Moderne Behandlungsmöglichkeiten der „frozen shoulder“
Anders nämlich als Knie- und Hüftgelenk führt das Schultergelenk auf Grund seines komplexen Aufbaus und seiner noch komplizierteren Funktion gewissermaßen immer noch ein Schattendasein im Kanon der orthopädisch behandelbaren Körper- bzw. Gelenkregionen. Das zeigt u.a. auch der Umstand, dass die arthroskopische Technik hier erstmalig in den 80er-Jahren Anwendung gefunden hat, also etwa zwanzig Jahre nach den ersten operativen Erfahrungen dieser Art im Kniegelenk. Immer mehr hat sich daher die Einsicht durchgesetzt, dass die Schulter in die Hand von Spezialisten gehört, die in der Lage sind, die Problematik auf Grund spezieller Fachkenntnisse, aber auch großer Erfahrungen hinsichtlich der heute zur Verfügung stehenden modernen operativen Maßnahmen zu beherrschen.
Nicht nur resultieren aus der Vielzahl der Strukturen im Schultergelenk unterschiedliche Formen von Schultererkrankungen; Schulterschmerzen haben als solche unterschiedliche Ursachen: So können sie u.a. etwa auch durch ein Problem der Halswirbelsäule bedingt sein und dann auch ausstrahlen. Bei den sog. eigentlichen Schulterschmerzen ist der Schmerz dagegen auf die Schulter selbst begrenzt und strahlt allenfalls bis zur Oberarmmitte aus, eine Beeinträchtigung anderer Gelenke besteht in der Regel nicht. Diese Schmerzen entstehen entweder im Schultergelenk bzw. in der Schultergelenkkapsel oder im außerhalb des Gelenks gelegenen Schleimbeutel.
„Den meisten Schulterbeschwerden dieser Art liegt eine organische Ursache zu Grunde, die sich durch eine eingehende klinische Untersuchung, ein Röntgenbild und insbesondere durch kernspintomografische Aufnahmen nahezu eindeutig lokalisieren lässt“, erläutert Dr. Michael Lehmann, international bekannter Schulterspezialist, in seinem Zentrum bei Frankfurt a.M.
In der Regel werden hierbei sechs typische Krankheitsbilder mit entsprechender therapeutischer Strategie unterschieden: das sog. Impingement-Syndrom, Schulterinstabilitäten, Sehnenverkalkungen, Rotatorenmanschettenrupturen, Arthrose des Schultergelenks und die chronische Schultersteife, die sog. „frozen shoulder“. Diese Unterscheidung ist grundlegend für das Bemühen in der spezialisierten Schultertherapie bzw. -chirurgie, Schulterschmerzen nicht allein symptomatisch, d.h. mit Hilfe allgemeiner schmerztherapeutischer Ansätze zu behandeln, sondern einer kausalen Therapie zuzuführen, bei welcher die Ursachen der Beschwerden selbst angegangen werden.
Dies ist insbesondere angesichts der Schultersteife eine große Herausforderung auch für den Schulterspezialisten. Denn Verlauf und Behandlung sind hier in der Regel langwierig und erfordern auch viel Motivation von den Patienten. Doch: „In den allermeisten Fällen kann mit Hilfe der heute zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen viel gegen die schmerzhafte Erkrankung getan werden“, ist Dr. Lehmann überzeugt.
Stark vereinfacht, lassen sich drei Ursachen unterscheiden, die bewirken, dass die Schulter einsteift. Die häufigste Form ist die sog. Capsulitis adhaesiva. Es kommt hier ohne äußere Ursache, sozusagen aus dem Nichts, im Rahmen von entzündlichen Prozessen zu Verklebungen und Verwachsungen der Gelenkkapsel bzw. zu Schrumpfungen der Kapselstrukturen, was dann zu einer erheblichen Bewegungseinschränkung – eben dem „Einfrieren“ des Schultergelenkes – führt. Statistisch gesehen tritt diese Erkrankung vor allem beim Erwachsenen im mittleren Lebensalter auf. Zu den sekundären Erkrankungen zählt die Schultereinsteifung, der ein Trauma vorausgegangen ist: Ein Patient hat etwa nach einem Unfall auf Grund von Schmerzen die Schulter längere Zeit nicht bewegt. Dies führt zu einer Schrumpfung der Gelenkkapsel und der umgebenden Bänder und damit ebenfalls zur Einbuße an Bewegungsmöglichkeiten. Oder es wird drittens im Falle von Arthrose die Mechanik im Schultergelenk gestört. Knochenwülste, die sich im Verlauf des Gelenkverschleißes bilden, reiben bei Bewegung gegeneinander und schränken diese ein.
