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Rücken

Die Vereisung (Kryoanalgesie)

Engraving from "Die descriptive und Topographische Anatomie des Menschen"; by Dr. C. Heintzmann. Published by Wilhem Braumüller, Vienna (1884). Photographed and edited by J. C. Rosemann.

Eines der elegantesten Verfahren zur Schmerzbehandlung an der Wirbelsäule ist die Kryoanalgesie (Vereisung), die heute die verschiedenen Injektionstherapien und thermischen Verfahren zur Nervverödung bei akuten und chronischen Beschwerden immer mehr ersetzt. Der bisherige Leiter der neurochir­urgischen Belegabteilung der Kölner Klinik am Ring Drs. Patrick Simons und sein Partner und Nachfolger Dr. Ringo Möder erläuterten Orthopress im Gespräch die wichtigsten Vorzüge und Einsatzgebiete dieser Technik.

Herr Drs. Simons, obwohl die Kryoanalgesie ein eher junges Verfahren ist, können Sie inzwischen auch hier auf jahrelange Erfahrungen zurückblicken. Haben sich die Erwartungen an diese Methode erfüllt?

Drs. Simons: Auf jeden Fall. Eine kürzlich in unserer Klinik abgeschlossene Studie an rund 600 Patienten hat gezeigt, dass auch ein Jahr nach der Behandlung etwa 70% der Patienten beschwerdefrei sind. Das ist – insbesondere für eine Schmerzbehandlung an der Wirbelsäule – ein großer Erfolg. Wichtig ist auch, dass bei keinem dieser Patienten ernsthafte Komplikationen wie Entzündungen oder Infektionen aufgetreten sind; ein wichtiger Gradmesser für die Verträglichkeit einer Therapie. Die Vereisung ist von uns in den letzten Jahren noch wesentlich verfeinert worden. Man weiß heute, dass man den Schmerz tatsächlich am Nerv selbst bekämpfen muss und nicht etwa am Gelenk. Leider bringt diese Verfeinerung mit sich, dass die Kosten einer Vereisung nur noch von den privaten Kassen übernommen werden.

Für welche Schmerzsymptomatik eignet sich das Verfahren?

Dr. Möder: Haupteinsatzgebiet sind Schmerzen an der Wirbelsäule, die nicht durch einen Bandscheibenvorfall verursacht werden, sondern durch verschleißbedingte Veränderungen an der Wirbelsäule. Häufig lassen sich auch bei einem zu engen Nervenkanal gute Erfolge erzielen, solange noch keine Nervenschädigungen vorliegen. Generell findet diese Methode Anwendung bei einem Schmerz, der nicht durch einen Druck auf einen Nerv ausgelöst wird.

Wie sieht die Behandlung aus?

Dr. Möder: Bei der Kryoanalgesie wird nach einem winzigen Hautstich von nur etwa 2 mm eine spezielle Kältesonde unter Röntgenkontrolle an die schmerzende Nervenfaser herangeführt. Mittels eines kurzen Reizstromimpulses, der über die Spitze der Sonde geschickt wird, kann man dann die richtige Lage exakt ermitteln: Der Patient spürt durch den Strom seinen typischen Schmerz. Dann wird die Spitze der Sonde für wenige Minuten mit Hilfe von flüssiger Kohlensäure auf etwa –60 bis –70 °C abgekühlt. Dadurch wird der schmerzende Nervenast lokal vereist – die Schmerzen verschwinden in vielen Fällen unmittelbar. Bei chronischen Schmerzen kann es aber auch 10–14 Tage dauern, bis das „Schmerzgedächtnis“ gelöst ist.

Die Vereisung wird in Teilbetäubung durchgeführt, da der Arzt die Rückmeldung des Patienten auf den Reizstromimpuls benötigt. Was spürt der Patient von der Vereisung?

Drs. Simons: Von der Vereisung selber in aller Regel nichts – bis auf die Tatsache, dass nach kurzer Zeit die Schmerzen verschwinden. Ein Kältegefühl oder gar Schmerzen treten üblicherweise nicht auf. Die meisten Patienten merken nicht einmal, dass mit der Behandlung bereits begonnen wurde. Über den Reizstrom kontrollieren wir aber, ob der Nerv noch Schmerzen leiten kann bzw. schon weit genug eingefroren ist.

