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Schulter

Schulterschmerz und seine operative Behandlung

Mann mit Schulterschmerzen beim Arzt

Zahllose Spritzen, Unmengen an Tabletten, endlose physiotherapeutische Behandlungen – und doch müssen viele Patienten mit chronischen Schulterschmerzen immer wieder die „schmerzliche“ Erfahrung machen, dass sie trotz aller Maßnahmen ihre Beschwerden nicht loswerden. Vor der Möglichkeit einer Operation insbesondere im Schulterbereich aber warnen auch heute noch, im Hightech-Zeitalter der Medizin, viele Ärzte. Solchen auf konservative Weise austherapierten Patienten wird dann schlicht gesagt, sie müssten mit ihren Schmerzen leben. Ein Trugschluss, der – einmal völlig abgesehen von der erheblichen Minderung der Lebensqualität der Betroffenen – einen volkswirtschaftlichen Schaden provoziert, der letztlich auf den „Schultern“ aller lastet. Denn „wenn die konservative Therapie nicht hilft, heißt das noch lange nicht, dass dem Patienten nicht geholfen werden kann“, davon ist jedenfalls der Orthopäde Dr. Erlewein von der Atlasklinik in Stuttgart überzeugt. Zu seinem Operationsalltag zählen schon seit geraumer Zeit moderne minimal­invasive Maßnahmen, mit denen sich eine Reihe von Schulterbeschwerden risikoarm behandeln lässt.
Tatsächlich verhält es sich bei der Schulter etwas schwieriger als bei anderen Gelenken.
Das Schultergelenk ist zunächst aus mehreren Komponenten und Gelenk­anteilen (Oberarmkopf und Gelenkpfanne, Schlüsselbein und Schulterdach, Schulterblatt und Brustkorb) komplex aufgebaut. Vor allem beim umgebenden Muskel- und Weichteilmantel handelt es sich um leicht verletzbare Strukturen, die bei den früher üblichen offenen Operationen durch die erforderlichen großen Schnitte stark beeinträchtigt werden konnten. Deshalb war eine solche Operation auch relativ belastend; Heilungsprozess und Nachbehandlung dauerten sehr lange. Die Ergebnisse waren – bei einem erhöhten Komplikationsrisiko – eher mäßig.

Die Entwicklung der arthroskopischen Technik hat einen Wandel insbesondere auch für die Möglichkeiten der Behandlung von Schultererkrankungen hervorgerufen. Das bedeutet natürlich nicht, dass nun jede Erkrankung operativ versorgt würde. Doch wenn alle anderen möglichen Maßnahmen fehlgeschlagen sind und sich auf diese Weise das Leid der Patienten entscheidend verbessern ließe, dann wäre ein endoskopischer Eingriff ins Schultergelenk gegebenenfalls hilfreich.
Dr. Erlewein betont, dass für die „richtige“, d.h. angemessene Therapie (also auch für die Entscheidung, ob überhaupt operiert werden soll) eine umfassende Diagnostik vonnöten ist. Nicht nur im Bereich der Operationstechniken gibt es Neuerungen, durch technische Errungenschaften hat sich auch die Diagnostik selbst verfeinert. Neben einer ausführlichen Anamnese, bei der die gesamte Krankheitsgeschichte des Patienten, wo, wann, wodurch und wie es ihn schmerzt, betrachtet wird, und einer gründlichen körperlichen Untersuchung stehen verschiedene apparative Untersuchungstechniken wie Ultraschall und Kernspintomografie sowie gegebenenfalls, wenn auch begrenzt und weniger relevant, Röntgenaufnahmen zur Verfügung. Mit Hilfe der neueren diagnostischen Verfahren ist seither im komplexen Schultergelenk mit seiner umgebenden Gelenkkapsel, mit seinen Bändern, Muskeln und Sehnen, auch eine viel exaktere Diagnostik möglich. Die Lokalisierung der geschädigten Strukturen ist alles entscheidend. Sie gibt die wesentliche Grundlage für eine zielgerichtete Therapie ab. Auf Grund der ausführlichen Diagnostik kann dann präzise herausgearbeitet werden, ob der Muskel, die Sehne, die Gelenkkapsel, das Gelenk selber betroffen ist oder eine Mischform vorliegt. Zu diesem neuen Erkenntnisstand hat sicherlich auch die Operationstechnik selbst beigetragen. Denn bei der Ar­throskopie, was wörtlich soviel bedeutet wie „Gelenkschau“, wird ja der Gelenkraum mit Hilfe des Endoskops inspiziert, eines optischen Instruments, bestehend aus Objektiv und Kamera. Für den Eingriff unter visueller Kontrolle sind keine großen Schnitte erforderlich, sondern zwei etwa 3 mm kleine Zugänge. Der eine im hinteren Bereich der Schulter, über den die Optik eingeführt wird, der andere vorne, um die feinen OP-Instrumente einzuführen. Mit diesen werden dann die einzelnen operativen Schritte durchgeführt. Dabei ist die Anwendung der Technik relativ jung – erst in den 80er-Jahren fanden erste arthroskopische Operationen am Schultergelenk statt.

Entscheidend ist, dass bei diesem unter Vollnarkose durchgeführten Eingriff keine großen Gewebsverletzungen hervorgerufen werden. Somit bedeutet er nur eine sehr geringe Belastung und kann daher bei rund 80% aller Patienten ambulant durchgeführt werden. Eine wesentliche Bedeutung kommt auch der damit ermöglichten frühzeitigen Mobilisation des Patienten zu.

