Jeder zehnte Patient in Deutschland leidet unter Schulterschmerzen, welche die Beweglichkeit stark einschränken. Oft können Patienten nicht einmal mehr eine Tasse zum Mund führen, ohne dass sie ein stechender Schmerz durchzuckt wie ein Blitz. Insbesondere bei Überkopf-Tätigkeiten macht sich dies bemerkbar. In vielen Fällen führen knöcherne Veränderungen im Schultergelenk oder die Ansammlung von Kalzium-Kristallen, die ein Kalkdepot in der sog. Supraspinatussehne bilden, zu einer Einklemmung dieser Sehne, die sich im ohnedies von Natur aus sehr engen Sehnengleitraum unter dem Schulterdach befindet. Bei fortschreitender Sehnendegeneration treiben die Schmerzen schließlich auch in Ruheposition ihr „Unwesen“ und rauben den Gepeinigten nicht selten den Schlaf.
Wenn diesen Patienten auf konservative Weise nicht mehr geholfen werden kann, bedeutet das heute glücklicherweise nicht mehr, dass sie mit ihren chronischen Schulterschmerzen leben müssen. Mit der arthroskopischen Operationstechnik steht der modernen Orthopädie mittlerweile ein Verfahren zur Verfügung, mit dem sich eine Vielzahl von Schulterbeschwerden auf risikoarme und effektive Weise behandeln und beheben läßt.
Was ist Arthroskopie, und wie funktioniert sie?
Wörtlich übersetzt bedeutet Arthroskopie soviel wie „Gelenksschau“. Durch einen kleinen Einschnitt auf der Schulter von etwa vier Millimetern wird zunächst eine kleine Sonde mit Kamera, Endoskop genannt, ins Schultergelenk eingeführt, die dem Operateur über einen mit ihr verbundenen Bildschirm Einblick ins Schultergelenk verschafft. Durch einen zweiten, ebenso unauffälligen Schnitt werden anschließend die Operationsinstrumente ins Gelenk eingeführt. Auf dem Bildschirm kann der Operateur nun genau den Weg der feinen Werkzeuge verfolgen. Das Gelenk wird nicht geöffnet, und doch tappt der Orthopäde nicht im dunkeln. Alle Schulterstrukturen sind auf dem Bildschirm sichtbar, und sämtliche Gelenkräume können genauestens auf Schäden und Verletzungen hin untersucht werden.
Ambulanter oder kurzstationärer Eingriff
Weil die um das Gelenk liegenden Weichteile bei der arthroskopischen Technik nicht nennenswert verletzt werden und die Schulter nicht eröffnet wird, ist der Eingriff für den Patienten kaum belastend. Zwar erfolgt die Operation unter Vollnarkose, dennoch kann sie auch ambulant durchgeführt werden. Ob ambulant oder kurzstationär operiert werden sollte, entscheidet sich nach dem Stadium der Schultererkrankung und der Konstitution des einzelnen Patienten. Auch auf das Lebensalter kommt es an. Der Düsseldorfer Orthopäde Dr. Markus Granrath hat sich auf die Behandlung von Gelenkerkrankungen spezialisiert und erläutert die Vorzüge der arthroskopischen Technik:
„Mit der modernen minimalinvasiven Operationsmethode können nahezu alle Schulterprobleme behandelt werden. Dies sind vor allem Engpasssyndrome (Impingement), die Kalkschulter, die chronische Schultersteife und die instabile Schulter nach Luxation. Auch rheumatische Leiden und die Arthrose (Verschleiß) der Schulter sind der arthroskopischen Technik zugänglich. Selbst gerissene Sehnen der Rotatorenmanschette können in vielen Fällen arthroskopisch rekonstruiert werden“
Enge unter dem Schulterdach ist häufige Ursache von Beschwerden
Das häufigste Problem ist das Engpasssyndrom – auch „Impingement“ genannt – unter dem Schulterdach. Hier kommt es durch eine anatomische Enge zu Einklemmungen der unter dem Schulterdach laufenden Sehnen („Rotatorenmanschette“) mit Reizung des auf den Sehnen liegenden Schleimbeutels („Bursitis“).
Ursache der Enge sind knöcherne Vorsprünge am vorderen Schulterdach oder eine entzündlich aufgetriebene oder mit Kalk durchsetzte Sehne. Begünstigt wird das Impingement-Syndrom durch ständige Überlastung der Sehne bei Überkopf-Arbeit oder andere Überanstrengungen beim Sport. Mitunter ist auch eine chronische Fehlhaltung am Arbeitsplatz die alleinige Ursache der Einklemmung.
