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Krankheitsbilder

Knochenaufbau – wann ist er notwendig?

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Digital composite of Highlighted bones of exercising woman

Manchmal kann unser Körper benötigte Knochensubstanz selbst gar nicht, nicht in ausreichender Menge oder nicht ausreichend schnell bilden. Grund für den Bedarf an Knochenmasse kann die Defektversorgung nach Unfällen, aber auch z. B. ein Wahleingriff wie eine geplante Versorgung mit Zahnimplantaten sein. 

Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man den Eindruck gewinnen, dass unser Knochengerüst einem Bauwerk aus Stein oder einer Stahlkonstruktion ähnelt, die – einmal errichtet – unveränderlich in der endgültigen Form verbleibt. Ganz so ist es jedoch nicht, denn an unseren Knochen findet ein ständiger Umbau statt. Knochenabbauende Zellen, die sogenannten Osteoklasten, tragen Knochen ab, während er gleichzeitig an anderen Stellen durch die Osteoblasten wieder aufgebaut wird. So kann unser Körper flexibel auf Defekte und Verletzungen, aber auch auf gesteigerte Belastungen reagieren. 

Distraktionsosteogenese – Knochengewinn durch Aufspreizung

Kleinere Defekte im Knochen kann der Körper problemlos innerhalb weniger Wochen selbst überbrücken – wir kennen dies von der Bruchheilung. Aber das ist noch nicht alles: Man kann sogar den Körper „überlisten“ und ihn zur Bildung von wesentlich mehr Knochenmasse anregen, als er von selbst produziert hätte. Eine Möglichkeit dazu ist die sogenannte Distraktionsosteogenese. Dabei wird der Knochen über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder ein Stück aufgedehnt, sodass sich die Knochenenden voneinander entfernen. Der Körper versucht dann, den entstehenden Distraktionsspalt mit neuem Knochen zu füllen. Jedoch ist diese Möglichkeit der Knochengewinnung nicht die schnellste – maximal lässt sich so etwa ein Millimeter neuer Knochen am Tag gewinnen. Von besonderer Bedeutung ist diese Form der Osteogenese beim Aufbau von Kieferknochen sowie bei Beinverlängerungsoperationen, wie sie in spezialisierten Zentren sowohl nach Unfällen als auch auf Wunsch durchgeführt werden. Über mehrere Monate hinweg wird der Knochen entweder mit einem externen Fixateur oder auch über einen motorgetriebenen internen Marknagel so nachgeführt, dass ein Längengewinn von bis zu 20 cm
realisiert werden kann.     

Auch Spenderknochen kann zum Einsatz kommen 

Bei Weitem der häufigste Grund für einen notwendigen Knochenaufbau ist die Auffüllung bzw. Überbrückung von Defekten nach Unfällen und auch Prothesenwechseloperationen: Wenn z. B. eine Hüftprothese ausgebaut werden muss, so „fehlt“ zum einen das bislang von der Prothese eingenommene Volumen, zum anderen kommt es möglicherweise zu einer weiteren Knochenzerstörung durch das Freipräparieren des eingewachsenen Schaftes. Es fällt einem solchen Eingriff also in aller Regel viel Knochen zum Opfer, der nach Möglichkeit ersetzt werden muss. Als ideal gilt nach wie vor der Einsatz von autologem Material, also Eigenknochen. Dieser steht allerdings nur in begrenztem Umfang zur Verfügung; zudem ist die Entnahme – meist aus dem Beckenkamm – mit einem schmerzhaften und unkomfortablen Zweiteingriff verbunden. Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von Spenderknochen, sogenannten Allografts. Spenderknochen wird heute hauptsächlich aus den resezierten Hüftköpfen gewonnen, die bei einem Hüftgelenks-Primäreingriff anfallen. Diese werden desinfiziert und in einer Knochenbank tiefgekühlt aufbewahrt, bis sie zum Einsatz gelangen. Dabei ist die Aufbereitung und Lagerung von Spenderknochen vergleichsweise aufwendig, denn natürlich muss sichergestellt werden, dass die Übertragung von Krankheiten ausgeschlossen ist und auch eine entsprechende Dokumentation der Spenderdaten erfolgt. 

