Diagnose und Verlaufsbeurteilung in einem
Wenn ein Kind im Winter Schnupfen und Husten bekommt, dann ist es für den Hausarzt meist kein großes Problem herauszufinden, was ihm fehlt: In einer kurzen Untersuchung stellt der Arzt den Infekt fest und verschreibt ein entsprechendes Medikament – in schwereren Fällen ein Antibiotikum. Von der Erkenntnis, was dem kleinen Patienten fehlt, bis zum Beginn einer wirksamen Therapie ist es mithin ein kurzer Schritt. Was aber, wenn die Beschwerden diffus sind und nicht innerhalb weniger Minuten durch bloßen Augenschein die Ursache der Erkrankung gefunden werden kann?
Am Anfang einer wirksamen Therapie steht immer eine umfassende Diagnose, und die kann mitunter sogar komplizierter sein als die Beseitigung des Problems selbst, weiß der Münchner Orthopäde Dr. Michael Nager: „Insbesondere bei Wirbelsäulenbeschwerden muss eine Vielzahl von möglichen Ursachen abgeklärt werden, um dem Patienten wirksam helfen zu können.“ Oft helfen Röntgenbilder hier nicht weiter, denn sie zeigen dem Arzt immer nur einen Ausschnitt des menschlichen Körpers. So ist es zum Beispiel schwierig, etwaigen Problemen in der Gesamtstatik auf die Spur zu kommen. Dr. Nager beschreibt die Komplexität des Problems: „Kreuzschmerzen können auch dann auftreten, wenn auf dem Röntgenbild weder ein Bandscheibenvorfall noch eine starke Verkrümmung der Wirbelsäule zu sehen sind. Die einzige Möglichkeit, den wirklichen Grund der Beschwerden zu diagnostizieren, liegt daher vielfach in teuren CT- oder Kernspinaufnahmen.“
Eine neue Methode, Fehlstellungen der Wirbelsäule auf die Schliche zu kommen, steht jetzt mit der 3D-Lichtoptischen Vermessung der Wirbelsäule zur Verfügung. Ausgangspunkt dieses neuen Verfahrens ist eine Waage vor einer dunklen Fläche: Auf den Rücken des Patienten wird ein Lichtraster projiziert und von einer Videokamera aufgenommen. Ein Rechner erstellt dann ein dreidimensionales Bild des Rückens und der Wirbelsäule. Die Vorteile liegen auf der Hand: Beckenschiefstände und Beinlängendifferenzen, die mit den herkömmlichen bildgebenden Verfahren nicht oder nur unzureichend dargestellt werden können, lassen sich auf diesem Wege einfach und schnell erkennen und erlauben so in kürzester Zeit einen wirksamen Therapieansatz. Aber nicht nur die Diagnose profitiert von diesem Verfahren. Dr. Nager: „Auch die Verlaufsbeurteilung einer Behandlung wird durch die 3D-Vermessung wesentlich erleichtert. Schließlich kann man ja nicht über Wochen und Monate hinweg alle paar Tage eine Röntgenaufnahme machen, um Erfolg oder Misserfolg einer Therapie festzustellen. Die Strahlenbelastung wäre so hoch, dass sie in keiner Relation zur gewonnenen Information steht.“ Die Vermessung per Videokamera belastet dagegen den Patienten nicht nur überhaupt nicht, sondern ist auch besonders schnell durchführbar.
Nicht nur Tennisspieler und Golfer, die sich auf Grund der in ihrem Sport erlernten Schlagtechnik einseitig bewegen, können so in ihren Beschwerden viel schneller und besser diagnostiziert werden: Auch alle klassischen „Über-Kopf“-Arbeiter wie Anstreicher und Landschaftsgärtner leiden oft an einer regelrecht eingeschliffenen, berufsbedingten Fehlstatik. „Eine rechtzeitige und präzise Diagnose“, so Dr. Nager, „hilft nicht nur bei der Vermeidung von Folgeschäden, sondern ist allein schon wegen der Schmerzbehandlung ein großer Gewinn in der Therapie der meisten Rückenleiden.“ Zu den Vorteilen für den Patienten gesellt sich so die diagnostische Sicherheit für den behandelnden Arzt – ein nicht zu unterschätzender Faktor im Umgang mit Patienten, die nicht selten bereits eine jahrelange Leidensgeschichte vorzuweisen haben.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 4 | 2002
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.