Viele Patienten haben verständlicherweise Angst vor einem solchen Eingriff, weil sie befürchten, dass auch andere Nerven in Mitleidenschaft gezogen werden könnten. Wie hoch sind die Risiken bei der Vereisung?

Dr. Möder: Es ist außerordentlich unwahrscheinlich, dass der Arzt mit der Kältesonde Nerven „trifft“, die er nicht ausschalten will. Dies liegt an der vorherigen Kontrolle der genauen Lage durch den Reizstromimpuls: Bei einer falschen Lage der Sonde würde der Arzt sofort eine Reaktion der Beinmuskulatur bemerken, die ihm sagt, dass die richtige Position noch nicht erreicht ist. Die Lage der Nadel wird korrigiert und erst danach abgekühlt. Auch der Patient kann somit selber die richtige Position überprüfen.

Es gibt ja auch andere Methoden zur Ausschaltung der schmerzenden Nervenfasern, zum Beispiel die Verödung per Laserstrahl. Ist dies nicht im Prinzip das Gleiche, nur dass statt mit Kälte mit Hitze gearbeitet wird?

Drs. Simons: Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass bei der Vereisung der Nerv nicht für immer ausgeschaltet wird. Der Nerv wird bewusst lediglich durch den Kälteschock für eine Zeit von etwa 10–12 Monaten betäubt. Beim Einsatz eines Lasers wird die schmerzende Nervenfaser bei hohen Temperaturen verkocht. Dieser Eingriff ist nicht nur schmerzhafter, sondern verändert auch die Struktur des Nervs. Sie können diesen Vorgang mit dem Einfrieren oder Einkochen von Früchten vergleichen: Nach dem Auftauen erkennen Sie diese wieder, nach dem Einkochen sehen sie jedoch ganz anders aus als vorher.

Nach einer Vereisung kann der Nerv wieder seine normale Funktion erfüllen und über den Zustand der Wirbelsäule berichten. Letztendlich ist der von dem Nerv ausgehende Schmerz ja nur ein Symptom. Nicht der Nerv ist für den Schmerz verantwortlich, sondern vielleicht Haltungsschäden oder eine Dysbalance der Rückenmuskulatur. Die Kryoanalgesie ermöglicht es vor allem, die wirklichen Ursachen in der auf die der Behandlung folgenden Zeit der Schmerzfreiheit zu beseitigen, z.B. durch ein intensives Rückentraining. Wenn der Nerv sich erholt hat, ist also im Idealfall auch die Ursache der Beschwerden behoben.

Aber auch für ältere Menschen, die an starken Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule leiden oder aber an ihrer muskulären Situation nichts mehr ändern können, kann die Vereisung das Mittel der Wahl sein. Da keine Narkose nötig ist und fast keine Verletzung von Muskeln und Gewebe erfolgt, eignet sich die Methode hervorragend zur Therapie von Patienten mit Vorerkrankungen wie koronarer Herzkrankheit oder sonstigen schweren Krankheiten, welche eine Operation ausschließen. Sollten die Beschwerden nach Jahren erneut auftreten, so kann die Therapie wiederholt werden.

Ist nach der Behandlung eine längere Erholung erforderlich?

Dr. Möder: Nein. Es handelt sich ja – wie bereits gesagt – nicht um einen operativen Eingriff. Der Wundschmerz, den das Einführen der Sonde hinterlässt, klingt innerhalb weniger Tage ab. Jüngere Patienten können sofort nach der Behandlung die Klinik verlassen und nach 1–2 Tagen ihrem gewohnten Tagwerk nachgehen. Patienten, bei denen die Hoffnung besteht, dass die Situation, die zum Schmerz geführt hat, durch eine gezielte Physiotherapie oder durch ein Rückentraining behoben werden kann, sollten natürlich so schnell wie möglich entsprechende Maßnahmen ergreifen. Bei älteren Patienten oder Begleiterkrankung wird die Vereisung kurzstationär durchgeführt.

Herr Drs. Simons, Herr Dr. Möder, haben Sie herzlichen Dank für Ihre Ausführungen.

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.