngeren Patienten mit eindeutiger, begrenzter Indikation wirklich Erfolg versprechend sind.
Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass trotz dieser so genannten „minimalinvasiven“ Verfahren eine Operation irgendwann unumgänglich wird?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Patienten, die nach einer erfolgten Schmerzbehandlung unter ärztlicher Anleitung ein intensives Training der Wirbelsäulenmuskulatur beginnen und so weit wie möglich die Lebensgewohnheiten abstellen, die zu der Schmerzsituation oder dem Bandscheibenvorfall geführt haben, schaffen sicherlich beste Voraussetzungen für eine dauerhafte Beschwerdefreiheit. Wer allerdings nach der Behandlung wieder in die gewohnten alten Verhaltensmuster verfällt und seine Wirbelsäule dadurch weiterhin falsch belastet, der muss sicherlich damit rechnen, dass früher oder später wieder eine Schmerzsituation auftritt. Generell gilt bei Wirbelsäulenbeschwerden aber, dass eine möglichst frühzeitige Erkennung und Behandlung die Chancen einer Genesung maximieren. Dies gilt besonders bei Bandscheibenvorfällen: Ist es erst einmal zu Lähmungserscheinungen oder einer Sequestrierung gekommen, bei der Teile der Bandscheibe abgerissen und in den Rückenmarkkanal eingefallen sind, dann sind die minimalinvasiven Verfahren weitgehend machtlos.
Herr Dr. Fischer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.