Heilbar ist die Kniegelenksarthrose zwar momentan noch nicht. Es gibt allerdings eine Reihe von Maßnahmen, die mithelfen können, eine Verschlimmerung aufzuhalten. Ist dies nicht mehr möglich, so kann der Einbau eines künstlichen Gelenks über den Ersatz der Gelenkflächen helfen, dem Patienten die Schmerzen weit gehend zu nehmen und so die Lebensqualität zu erhalten. Neue Technologien und Werkstoffe haben auch in der Endoprothetik Einzug gehalten, so dass den meisten Menschen inzwischen die Invalidität erspart werden kann. Orthopress sprach in Stuttgart mit dem niedergelassenen Orthopäden und Belegarzt Dr. Mauch (Gemeinschaftspraxis Dr. Laschner/Dr. Mauch) über mögliche Therapien bis hin zum Gelenkersatz.
Fragt man einen Patienten, welche Leiden die Menschen körperlich und auch finanziell wohl am meisten belasten, so wird man in den meisten Fällen wohl Antworten wie „Krebs”, „Herzinfarkt”, „Schlaganfall” usw. erhalten.
Weit gefehlt! Für über 50% aller Rentenbegehren in Deutschland ist der „Fluch” unserer Zivilisation verantwortlich: die Arthrose.
„Immer mehr Menschen leiden heute bereits in jungen Jahren an degenerativen Gelenkerkrankungen. Anders als noch vor zwanzig oder dreißig Jahren ist es daher verstärkt notwendig, nach dauerhaften Lösungen für arthrosegeplagte Patienten zu suchen, da die nach Auftreten der Krankheit noch verbleibende Lebenszeit einen Zeitraum von vierzig und mehr Jahren umfassen kann”, so Dr. Mauch. Langfristig wird, so weiß der Orthopäde, jeder Gelenkersatz einmal locker. Ein neues Hüftgelenk hält heute im Mittel 10-15, ein Kniegelenk mindestens 15 Jahre.
Wie bei jeder anderen Krankheit auch gilt es zunächst festzustellen, was als Ursache der Krankheit angesehen werden muss. Neben im Alter auftretenden Abnutzungserscheinungen spielen hier auch und insbesondere Übergewicht, X- und O-Beine sowie fehlerhafte Belastung (Leistungssport) und auch Unfallereignisse eine Rolle. Genetische Veranlagungen können dabei durch eine spezielle Blutuntersuchung erfasst werden.
Alsdann muss eine eingehende Untersuchung des Kniegelenks zeigen, wie weit die Erkrankung bereits fortgeschritten ist. Neben Röntgenuntersuchungen kann dazu z.B. eine Gelenkspiegelung vorgenommen werden. Bei starken Schmerzen trotz im Röntgenbild noch ausreichend begrenzter Abnutzung kann eine Gelenkspülung sinnvoll sein, um abgeriebene Knorpelpartikel zu entfernen, den Meniskus zu sanieren und gegebenenfalls die Knorpeloberfläche zu glätten. (Orthopress berichtete in Ausgabe 3/99) Wenn die Abrasion des Knorpels nicht allzu weit fortgeschritten ist, kann durch diese Maßnahme bereits viel für den Patienten getan werden. Medikamente wie Voltaren und Cortison bekämpfen den Entzündungsreiz im Gelenk und führen damit auch zu einer Verringerung der Schmerzen; insbesondere Cortison-Spritzen direkt ins Gelenk sollten aber wegen der bekannten Nebenwirkungen nicht zu oft angewandt werden.
Neue Wege bei der Behandlung der Arthrose zeichnen sich ab durch die teilweise guten Erfolge beim Einsatz der Knorpel/Knochentransplantation oder auch eines natürlichen, im Körper vorkommenden Hemmstoffes, der den biochemischen Weg der Arthrose blockiert. Auch die Neuzüchtung von menschlichem Knorpel wird mittlerweile erprobt; außerhalb des Labors sind Erfolge jedoch schwer nachzuweisen. Abschließende Aussagen über solche Bemühungen werden daher möglicherweise erst in Jahrzehnten möglich sein.
Wie aber sieht die Behandlung z. B. eines arthrotischen Kniegelenkes aus, wenn alle konservativen Behandlungsmaßnahmen ausgeschöpft sind? Dr. Mauch: „Wenn der Verlust der Lebensqualität zu groß wird und die Schmerzen überwiegen, kann der Einbau eines künstlichen Kniegelenkes in Betracht gezogen werden. Den Zeitpunkt eines solchen Eingriffs bestimmt der Leidensdruck des Patienten.” Bei der Kniegelenksprothese werden die Gelenkflächen, d. h. der zerstörte Knorpel, durch Implantate ersetzt.
Die Wahl des Implantates hängt dabei wesentlich vom Alter und von der zu erwartenden Aktivität des Patienten ab. Auch die Verankerung des künstlichen Gelenks muss individuell abgestimmt werden. Bei jüngeren Patienten bietet sich ein Titan-Material an, in welches später der Knochen einwächst; bei einem älteren Menschen wird eher eine zementierte Lösung zum Einsatz gelangen.
Der Eingriff selbst ist dabei nicht ganz so kompliziert wie der Ersatz eines neuen Hüftgelenkes; dies liegt hauptsächlich daran, dass das Kniegelenk im Gegensatz zur Hüfte kaum von Fettgewebe umgeben ist und von allen Seiten frei zugänglich. Nach einem Hautschnitt um die Kniescheibe von ca. 15 cm Länge werden defekte Gelenkflächen abgetragen und durch ein mehrteiliges System ersetzt, welches auf der einen Seite aus einem Oberschenkel-, auf der anderen Seite aus einem Unterschenkelimplantat besteht. Die implantierten Gleitflächen bestehen heute aus einer speziellen Titanlegierung, dazwischen wird ein besonders reibungsarmer Kunststoff plaziert.
Da es beim Gelenkersatz um die Optimierung und die Langzeitstabilität von beweglichen Teilen geht, ist es nicht verwunderlich, dass die Prothetik in den letzten zwei Jahrzehntenganz besonders von den Fortschritten der Luft- und Raumfahrttechnologie profitiert hat. „Im Gegensatz zu früher konnten wesentliche Parameter wie Stabilität, Dämpfung und Reibungswiderstand erheblich verbessert werden”, erläutert Dr. Mauch weiter. Heute sind daher rund 90% aller Patienten, denen ein künstliches Kniegelenk eingesetzt wird, mit dem Erfolg des Eingriffs zufrieden. Nach der Operation, die etwas länger als eine Stunde dauert, schließt sich noch ein Krankenhausaufenthalt von etwa zwei Wochen an. Nach dem Abklingen des durch die Operation hervorgerufenen Wundschmerzes ist der Patient dann meist schmerzfrei.
Auch die Lebensdauer eines künstlichen Kniegelenkes konnte erheblich verlängert werden: 15-20 Jahre sind heute bereits die Regel, Tendenz steigend. Dennoch ist es verständlich, daß der Einbau einer Prothese immer noch so lang wie möglich hinausgezögert wird. Die Angst vor einem solchen Eingriff hält Dr. Mauch jedoch für unbegründet: „Die verbesserte Funktionalität und Schmerzfreiheit gegenüber einer schweren Kniegelenksarthrose ist in beinahe jedem Fall gegenüber einer hochdosierten Gabe von Schmerzmitteln über Jahre hinweg die bessere Alternative. Sie ermöglicht dem Patienten die Teilnahme am täglichen Leben ohne wesentliche Einschränkungen — ein nicht zu unterschätzender Gewinn an Selbstwertgefühl und Lebensqualität.”
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.