Dabei hat sich der Einsatz von Spenderknochen über Jahrzehnte hinweg bewährt. Er kommt sowohl bei Hüft- und Knieprothesenwechseleingriffen als auch bei Pfannendefekten oder Umstellungsosteotomien infrage und stellt das Mittel der Wahl dar, wenn nicht genügend Eigenknochen gewonnen werden kann. Viele Kliniken unterhalten daher heute Knochenbanken mit unterschiedlichen Fremdknochenpräparaten, um eine Vielzahl von Defekten bestmöglich
versorgen zu können.

Knochenersatzmaterial aus dem Labor

Einen immer größeren Stellenwert nimmt – insbesondere in der Zahnheilkunde – der Einsatz moderner Knochenaufbaumaterialien ein. Diese verfügen typischerweise über mehrere Eigenschaften. Zum einen kann man mit ihnen fehlendes Knochenvolumen ersetzen, zum anderen regen sie die Knochenneubildung an und dienen diesem als Gerüst: Sie sind also osteoinduktiv und osteokonduktiv. Die verwendeten Materialien ähneln dabei der menschlichen Knochenmatrix und bestehen meist aus Kalziumphosphatverbindungen wie z. B. Hydroxylapatit. Sie können als feines Granulat oder als Blöckchen eingesetzt werden, sind gleichzeitig fest und porös. So erlauben sie, dass mit dem Blut Wachstumsfaktoren in die Struktur eingeschwemmt werden und diese langfristig mit eigenem Knochen durchbauen. Haupteinsatzgebiet ist meist die Schaffung eines für die Verankerung von Zahnimplantaten ausreichenden Knochenangebotes im Ober- und Unterkiefer. Nur noch selten ist hierfür die Gewinnung von Eigenknochen aus dem Beckenkamm notwendig. Inzwischen sind auf dem Markt sogar pastose Knochenaufbaumaterialien erhältlich, welche in situ in die gewünschte Form modelliert werden können und dann innerhalb weniger Minuten aushärten. So kann praktisch jede Geometrie erreicht und Knochenaufbau und Implantatversorgung in nur einer Sitzung durchgeführt werden. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass diese Form des Knochenaufbaus der Verwendung von Eigenknochen aus dem Kieferbogen fast ebenbürtig und dem Einsatz nicht ortsständigen Knochens aus dem Beckenkamm möglicherweise sogar
überlegen sein könnte. 

Knochenanzüchtung im Reagenzglas

Wird nur wenig Knochen benötigt, so kann dieser heute auch aus eigenen Knochenzellen angezüchtet werden. Bei diesem sogenannten Tissue Engineering werden kleine Stücke der Knochenhaut des Kiefers entnommen und mit Eigenblut vermischt im Labor zu etwa fingernagelgroßen dreidimensionalen Gebilden herangezüchtet. Dieser Prozess dauert etwa ein bis zwei Monate – dann können die solcherart entstandenen Knochenchips (sie enthalten jeweils rund 1,5 Millionen vitale Knochenzellen) zurückverpflanzt werden. Innerhalb weniger Monate verwachsen sie untereinander und mit dem Kieferknochen und bilden so die Grundlage für ein
gesundes Knochenfundament.

von Arne Wondracek aus ORTHOpress 2/13

Fragen und Antworten

Wie lange dauert ein Knochenaufbau?

Wie lange es dauert, bis neuer Knochen aufgebaut ist, hängt von der jeweiligen Knochenaufbaumethode ab.

Wie funktioniert ein Knochenaufbau?

Für den Knochenaufbau stehen verschiedene Verfahren zur Verfügung. Bei der Distraktionsosteogenese beispielsweise wird der betroffene Knochenabschnitt schrittweise aufgedehnt, sodass der Körper an dieser Stelle selbst neues Knochengewebe bildet.

Wann wird ein Knochenaufbau notwendig?

Die häufigsten Gründe für einen Knochenaufbau ist die Überbrückung bzw. Auffüllung von Defekten nach Unfällen oder auch Prothesenwechseloperationen.