Die arthroskopische Therapie besteht in der Erweiterung des Raumes unter dem Schulterdach. Dadurch bekommt die Rotatorensehne mehr Platz, und die chronische Reizung der Sehne kann sich zurückbilden. Das geschieht, indem mit Hilfe arthroskopisch eingeführter Sondeninstrumente („Shaver“) Knochenvorsprünge begradigt werden. Entzündete Anteile des Schleimbeutels werden ebenfalls entfernt. Schäden und Risse der eingeklemmten Sehne werden arthroskopisch stabilisiert oder genäht.
So verschieden die Gründe für eine Verengung unter dem Schulterdach auch sind, so wirksam ist es, wenn Platz für die Rotatorensehnen geschaffen wird. Häufig kommt es durch Kalkeinlagerungen in den Rotatorensehnen zu hochschmerzhaften Einklemmungen. Die schmerzgeplagten Patienten können kaum noch schlafen, selbst starke Schmerzmittel helfen nicht. Dr. Granrath: „Arthroskopisch lassen sich die Kalkdepots zuverlässig aufsuchen und entfernen. Die Patienten sind praktisch über Nacht beschwerdefrei. Die arthroskopische Behandlung der Kalkschulter ist das erfolgreichste Verfahren zur Behebung dieses Problems; allgemein sind rund 90% der Patienten nach einem solchen Eingriff schmerzfrei“.
Bei der chronischen Schultersteife wird die Gelenkkapsel arthroskopisch gelöst und das Gelenk auf diese Weise mobilisiert. Dabei wird unterstützend die entzündete Gelenkinnenhaut mitbehandelt. Für die Sicherung eines bleibenden Erfolges müssen die Patienten allerdings nach der Mobilisation ein konsequentes krankengymnastisches Behandlungsprogramm durchlaufen.
Neue arthroskopische Techniken mit kleinen resorbierbaren Knochenankern ermöglichen heute auch eine exakte Wiederherstellung der Schultergelenkskapsel nach Schulterluxation (Auskugeln). Dies gilt selbst für Schultern mit zahlreichen Vor-Luxationen und entsprechend geschädigten Kapselstrukturen. Mit speziellen Sondeninstrumenten läßt sich die ausgelockerte Schultergelenkskapsel fassen, straffen und mit einem Anker wieder knöchern befestigen. Den meist sportaktiven Patienten bleibt so eine große offene Operation erspart, bei der durch den Operationszugang selbst auch nicht betroffene Schulteranteile durchtrennt werden müssen, um die verletzten Kapselstrukturen zu erreichen. Offene Kapselrekonstruktionen sind nur noch in Ausnahmefällen erforderlich.
Ähnliches gilt für die Rekonstruktion einer gerissenen Rotatorenmanschette. Diese sollte nach Möglichkeit immer (arthroskopisch) rekonstruiert werden, um eine gute Schulterfunktion zu erhalten. Die alleinige Erweiterung des Schulterdaches schafft in diesen Fällen nur eine vorübergehende Beschwerdeerleichterung. Für die Rekonstruktion einer gerissenen Rotatorenmanschette sehen wir keine Einschränkung durch das Alter des Patienten. Wichtig ist allerdings, dass die Operation rechtzeitig nach einer Verletzung erfolgen sollte, bevor Muskeln und Sehnenplatte degenerieren und schrumpfen.
„Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die arthroskopische Operation der Schulter die Behandlungsmöglichkeiten für Schultererkrankungen erheblich verbessert hat. Kürzere OP-Zeiten, ein geringeres Operations-Trauma, weniger Schmerzen und ein besseres kosmetisches Ergebnis sprechen nach erfolglos ausgeschöpfter konservativer Therapie heute eindeutig für diese minimalinvasive Operationsmethode“, fasst Dr. Granrath die Vorteile der Arthroskopie zusammen. Und die Zahlen geben ihm recht: Immer häufiger wird verzweifelten Schmerzpatienten auf diese Weise geholfen. Zu hoffen bleibt, dass die Errungenschaften der modernen arthroskopischen Schulterchirurgie nicht mehr allzu lang auf spezialisierte Zentren begrenzt bleiben.
aus ORTHOpress 2 | 2002
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