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Rücken

Rückentherapie ohne Umwege

Facet joint injection, therapy against backbone injury or pain. Close-up of vertebrae with a syringe isolated on a white background 3D rendering illustration. Medical and healthcare, anatomy, medicine concept.

Die „schräge epidural-perineurale Injektionstechnik“

Nach so vielen Trends, die mittlerweile schon zu uns über den Großen Teich geschwappt sind, darf ein weiterer sicher nicht zum unbedeutendsten gerechnet werden – vor allem wenn unter „Lifestyle“ auch ein konkreter Zugewinn an Lebensqualität verstanden wird. Nach Rock ’n Roll und Coca Cola – nun die neuen rückenmarknahen Injektionstechniken, die eine Therapierung von meist äußerst schmerzhaften Rückenleiden ermöglichen, für welche bis vor wenigen Jahren noch einzig eine Operation in Frage zu kommen schien … Der Vergleich mag gewagt erscheinen. Doch von welcher Bedeutung diese sich allmählich auch in Deutschland, zumindest bei den innovationsfreudigeren Ärzten, durchsetzenden Methoden sind, kann man sich allein an den Statistiken hinsichtlich der am Bewegungsapparat Erkrankten verdeutlichen. Und akute wie chronische Rü­ckenschmerzen sind nun einmal der häufigste Grund für eine Arztkonsultation.

Wenn der Nerv drückt

Die für unsere Gesellschaft – aus bekannten Gründen – typischen degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und eine häufig damit einhergehende Verlagerung von Bandscheibenmaterial hin zum entsprechenden Nervenwurzelabgang sind zunächst die faktischen Auslöser der Beschwerdebilder. Der Druck auf die betroffenen Nerven verursacht die Schmerzen, wobei das Ausmaß dieser Nervenkompression auch dafür verantwortlich ist, wie ausgeprägt eventuelle zusätzliche Schmerzausstrahlungen in die Extremitäten, also in Arme und Beine, sind. In der Folge sind dann typischerweise weitere Partien und Teile des Bewegungssystems von der Erkrankung bzw. Schmerzsymptomatik betroffen, insofern die bestehenden Schmerzen dazu führen, dass Fehlbelastungen stattfinden und Fehlhaltungen eingenommen werden.

Der Arzt: Wichtiger Ansprechpartner des Schmerzpatienten

Nicht allein weil die psycho-sozialen Konsequenzen der Erkrankung zusätzlich „Druck“ auf den chronischen Schmerzpatienten ausüben und die Beschwerden noch verschlimmern, kommt dem Arzt-Patienten-Gespräch hier eine besondere Bedeutung zu und ist vom Arzt ein genaues Zuhören und Eingehen auf den Patienten gefordert. Vor allem weil die meisten Patienten bereits auf eine jahrelange „Leidenskarriere“ und Odyssee durch die unterschiedlichsten Arztpraxen zurückblicken können, ist es von großer Wichtigkeit, nicht nur sämtliche vorausgehenden Maßnahmen hinsichtlich Diagnose und Therapie zu eruieren, sondern auch eine detaillierte und exakte Beschreibung der individuellen Schmerzsymptomatik aus erster Hand, d.h. aus Patientenmund, zu erhalten, um das Problem auf den Punkt zu bringen – so auch die Überzeugung des Orthopäden und Schmerztherapeuten Dr. Gerhard Fischer.

Genaue Diagnose erforderlich

Großen Wert legt der in München praktizierende Schmerztherapeut auf ein ganzheitlich bestimmtes Denken und Vorgehen, eben auf den in der Schmerztherapie unerlässlichen „Blick über den Tellerrand“ hinaus. So sind neben einer eingehenden Untersuchung des gesamten Bewegungssystems manuelle und osteopathische Dia­gnosetechniken sowie die Hinzuziehung auch fachübergreifender Zusatzuntersuchungen Grundlage für die Erstellung eines umfassenden Behandlungskonzeptes, d.h. die Einbeziehung aller in Frage kommender Behandlungsstrategien, gleich zu Anfang.

Das Behandlungsspektrum

Reicht die Anwendung der gängigen konservativen Maßnahmen, wie Krankengymnastik, manuelle Therapie, Elektrotherapie, Massagen, Fango, Heilbäder, schmerzlindernde Medikamente und Injektionen, nämlich nicht aus, um die heftigen Schmerzen zu lindern, dann sollten nach Ansicht von Dr. G. Fischer alsbald auch die neuen invasiveren Injektionstechniken hinzugezogen werden, damit einer möglichen Chronifizierung der akuten Schmerzen von vornherein Einhalt geboten wird. Und weitere fatale Konsequenzen sollen die neuen Verfahren verhüten. Denn: Gelten die Patienten im klassischen Sinne als „austherapiert“, werden sie häufig einer Bandscheibenoperation zugeführt. Ob nun auf sog. minimalinvasive Weise, d.h. endoskopisch, oder offen durchgeführt – die Operation an der Bandscheibe bringt oft schwerwiegende Probleme mit sich: zum einen zunehmend belastungsabhängige Rückenbeschwerden als Folge der durch die Entfernung des Bandscheibengewebes hervorgerufenen Mikroinstabilität, zum anderen sogar eine chronische Reizung der Nervenwurzel selbst durch eine unvorhergesehene, operationsbedingte Narbenbildung. Diese Beschwerden sind dann noch schwerer durch konservative Maßnahmen in den Griff zu bekommen. „Die Anzahl bandscheibenoperierter chronisch schmerzkranker Patienten nimmt ständig zu in den orthopädischen und schmerztherapeutischen Einrichtungen“, fasst Dr. G. Fischer das Dilemma zusammen.

