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Zahnmedizin

An jedem Zahn hängt ein ganzer Körper

Close-up Of Tooth With Dental Mirror Over Blue Background

Zahnmedizin und Osteopathie – Ganzheitliche Behandlung der Körperstatik

Die Erkenntnis, dass Zahnprobleme sich auf den gesamten Körper und damit das Allgemeinbefinden niederschlagen können, ist ein alter Hut – so denken viele, die schon einmal an einem vereiterten Backenzahn laboriert haben. Nicht ganz so bekannt ist aber, dass nicht nur Entzündungen an den Zähnen, sondern auch ihre Position im Kiefer wie auch untereinander zum einen großen Einfluß auf unsere Gesundheit nehmen können, zum anderen eine Menge darüber aussagen, ob bei uns „alles im Lot“ ist. Die Kölner Zahnärztin Prof. Dr. Christel Pfeifer und der Pulheimer Heilpraktiker Stefan Kraft erläuterten im Gespräch mit ORTHOpress, wie Zahngesundheit und Körperstatik voneinander abhängen.

Frau Prof. Dr. Pfeifer, Herr Kraft, wie können unsere Zähne von der Körperstatik beeinflusst werden und umgekehrt?

Kraft: Unsere Körperstatik besteht – wie ein Gebäude – aus vertikalen und horizontalen Strukturen, welche sich gegenseitig auf komplizierte Art und Weise abstützen. Schon geringe Veränderungen der Position der Querstrukturen (beispielsweise im Beckenbereich) führen so durch die Hebelwirkung zu einer Belastung der darüberliegenden Strukturen – das sind die Zwerchfell-, die Schulter-, und eben auch die Kieferachse. Das kann man sich leicht verdeutlichen, wenn man sich unseren Körper einmal vorstellt wie eine klassische Marionette, deren Bewegungen über ein Haltekreuz gesteuert werden: Schon eine Bewegung des Haltekreuzes um nur wenige Millimeter führt zu einer vergleichsweise großen Achsenrotation der Gliedmaßen. Eine ganz ähnliche Zugkraft, wie sie bei der Marionette über die Fäden aufgebracht wird, wirkt so z.B. bei einem Beckenschiefstand über durale Spannungen auf unser Kiefergelenk ein.

Was können die Auswirkungen einer solchen Achsenverschiebung sein?

Prof. Dr. Pfeifer: Solche Verschiebungen führen zu Muskelverspannungen und nehmen Einfluss auf den gesamten Organismus, indem sie den venösen Abfluss behindern und Stauungen hervorrufen. Dabei führt die Wechselwirkung zwischen Wirbelsäulenstatik und Kiefergelenk zu einem Teufelskreis, den man schon bald kaum noch durchbrechen kann. Auffällig ist, dass Menschen mit zurückliegendem Unterkiefer im Regelfall auch eine HWS-Lordose und zusätzlich eine LWS-Lordose aufweisen. So entsteht eine Stauung im hinteren Gaumenbereich und im Nasenboden – selbst die Atmung kann letzten Endes von einer solchen Fehlstatik betroffen sein. Typisch für solche Patienten sind häufige Kopf- und Nackenschmerzen, Spannungsgefühle und übergroße allgemeine Abgeschlagenheit. Meistens werden die Ursachen von Ärzten und auch Patienten zunächst im organischen Bereich gesucht: Wird dort dann nichts gefunden, so ernten Betroffene oft nur Achselzucken.

Wie kann man als Zahnarzt eine solche Entwicklung aufhalten?

Prof. Dr. Pfeifer: Zunächst muss der Zahnarzt dem Patienten bewusst machen, dass zwischen Zähnen und Organismus ein direkter Zusammenhang besteht. Dann kann man behutsam versuchen, die Fehlstellung zu beseitigen. Dies sollte aber nicht durch eine „harte“ Klammer erfolgen, denn die vermindert die ohnehin eingeschränkte Beweglichkeit der Kieferknochen noch weiter.

Eine wesentlich sanftere Möglichkeit, die ursprüngliche Statik wiederherzustellen, bietet der Einsatz des so genannten „Bionators“. Das ist ein individuell angepasster Bogen, der zwar einer Spange ähnelt, aber hinter der Zahnreihe eingesetzt wird. Er bewirkt im Zusammenspiel mit Speichel und Zunge eine Umbildung des Kieferbereichs mit der Korrektur von Fehlstellungen. Gegenüber der so genannten Multiband-Korrektur, bei welcher die Zähne quasi wie in einem Drahtgefängnis mechanisch fixiert werden, besteht der Vorteil des Bionators darin, dass die Zähne ihre Eigenbeweglichkeit erhalten. So leidet die Durchblutung im Zahnbereich nicht, und auch die Anfälligkeit für kariösen Befall ist wesentlich geringer.

Aber die Therapie mit dem Bionator allein kann wohl keine Veränderungen der Wirbelsäulenstatik bewirken. Wie greift nun die Osteopathie in dieses Geschehen ein?

Kraft: Mit einer osteopathischen Behandlung kann gezielt auf die Spannungen im Gewebe eingewirkt werden. Besonders die Cranio-Sacral-Therapie ist dafür sehr gut geeignet. Dabei geht es darum, die Biomechanik der Schädel- und Wirbelknochen und der Hirn- und Rückenmarkshäute wieder einzuregulieren, Blockaden zu überwinden und einen natürlichen Cranio-Sacralen Rhythmus wiederherzustellen.

Den Begriff „Cranio-Sacral-Therapie“ haben viele Leser vielleicht schon einmal gehört, ohne sich aber etwas Genaues darunter vorstellen zu können. Was zeichnet diese amerikanische Manualtherapie aus?

Kraft: In unserem Körper fließt die cerebrospinale Flüssigkeit (der “Liquor”) mit einer bestimmten Pulsrate (ca. 6-12 Hz) durch unser Gehirn und Rückenmark. Bei einem gesunden Menschen ist dieser Rhythmus von einem geschulten Physiotherapeuten an vielen Stellen im Gewebe wahrnehmbar. Bestehen nun aber Blockaden und muskuläre Verspannungen, so ist dieser Rhythmus unter Umständen so weit verändert, dass er nicht mehr spürbar ist oder nur noch unregelmäßig wahrgenommen werden kann. Ganz so wie bei einem Wanderer, der nicht mehr auf federndem Waldboden läuft, sondern sich den Weg durch zähen Morast bahnen muss, halten falsche Spannungsverläufe und Blockaden den natürlichen Energiefluss auf.

Diese Biomechanik kann nun durch eine komplexe Technik, die von kaum wahrnehmbaren  Berührungen bis hin zu kräftigen Griffen reicht, wieder ins Lot gebracht werden. So wird an den Schädelknochen, Membranen, Faszien und am Bindegewebe gearbeitet, um den Cranio-Sacralen Rhythmus zu harmonisieren und die Selbstheilungskräfte anzuregen.

Körperliche Beschwerden und Symptome neuromuskulärer Läsionen lassen an Intensität und Häufigkeit nach oder verschwinden vollständig. Darum ist diese Methode besonders gut geeignet, um Menschen mit akuten oder chronischen Schmerzen im Bereich des Schädels, der Halswirbelsäule und des Beckenbereichs zu helfen. Auch Patienten, die aufgrund von psychischem Stress und Überlastung verlernt haben, sich zu entspannen, können von dieser Behandlung profitieren.

Frau Prof. Dr. Pfeifer, Herr Kraft, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch!

aus ORTHOpress 04|2002
Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.