Arthroskopisch operieren lassen sich folgende Haupterkrankungen der Schulter:

Impingement-Syndrom(Enge-Syndrom):

Hier besteht eine Enge unter dem Schulterdach. Von Natur ist der betroffene Raum im Schultergelenk begrenzt. Ein vermehrter Druck bewirkt eine noch größere Enge. Das kann sowohl belas­tungsbedingte als auch arthrotische Ursachen haben. Wenn man den Arm abspreizt, wird es unter dem Schulterdach noch enger. Die dort verlaufenden Sehnen werden Druck ausgesetzt. Dauert dieser Druck über längere Zeit an und wird größer, z.B. bei dauernden Über-Kopf-Tätigkeiten eines Anstreichers oder beim Volleyball- bzw. Tennisspieler, dann verschleißt die Sehne. Druck erhält die Sehne auch durch eine anlagebedingte Fehlform des Knochens. Eine leichte Krümmung des normalerweise relativ geraden Schulterdaches wird am Modell als „Nase“ anschaulich, die hier viel weiter herunterreicht als üblich. Aber auch ein Verschleiß im Schultereckgelenk mit Knochenwulstbildungen bewirkt diese vermehrte Enge.
„Im Grunde benutzt man eine Fräse und nimmt hier die knöcherne Nase weg, oder man nimmt einen Laser oder ein anderes Gerät, einen Shaver, also ein rotierendes Messer, entfernt die Weichteile unter dem Schultereckgelenk und trägt die Osteophyten, die Knochenwülste, ab“, erklärt Dr. Erlewein.

Verkalkungen:

Hierbei sammeln sich in der Sehne Kalzium-Kristalle an. Diese bilden ein Depot, das dann „wie eine Bohne in der Sehne liegt“. Dieser „Buckel“ verengt den Raum, was wiederum zu einer Reizung und damit einer fortschreitenden Sehnendegeneration führt. Das kann so weit gehen, dass die Sehne schließlich reißt. Auch hier wird ursächlich behandelt, indem man mit Hilfe der ar­throskopischen Technik die Verkalkung entfernt.

Sehnenrisse:

Sie entstehen, wie oben dargelegt, u.a. durch den Druck auf die Sehne und ihren dadurch bedingten Verschleiß. Die Muskel-Sehnen-Platte, die der Oberarmkopf umspannt, ist dabei bis zum Riss degenerativ verändert. Ist es so weit gekommen, dann ist die gesamte Mechanik der Schulter gestört. Der Oberarmkopf reibt dann direkt unter dem Schulterdach, was zu einer chronischen Schleimbeutelentzündung und deshalb zu chronischen Schmerzen des Patienten führt. Vor allem ist die Funktion des Gelenkes stark beeinträchtigt. Folge ist, dass der Patient seinen Arm nicht richtig heben bzw. ab­spreizen kann.
Solche Sehnenrisse kann man heute, wenn sie nicht zu ausgeprägt sind, bereits arthroskopisch nähen. Ist der Riss, der übrigens auch traumatisch, also unfallbedingt auftreten kann, sehr ausgeprägt, ist ein Schnitt von etwa 3–4 cm erforderlich, um die Sehne mit Titanschrauben zu refixieren.

Luxationen (Ausrenkungen):

Hierbei springt, meist infolge eines Unfalls bzw. Sturzes, der Oberarmkopf gewaltsam aus der Pfanne. Häufig ist dabei der Arm nach hinten überrissen. Diese Verletzung tritt gehäuft bei Snow­boardern oder bei Kontaktsportarten auf. Luxationen lassen sich heute ausschließlich arthroskopisch „reparieren“.

Schultersteifen:

Die Beweglichkeit der Schulter ist dabei derart eingeschränkt, dass der Patient seinen Arm einfach nicht mehr hochheben kann. Steif geworden, lässt sich der Arm nicht einmal mehr passiv, durch den Untersucher, anheben.
Die Ursache ist häufig so schlicht wie erschreckend: „Bedingt durch Entzündung, Verkalkung oder Enge, die Schulter schmerzt aus irgendwelchen Gründen und wird deshalb nicht mehr bewegt, wodurch die Gelenkkapsel schließlich schrumpft“, führt Dr. Erlewein hierzu aus. Deshalb versuche man das Problem der Schonhaltung meist physiotherapeutisch, mit Kranken­gym­nastik zu lösen. Ist es dadurch aber nicht mehr in den Griff zu bekommen, dann sei mit der arthroskopischen Operation oft eine letzte Möglichkeit gegeben, die Verwachsungen und Verklebungen zu lösen.

Der arthroskopische Eingriff am Schultergelenk, so lässt sich zusammenfassend sagen, stellt eine wesentliche Errungenschaft der modernen Medizin dar. Wenn die konservative Therapie keine Erfolge mehr bringt, dann ist mit diesem relativ sanften Operationsverfahren eine Chance gegeben, Schulterschmerz-Patienten doch noch zu helfen. Dadurch, dass es in vielen Fällen auf diese Weise noch möglich ist, diesen Patienten die Mobilität ihrer Schulter zu erhalten oder zurückzugeben, kann ihnen auch ein großes Stück Lebensqualität wiedergewonnen werden.

aus OrthoPress 1 | 2000
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