Zu den größten und langwierigsten Operationen, die ein Mensch über sich ergehen lassen kann, ohne vorher verunfallt zu sein, zählt die Implantation einer Endoprothese. Obwohl im Regelfall bei Patienten erforderlich, welche die Lebensmitte weit hinter sich gelassen haben, ist eine neue Hüfte oder ein neues Knie für immer mehr junge Menschen die einzige Möglichkeit, wieder ein schmerzfreies Leben zu führen.
„Schmerzfreiheit allein ist heute allerdings für einen Patienten, der vor der Entscheidung zum Gelenkersatz steht, nicht mehr das einzige Kriterium“, weiß Andreas Horst, Produktmanager bei Biomet Merck. „Natürlich wünscht er sich zusätzlich zur Beseitigung seiner Beschwerden auch einen Großteil seiner Beweglichkeit und damit bereits verloren geglaubter Lebensqualität zurück.“
Funktionierenden Hüftgelenkersatz gibt es dabei schon seit mehreren Jahrzehnten; das Einsetzen eines neuen Kugelgelenks ist heute eine Standardoperation beim älteren Menschen. Anders sieht es beim Kniegelenkersatz aus: Immer noch raten viele Ärzte ihren Patienten auch bei anhaltenden Schmerzen von einem solchen Eingriff ab: Zu unsicher sei der Ausgang dieser Operation, zu ungewiss die Langzeitprognose beim Ersatz des am stärksten belasteten Gelenks unseres Körpers. Menschen mit fortgeschrittener Kniegelenksarthrose haben aber eigentlich keine Wahl. Ab einem gewissen Stadium werden selbst in entspannter Ruhelage die Schmerzen so stark, dass der Betroffene sich buchstäblich nicht mehr zu helfen weiß. „Natürlich steigt mit dem Leidensdruck dann auch die Bereitschaft zur Operation“, räumt Horst ein, der im Gespräch mit Ärzten und Therapeuten nicht nur die wissenschaftliche Seite der Prothetik kennenlernt. Dabei hat besonders die Knieprothetik in den letzten Jahren bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Die Entwicklung von der rein stabilisierenden Prothese zum vollwertigen Gelenkersatz vollzog sich dabei ungeahnt rasant.
Heute unterscheidet man in der Kniegelenksprothetik zwei verschiedene Bereiche: Auf der einen Seite steht die „Totalendoprothese“, bei der das gesamte Gelenk ersetzt wird. Diese Operation gehört sicherlich zu den größten chirurgischen Eingriffen, die an den menschlichen Extremitäten überhaupt vorgenommen werden. Auf der anderen Seite ist es heute möglich, bei Patienten mit entsprechender Indikation nicht das gesamte Gelenk auszutauschen, sondern nur den Teil, der tatsächlich auch verschlissen ist. Diese so genannte „Schlittenprothese“ ersetzt dabei auf einer Seite die beschädigte Oberfläche des Kniegelenks. Obwohl der dazu notwendige Eingriff nicht so aufwändig wie der Totalersatz ist, war dennoch bislang eine immer noch recht umfangreiche Operation nötig.
Mit dem „Oxford Knee Phase III“ des Medizintechnik- und Pharmakonzerns Biomet Merck soll sich dies nun grundlegend ändern. Horst erklärt, warum: „Erstmals ist es bei der Implantation einer unikondylären Schlittenprothese nicht mehr notwendig, die Patella (Kniescheibe) zur Seite wegzuklappen.“ Der Nutzen dabei liegt auf der Hand. Anders als bisher werden umliegende Muskeln und der Bandapparat nicht überdehnt, durchtrennt oder sonstwie in Mitleidenschaft gezogen. Es handele sich dabei um eine echte minimalinvasive Operation, betont man bei Biomet Merck nicht ohne Stolz. Durch einen nur etwa 6–8 cm langen kreisförmigen Schnitt entlang der Kniescheibe kann das Oxford Knee implantiert werden. Der entscheidende Vorteil: Der Patient ist in der Regel innerhalb einer Woche wieder einsatzfähig und kann das Knie sofort belasten. Im Prinzip könnte man diese Operation sogar ambulant durchführen. Da der gesamte Streckmechanismus von dem Eingriff nicht beeinträchtigt wird, entfällt die aufwändige Rehabilitation wie bei der herkömmlichen Prothese. Wird eine klassische Schlittenprothese eingebaut, so muss mit einer „Auszeit“ von mindestens 14–21 Tagen gerechnet werden. Muskeln und Bänder sind dann so weit geschwächt, dass mittels einer speziellen Krankengymnastik die Bewegungen trainiert werden müssen, bevor an eine Belastung gedacht werden kann.
Ein weiterer Vorteil: Die Belastbarkeit ist nach Ausheilen der Operationswunde ungleich höher als bei anderen Prothesenarten: Selbst viele Sportarten können so vom Patienten in Maßen wieder ausgeübt werden.
Wichtig an einer Prothese ist aber nicht nur die schnelle Einsatzfähigkeit und Belastbarkeit des neuen Gelenks, sondern insbesondere die Haltbarkeit. Auch diese ist beim Oxford Knee exzellent im Vergleich zum bisher üblichen Gelenkersatz.
Möglich wurde die Entwicklung von Prof. John O’Connor und dem Orthopäden Prof. John Goodfellow übrigens durch eine spezielle Anlage, welche die Prothese in ihrer Bewegung exakt vermisst. In der „Roentgen Stereophotogrammetric Analysis” (RSA) werden Röntgenstrahlen dazu verwandt, die Bewegung des Implantats relativ zum Knochen zu erfassen – und das mit einer Genauigkeit von wenigen Zehntelmillimetern. Diese Untersuchung erlaubt quasi im Laborversuch einen Langzeitvergleich verschiedenster Implantate und damit eine Aussage darüber, wo und wann sich die Prothese vermutlich einmal lockern wird und ersetzt werden muss. Das Resultat der Untersuchungen von O’Connor und Goodfellow spricht für das Oxford Knee, welches im Zehn-Jahres-Vergleich außerordentlich gut abschnitt. „Zehn Jahre Schmerzfreiheit und zurückgewonnene Aktivität sind ein außerordentlich gutes Ergebnis für den Patienten“, gibt man bei Biomet Merck zu bedenken. „Wir kommen damit durchaus in den Bereich von Hüftgelenksprothesen. Und schließlich kann ja nach diesen zehn Jahren oft problemlos eine zweite Operation durchgeführt werden. Zur Beschwerdefreiheit gesellt sich so für den Patienten auch noch die Sicherheit eines vollwertigen und dauerhaften Ersatzes — den er im alltäglichen Leben nicht einmal bemerken wird.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.