Schmerzhaft, aber behandelbar
Manchmal kommen sie über Nacht: plötzliche Schmerzen in der Schulter, die so stark sind, dass sie den Betroffenen den Schweiß auf die Stirn treiben und jede Bewegung unmöglich wird. Die Ursache dafür sind häufig Kalkdepots, welche sich über Monate oder Jahre hinweg im Gewebe bilden. Bleiben konservative Behandlungsmethoden erfolglos, besteht der rettende Ausweg in einem kleinen Eingriff, der Kalk und die Schmerzen beseitigt. Prof. Knut Beitzel von der ATOS Orthoparc Klinik in Köln-Junkersdorf erklärt, wie es zu den typischen Beschwerden kommt und wann operiert werden sollte.
Herr Prof. Beitzel, kann jeder Mensch eine Kalkschulter entwickeln?
Prof. Beitzel: Kalk in der Schulter ist ein relativ häufiges Phänomen. Er ist bei rund 10 Prozent aller Menschen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr nachweisbar. Viele bleiben jedoch asymptomatisch – nur gut die Hälfte von ihnen leidet irgendwann unter den typischen Beschwerden. Über die Ursache der Kalkeinlagerung wird spekuliert: Neben einer verminderten Durchblutung werden auch Degenerationsprozesse dafür verantwortlich gemacht, die dazu führen, dass die Körperzellen Kalk produzieren.
Wie äußert sich eine Kalkschulter? Sind die Schmerzen immer gleich?
Prof. Beitzel: Die Symptome können ganz unterschiedlich sein. Manche Patienten entwickeln nur bei bestimmten Bewegungen unter Belastung Schmerzen. Andere wiederum leiden unter zunehmenden und über die Zeit immer häufiger auftretenden Beschwerden, die schließlich in einen auch in Ruhe auftretenden Nachtschmerz münden. Grund dafür sind die immer weiter anwachsenden Kalkdepots, welche zum einen die Elastizität des Sehnenansatzes beeinträchtigen und zum anderen immer mehr Raum einnehmen, sodass sich schleichend ein Engpasssyndrom unter dem Schulterdach, ein sogenanntes „Impingement“, entwickelt.
Manchmal kommen die Beschwerden „von jetzt auf gleich“ – Betroffene erwachen morgens mit stärksten Schmerzen, ohne dass sie eine Erklärung dafür haben. Wie kommt es dazu?
Prof. Beitzel: Dazu kommt es, wenn sich das Kalkdepot plötzlich in den Raum unter dem Schulterdach entleert. Man spricht dann von einer „kristallinduzierten Bursitis“, also einer durch die Kalkkristalle ausgelösten Schleimbeutelentzündung. Patienten erzählen mir immer wieder, dass sie sich so fühlen, als sei ihnen „ein Messer in die Schulter gestoßen“ worden. Je nach Lage des Kalkdepots kann der Schmerz bis in den Nacken und ins Handgelenk hinein ausstrahlen, was zu einer extremen Schonhaltung führt. Diese Patienten zeigen sehr oft eine massive Entzündungssymp-tomatik und müssen in diesen extremen Fällen zur Schmerzbehandlung stationär aufgenommen werden.
Wie wird eine Kalkschulter diagnostiziert? Kann man sie überhaupt einfach von anderen Erkrankungen – etwa Sehnenrissen – unterscheiden?
Prof. Beitzel: Die meisten Kalkschultern lassen sich bereits in der klinischen Untersuchung gut erkennen. Oft kommt es bereits beim Anheben des Arms zur typischen Einklemmungssymptomatik, die durch die Verdickung der Sehne ausgelöst wird. Das ursächliche Kalkdepot für dieses „innere Impingement“ liegt in etwa 60 – 70 Prozent der Fälle in der direkt unter dem Schulterdach verlaufenden Supraspinatussehne, es können aber auch die Infraspinatus- oder die Subskapularissehne betroffen sein. Zusätzlich zur Untersuchung führen wir heute immer ein MRT durch, um die Sehnenqualität insgesamt beurteilen zu können und etwaige Begleitschäden zu erkennen.
Bei dem Begriff Kalk denkt man ja an feste, „rieselfähige“ Partikel wie Kreide- oder Zementstaub. Doch der Kalk in der Schulter kann auch weich sein.
Prof. Beitzel: Kalkablagerungen in unseren Sehnen kommen in zwei Arten vor, von denen allerdings Mischformen existieren: Zum einen als harte Kristalle, die das Sehnengewebe durchsetzen und oftmals bis in den Knochen hineinwachsen. Zum anderen gibt es Kalkdepots von weicher, pastoser Konsistenz. Es gibt zwar Hinweise darauf, dass dies lediglich verschiedene Stadien der Verkalkung sind, jedoch ist es bislang nicht gelungen, eindeutige Kriterien für den Übergang von der einen in die andere Form zu erkennen.
Welche Möglichkeiten gibt es, den Kalk in der Schulter zu beseitigen, wenn konservative Maßnahmen keinen Erfolg mehr zeigen?
Prof. Beitzel: Grundsätzlich arbeiten wir heute arthroskopisch, sodass nur kleinste Zugänge notwendig sind, um das verkalkte Sehnengewebe zu erreichen. Pastose Kalkdepots können wir häufig einfach ausräumen, indem wir die Sehne leicht anschlitzen und den Kalk herausdrücken. Dabei entsteht praktisch keine Verletzung des Gewebes – der kleine, nur in Längsrichtung bestehende Defekt heilt innerhalb kurzer Zeit von selbst wieder zusammen, ohne dass Schäden zurückbleiben. Anders sieht es bei kristallinem Kalk aus: Dieser durchsetzt das Sehnengewebe oft wie eine Matrix, sodass die Beseitigung zwangsläufig mehr oder weniger große Schäden in der Sehne hinterlässt. Auch diese können wir heute aber sehr gut versorgen. Die uns zur Verfügung stehenden miniaturisierten Ankersysteme und Techniken, wie etwa die Seit-zu-Seit-Naht, sorgen dafür, dass die Sehne gut rekonstruiert werden kann und schnell wieder belastbar ist. Ein großer Vorteil der Arthroskopie gegenüber rein konservativen Verfahren ist, dass wir die häufig vorkommenden begleitenden Schäden an der Rotatorenmanschette – also zum Beispiel Sehnenan- oder abrisse – sicher erkennen und im gleichen Eingriff beheben können.
Wie schnell sind die Patienten nach dem Eingriff schmerzfrei?
Prof. Beitzel: Wenn wir die ausgeprägten Kalkdepots beseitigt haben, ist in der Regel der massive Ruheschmerz sofort verschwunden. Der winzige Zugang für das Arthroskop heilt innerhalb weniger Tage aus. Auch bei einer umfangreichen Sehnenrekonstruktion wird die Schmerzlinderung aber meist als so befreiend empfunden, dass der Zustand von den Patienten als sofortige Verbesserung erlebt wird.
Prof. Dr. med. Knut Beitzel
Chefarzt Schulterchirurgie,
Arthroskopie und Sportorthopädie
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