Im Falle der primären Form der Schultersteife sind anfangs, während der etwa sechsmonatigen Entzündungsphase, vorwiegend Ruheschmerzen, also insbesondere nächtlicher Schmerz, charakteristisch. Daran anschließend kommt es zu einer zunehmenden Einsteifung, mit zunächst reduzierter Flexions- und Innenrotations-, später dann auch eingeschränkter Außenrotationsbeweglichkeit der Schulter. In diesem zweiten Stadium lassen die Schmerzen in aller Regel etwas nach. Theoretisch kann die Krankheit schließlich wieder von selbst verschwinden. Doch kaum ein Patient toleriert so ohne weiteres die lange Erkrankungsdauer, die zwischen 18 und 24 Monate beträgt. Vor allem nicht eine extreme Verlaufsform, bei welcher die Patienten heftigen Beschwerden und massiven Einschränkungen ausgesetzt sind.
Für die Diagnose der Erkrankung sehr wichtig sind hier die Anamneseerhebung und klinische Untersuchung, die bereits entscheidende Hinweise liefern. Apparative Untersuchungen wie z.B. Ultraschall und ggf. Röntgen (zur Diagnose der Omarthrose als dritter Ursache unerlässlich) oder Kernspintomografie dienen aber zudem dazu, andere Ursachen bzw. Krankheiten exakt auszuschließen.
Die Therapie der Schultersteife richtet sich nach der Phase der Erkrankung und natürlich auch der jeweiligen Krankheitsursache. Bei der primären Form der Schultersteife konzentriert sich anfangs alles auf Maßnahmen zur Entzündungshemmung: antiphlogistische Medikamente, milde Kälte und später insbesondere auch feuchte Wärme für die verkürzte und schmerzhafte Muskulatur. Unbedingt notwendig sind begleitende Infiltrationen in Schleimbeutel sowie Gelenkkapsel (lokales Betäubungsmittel, Arnika sowie Kortison) zur Entzündungshemmung und Aufdehnung der Strukturen. Hierdurch lassen sich die störenden nächtlichen Schmerzen lindern und lässt sich in Kombination mit einer erst jetzt sinnvollen Manuellen Therapie die Beweglichkeit zunehmend verbessern – unterstützt auch durch spezielle physikalische Maßnahmen.
Bei der posttraumatischen Erkrankung dagegen stehen Schmerztherapie und Krankengymnastik im Vordergrund, weil es hier ja nun keine Entzündung in dem Sinne zu bekämpfen gilt. – Nach Abklingen der Entzündung kommt es dann auch bei der Capsulitis adhaesiva zur konsequenten Intensivierung der Bewegungstherapie beim Physiotherapeuten. Auch wird der Patient zu selbstständigen Bewegungsübungen angeleitet, denn es muss nun täglich „hart gearbeitet“ werden. Beim Knorpelschaden des Gleno-humeral-Gelenkes, des Gelenkes zwischen Oberarmkopf und -pfanne, wiederum verbietet sich dies, weil die Knochenwülste bei Bewegung jedes Mal an die Pfanne anschlagen und sich die Gelenkbelastung dadurch noch mehr vergrößern würde. Hier sind also eher sanfte, beruhigende Maßnahmen angezeigt und selbstverständlich solche der klassischen Arthrosetherapie, d.h. Schmerzreduktion, Entzündungshemmung, Stimulierung des Knorpelstoffwechsels usf.
„Bei hohem Leidensdruck, wenn sich die Schulter trotz aller konservativer Maßnahmen darauf ‘versteift’, den Patienten weiter zu peinigen“, so Dr. Lehmann, „kann heute auf minimalinvasive Weise die Beweglichkeit wiederhergestellt werden. Der lange, u.U. als extrem belastend empfundene Erkrankungsverlauf der primären Schultersteife etwa lässt sich derart in seiner zweiten Phase abkürzen. Früher hat man zu diesem Zweck in Narkose mit relativer Gewalteinwirkung das Gelenk auseinander gerissen. Die arthroskopische Technik erlaubt heute ein gezieltes und nicht zuletzt sanftes Vorgehen. Unter Sicht werden die entsprechenden Verklebungen und Verwachsungen gelöst, die Gelenkkapsel wird selektiv erweitert. Gleichzeitig werden die stets vorhandenen Verklebungen im Schleimbeutelbereich gelöst und ggf. der mechanisch eingeengte Raum des Schulterdachbereichs erweitert. Die Ursachen der Bewegungseinschränkung werden also unmittelbar aufgehoben, ohne dass andere Strukturen verletzt würden“.
Bei der Nachbehandlung komme hier dann alles auf eine geschulte Manuelle Therapie an. Trotz des in der Regel schmerzarmen bis schmerzfreien postoperativen Verlaufs und erheblich verbesserter Beweglichkeit unmittelbar nach dem arthroskopischen Eingriff muss die Dauer einer optimalen physiotherapeutischen Rehabilitation bis zur völligen Bewegungsfreiheit auf ca. 5–6 Monate datiert werden. Dr. Lehmann: „Die Nachbehandlung ist nicht Anhängsel, sondern sozusagen selbst Bestandteil auch der operativen Therapie, insofern durch sie der operative Erfolg stabilisiert wird. Die intensiven Übungen wie die krankengymnastischen und physikalischen Maßnahmen überhaupt finden hier – postoperativ – natürlich auf einem erheblich verbesserten Level statt.“
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2001
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.