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Leben & Gesundheit

Kräuter für die Seele

Immer mehr Menschen in den Industrieländern leiden unter leichteren psychischen Verstimmungen wie Stress, Angst und Unruhe. Fast jeder fünfte hat im Laufe seines Lebens eine Depression und laut Weltgesundheitsorganisation WHO wird die Depression in den nächsten zehn Jahren den zweiten Platz auf der Liste der häufigsten Todesursachen einnehmen. Bei der Therapie gewinnen pflanzliche Arzneimittel wie Johanniskraut, Kava-Kava, Baldrian, Melisse, Hopfen und Passionsblume zunehmend an Beliebtheit. Doch wo wird nun welches Kraut eingesetzt und wo sind die Grenzen?

Kräuter

Johanniskraut gegen Depressionen

Johanniskraut ist das in Deutschland am häufigsten eingesetzte Antidepressivum. Die in ganz Europa verbreitete Arzneipflanze wurde schon in den frühen Anfängen des Christentums verehrt und ist nach Johannes dem Täufer benannt.

Bereits im 17. Jahrhundert wurden seine positiven Einflüsse auf Menschen, die vom „Dämon der Schwermut“ befallen waren, beschrieben. Über kaum ein anderes Kraut ist in den letzten Jahrzehnten so viel geforscht worden, seine Wirksamkeit ist klinisch nachgewiesen und schulmedizinisch anerkannt. Der verantwortliche Inhaltsstoff ist das Hyperforin. Es wirkt antidepressiv, angstlösend und verbessert – zumindest im Tierversuch – Lern- und Gedächtnisleistungen. Hauptanwendungsgebiet sind leichte Depressionen. Darüber hinaus soll es auch bei mittelschweren Depressionen (Behandlung muss ärztlich überwacht werden), Altersdepressionen und Spannungskopfschmerzen helfen. Gute Erfolge zeigt es bei der so genannten Winterdepression, unter der etwa 10 Prozent unserer Bevölkerung (vor allem Frauen) leiden. Dieses auch als Lichtmangeldepression bezeichnete Krankheitsphänomen tritt von November bis März auf und ist eine milde Form der Depression. Sie äußert sich in Lethargie, Melancholie, Unwohlsein, Kohlenhydratheißhunger und erhöhtem Schlafbedürfnis.

Eine weitere Indikation ist das Burn-out-Syndrom, an dem vor allem engagierte Berufstätige leiden. Die Patienten fühlen sich oft überfordert, erschöpft, verbittert und ausgebrannt, was sich dann häufig in körperlichen Beschwerden niederschlägt. Die handelsüblichen Präparate enthalten hoch konzentrierten Johanniskrautextrakt, der allerdings in Qualität und Zusammensetzung sehr unterschiedlich sein kann. Wichtig ist, dass der Extrakt auf einen bestimmten Wirkstoffgehalt eingestellt (standardisiert) ist. Die normale Dosierung beträgt dreimal täglich 300 mg Johanniskrautextrakt (standardisiert auf 900 mg Gesamthypericin). Die Behandlung dauert meist mehrere Monate und sollte mindestens drei Monate erfolgen. Außerdem darf die Therapie nicht kurzfristig abgesetzt werden, da dies die Depression verstärken kann.

Johanniskraut ist im Allgemeinen gut verträglich. Selten kann es zu Magen-Darm-Beschwerden, allergischen Reaktionen und sehr selten zu Müdigkeit, Schwindel und erhöhter Lichtempfindlichkeit der Haut kommen. In Einzelfällen sind Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln (z.B. blutverdünnende Mittel, bestimmte Antibiotika, hormonelle Kontraceptiva) aufgetreten. Bekommt ein Patient bereits Medikamente verordnet, sollte er dies vor einer geplanten Johanniskrauteinnahme abklären.

Es sei darauf hingewiesen, dass der Effekt von Johanniskraut bei schweren Depressionen mit Suizidgefahr nicht ausreicht.

Kava-Kava gegen Angst und Stress

Kava-Kava ist ein etwa zwei bis fünf Meter hoher Strauch und gehört botanisch zu den Pfeffergewächsen. Seine Heimat sind die Inseln Polynesiens und andere Inselgruppen der Südsee. Medizinisch verwendet wird der Wurzelstock, aus dem die Ureinwohner auch heute noch den erfrischenden und beruhigenden Kava-Trank bereiten. Dieser spielt eine wichtige Rolle im religiösen, politischen und gesellschaftlichen Leben der Südseebewohner und ist ein Zeichen von Freundschaft und Respekt.