Bandscheibenbehandlung ohne OP

Nach einer Vielzahl von Bandscheibenoperationen und Bandscheiben-Laserbehandlungen, haben es die neueren Techniken dem Orthopäden ermöglicht, sich in seiner Münchner Praxis auf die ambulante Bandscheibenbehandlung ohne Operation zu spezialisieren. Die sich bereits seit einigen Jahren auch in Deutschland durchsetzenden Verfahren zur Injektion in den sog. Epiduralraum, der um das Rückenmark entlang der gesamten Wirbelsäule verläuft, mit und ohne Katheter, konnten mittlerweile weiterentwickelt werden. Die für die Behandlungsstrategie des Bandscheibenvorfalls ohne Frage revolutionäre Neuerung stammt diesmal aber nicht – wie zu vermuten wäre – aus den USA. Prof. Krämer von der Universitätsklinik in Bochum ist es gelungen, die sog. „schräge epidural-perineurale Injektion“ zu entwickeln. Schon der Name, erläutert Dr. G. Fischer, verrate, worauf die Effektivität dieser Methode beruhe. Durch eine besondere Technik des Einführens ist es möglich, mit Hilfe eines hauchdünnen, elastischen Katheters auf schonende Weise und selbstverständlich ohne Schnitt unmittelbar bis zum Bandscheibenvorfall und die durch ihn entzündlich angeschwollene Nervenwurzel vorzudringen. Schräg, d.h. seitlich von außen, wird der Minikatheter zwischen den Epiduralraum, den Raum zwischen dem Knochengewebe der Wirbelbogen-Innenflächen, und das Perineurium, dasjenige Bindegewebe, das die einzelnen Faserbündel des peripheren Nerven umgibt, geschoben und kann dort, an Ort und Stelle, seine Wirkung tun. Das Verfahren eignet sich dabei für alle Formen der Nervenreizung, seien sie durch Bandscheibengewebe, Narbenbildung nach Bandscheibenoperationen oder aber durch knöcherne Einengungen hervorgerufen.

So funktioniert die neue Technik

Zunächst bemerkt der Patient, der dabei übrigens in der Regel entspannt sitzt, lediglich einen Nadeleinstich an der Hautoberfläche. Anschließend schiebt der behandelnde Arzt eine Injektionsnadel bis in die Nähe des Rückenmarkkanals vor. Durch diese wird dann der extrem dünne, flexible Minikatheter an den Bandscheibenvorfall bzw. den entzündlich veränderten Nerven herangeführt. Bei dieser zugleich schonenden wie effektiven Behandlungsmethode genüge die Injektion weniger Tropfen Kochsalzlösung, gemischt mit entzündungshemmenden Substanzen, um eine nachweisbare Abschwellung des entzündlichen Nerven-Bandscheiben- oder operationsbedingten Narbengewebes zu bewirken, kommentiert Dr. G. Fischer diese innovative Verfeinerung des selbst noch sehr jungen Injektionsverfahrens. Weitere Vorteile: Die Behandlung dauert nur wenige Minuten, der Patient kann danach sofort aufstehen, eine für ihn belastende Röntgendurchleuchtung entfällt hier.

Und danach …

Durch die abschwellende und entzündungshemmende Wirkung der injizierten Substanzen wird die zuvor durch das krankhaft veränderte Gewebe mechanisch eingeengte Nervenwurzel entlastet. Nicht nur bildet sich die Reizung der Nervenwurzel nachweisbar zurück, bereits nach kurzer Zeit berichten die Patienten in der Regel von einer zunehmenden Erleichterung. Durch die Behandlung werden zudem die Durchblutung und der Stoffwechsel normalisiert, was die körpereigenen Heilungsmechanismen zusätzlich anregt.
Dr. G. Fischer unterstützt den erzielten Behandlungserfolg insbesondere mit Hilfe osteopathischer und dabei zu Anfang vor allem passiver Techniken. Diese bewirken eine mechanische Entlastung des behandelten Wirbelsäulensegmentes und damit Entzündungshemmung des entsprechenden Nervengewebes. Auch lassen sich auf diese Weise Funktionsstörungen des gesamten Bewegungssystems regulieren. Als weitere für den Langzeiterfolg sinnvolle Maßnahmen haben sich auch eine ambulante Rehabilitation oder auch angeleitete Trainingstherapie, die dann in Eigenregie des Patienten durchgeführt wird, erwiesen. Zu denken ist zudem an eine langfristige Veränderung der Lebens- und Arbeitsbedingungen des Patienten.

Ausblick

Auf Grund der neu zur Verfügung stehenden Injektionstechniken zeichnet sich in den USA bereits ein deutlicher Rückgang bei der Durchführung von Bandscheibenoperationen ab. Umfangreiche Studien belegen schon jetzt die hohe Wirksamkeit der neuen und dabei risikoarmen Verfahren – insbesondere auch gegenüber den bisherigen Techniken. Es bleibt zu hoffen, dass sie auch in Deutschland bald stärker verbreitet sein werden, um der Vielzahl der an akuten oder chronischen Rückenschmerzen leidenden Patienten eine reelle Chance auf Heilung oder zumindest Linderung zu verschaffen.

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 1 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.