Bei uns ist Kava-Kava auch unter dem Namen “Rauschpfeffer” bekannt. Diese Bezeichnung ist allerdings nicht korrekt, da die Wirkstoffe, die Kavapyrone, nicht berauschen, sondern Angst lösen, beruhigen und entspannen. Die Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer bei körperlichen und geistigen Aktivitäten werden nicht beeinträchtigt. Kava-Kava eignet sich nur zur Behandlung von leichteren Angststörungen und nicht für psychotische Erkrankungen. Die „Anti-Stress-Wurzel“ wirkt – je nach Extraktform – schon innerhalb von Stunden. Es kann aber auch bis zu drei Wochen dauern, bis die Beschwerden gelindert werden.

Täglich sollten 60 bis 120 mg Kavapyrone eingenommen werden, am besten nach dem Essen. Vereinzelt treten Magen-Darm-Beschwerden, Kopfschmerzen, Allergien und Mundtrockenheit auf. Kava-Kava darf nicht in Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Leberschäden angewendet werden.

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten sind bisher nicht beobachtet worden, jedoch meldete die Schweizer Arzneimittelbehörde im Mai vergangenen Jahres 10 dokumentierte Fälle von schweren Leberschäden nach der Einnahme von Kava-Kava-Extrakt. Nach einer kurzen Zeit der Hysterie geht man heute aber davon aus, dass nicht der Wirkstoff selbst dafür verantwortlich war, sondern das Aceton, mit dem bei einigen Präparaten der Extrakt aus der Wurzel herausgelöst wurde. Bei den in Deutschland erhältlichen Kava-Kava-Produkten hingegen kommt zur Gewinnung fast ausschließlich Äthanol als Lösungsmittel zum Einsatz.  

Baldrian gegen Schlafstörungen

Der Baldrian ist wohl die bekannteste einheimische Heilpflanze zur Behandlung von nervösen Unruhezuständen und Schlafstörungen. Die Pflanze mit dem intensiven aromatischen Geruch wird, da sie eine starke Anziehungskraft auf Katzen ausübt, im Volksmund auch Katzenwurzel genannt. Pharmazeutisch wird die Wurzel verwendet, deren Inhaltsstoffe, die Valepotriate, das Einschlafen erleichtern und den Schlaf fördern. Außerdem ist ätherisches Öl enthalten, das Krämpfe lindert. Daher wird Baldrian auch bei nervösen Magen-Darm-Beschwerden eingesetzt.

Vorteilhaft ist, dass Baldrian so gut wie keine Neben- und Wechselwirkungen hat und das Reaktionsvermögen nicht einschränkt. Die bei synthetischen Schlafmitteln oft auftretende Tagesmüdigkeit findet man bei Baldrian kaum. Wird Baldrian als Schlafmittel eingesetzt, muss er ausreichend hoch dosiert sein. Sinnvoll ist die Einnahme von 600 mg Extrakt, etwa eine halbe Stunde vor dem Schlafengehen. In niedrigen Dosen erzeugt Baldrian einen anregenden, erst bei höherer Dosierung einen beruhigenden bzw. schlaffördernden Effekt.

Eine Besserung der Symptome tritt, wie bei den meisten Pflanzenextrakten, erst nach einigen Tagen ein.

Melisse, Hopfen und Passionsblume bei Befindlichkeitsstörungen

Diese Pflanzen werden volksmedizinisch bei leichten nervösen und psychosomatischen Störungen eingesetzt und meist miteinander kombiniert. Sie wirken mild angst- und spannungslösend, einschlaffördernd und beruhigend. Da sie praktisch frei von Neben- und Wechselwirkungen sind, eignen sie sich gut für die Anwendung bei Kindern.

Bei unruhigen Kindern mit Schulschwierigkeiten und Schlafproblemen hat sich beispielsweise eine Teemischung aus Melissenblättern, Hopfenzapfen und Passionsblumenkraut bewährt:

Schlaftee (besonders für Kinder):

  • Melissenblätter 40 g
  • Hopfenzapfen 30 g
  • Passionsblumenkraut 30 g

Zubereitung: 1–2 Teelöffel der Mischung in ein Teenetz geben, Netz in eine Tasse hängen, überbrühen; zugedeckt(!) etwa 5 Minuten ziehen lassen

Alle hier vorgestellten Heilpflanzen können über längere Zeit eingenommen werden und führen nicht zu Abhängigkeit. Übrigens, gegen Melancholie und Nervosität empfahlen französische Ärzte im 16. Jahrhundert Licht, Luft, Frohsinn und leichte Diät, vor allem Äpfel …

ORTHOpress 4 | 2001

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