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Leben & Gesundheit

Heilmittelkatalog und Ambulante Rehabilitation – neue Entwicklungen

Happy disabled woman posing looking at camera sitting on a couch in the living room at home

Im Juli 2001 wurde der neue Heilmittelkatalog veröffentlicht, der die Verordnung von physikalischer und krankengymnastischer Behandlung standardisiert. Ferner wurden Gesetzesänderungen, vorwiegend im Sozialgesetzbuch IX beschlossen, die die ambulante bzw. teilstationäre Rehabilitation betreffen. Orthopress sprach hierüber mit dem Hürther Orthopäden und Rehabilitationsmediziner Dr. Bernd Zünkler.

Was hat sich konkret bei der Verordnung von Krankengymnastik und physikalischer Therapie geändert?

Dr. Zünkler: Erstmals wurde die Menge an Krankengymnastik und physikalischer Therapie standardisiert. Das heißt, dass jeder Kassenarzt nach Feststellung führender Krankheitssymptome eine bestimmte Anzahl bzw. eine bestimmte Kombination von physiotherapeutischen und physikalischen Anwendungen rezeptieren kann. Es können auch Verordnungen außerhalb eines Regelfalles ausgestellt werden, welche auf dem Rezept ärztlich begründet werden müssen. Auf den Rezepten wird der Behandlungsverlauf dokumentiert, so dass eine Rückmeldung an den behandelnden Arzt ermöglicht wird. Dieser kann dadurch die Therapie in Art und Umfang besser als bisher steuern. Diesem Vorteil steht allerdings ein höherer Verwaltungsaufwand für alle an der Verordnung Beteiligten gegenüber.

Was ist eine D1/D2-Verordnung?

Dr. Zünkler: Diese Verordnung aus dem neuen Heilmittelkatalog schreibt eine fixe unveränderbare Kombination von Heilmitteln bei Vorliegen komplexer Funktionsstörungen vor. Diese Anwendungen sind auf 10 Behandlungen begrenzt und nicht interdisziplinär organisiert. Eine Wiederholungsverordnung wegen derselben Leitsymptomatik ist ausgeschlossen. Für den verordnenden Arzt ist dabei schwer abzuschätzen, ob diese Behandlung innerhalb des vorgeschriebenen Zeitrahmens auch zu dem gewünschten Erfolg führt. Die D1/D2-Verordnung ersetzt nicht die bislang bekannte erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) bzw. ambulante orthopädisch-traumatologische Rehabilitation (AOTR), da die zeitliche Limitierung bei der D1/D2-Verordnung strikt einzuhalten ist.

Kann ein Patient mit einer Sportverletzung in Anbetracht neuer Bestimmungen eine erweiterte ambulante Physiotherapie (EAP) beantragen? 

Dr. Zünkler: Es können zur Zeit nur noch Patienten, die einen durch die VdAK oder die zuständige Berufsgenossenschaft versicherten Unfall erlitten, eine erweiterte ambulante Physiotherapie erhalten. Diese Therapie besteht aus einer Heilmittelkombination, die in der Regel zwei bis drei Stunden zweimal bis dreimal in der Woche durchgeführt wird. Sie beinhaltet meistens physikalische Therapie, Krankengymnastik und Gerätetraining und wird ärztlich überwacht. Die Behandlung ist auf Antrag auch verlängerbar. Insgesamt ist noch unklar, ob die EAP kurzfristig weiter in ihrer jetzigen Form bestehen bleibt; denn die EAP war vor 10 Jahren als zeitlich befristetes Modellvorhaben ins Leben gerufen worden. Durch eine ausgedehnte Inanspruchnahme der EAP ist von den gesetzlichen Krankenkassen eine Verlängerung des Modellvorhabens nicht mehr gewünscht worden. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen für EAP stiegen im Jahr 2000 immerhin auf 750 Mio. DM. Die Ersatzkassen werden aus Kulanzgründen gegenüber den bestehenden Einrichtungen die EAP noch bis Ende 2002 fortführen, während die Primärkassen sich bereits jetzt mehr an den neuen Standards für die teilstationäre Rehabilitation orientieren. Den Selbstzahler bzw. den Privatpatienten berühren die aktuellen Entwicklungen in der erweiterten ambulanten Physiotherapie nicht, da sie weiter angeboten wird. Für einen z. B. sonst gesunden Sportverletzten kann nämlich einerseits eine Heilmittelverordnung zu wenig effektiv sein. Sie unterliegt auch weiterhin den vertragsärztlichen Budgetrestriktionen. Andererseits kann eine teilstationäre oder stationäre Rehabilitation zu umfangreich sein. Die EAP ist aus medizinischer Sicht insbesondere für Sportverletzte im neu gegliederten Rehabilitationssystem eigentlich sinnvoll. Ob es eines Tages eine Neuauflage dieser Therapie für gesetzlich Versicherte geben wird, ist aus heutiger Sicht nicht abschätzbar.

Welche Neuerungen ergeben sich für die teilstationäre Rehabilitation?

Dr. Zünkler: Grundsätzlich soll mit den Gesetzesänderungen im Sozialgesetzbuch IX die Stellung des gesetzlich Versicherten gestärkt werden. Berechtigten Wünschen bei der Wahl der Rehabilitationseinrichtung soll entsprochen werden. Durch die Einrichtung sollen umfassende qualitätsgesicherte Leistungen auf medizinisch ganzheitlich-orientiertem Gebiet erbracht werden, die mit denjenigen von stationären Rehabilitationseinrichtungen vergleichbar sind. Es wird eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von z.B. Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Sportlehrern, Ärzten und Psychologen usw. angestrebt. Durch diese Kooperation können Patienten mit mehreren Erkrankungen zugleich wirksam behandelt werden. Da auch die Prävention von Behinderungen und Chronifizierungen von Erkrankungen und Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben eine wichtige Rolle im Sozialgesetzbuch IX spielen, kommen auch Patienten unter diesen Aspekten für eine teilstationäre Rehabilitation in Frage. Im Gegensatz zur vollstationären Rehabilitation erfolgt die teilstationäre Rehabilitation vier bis sechs Stunden täglich. Sie soll nach Möglichkeit wohnortnah in einem Umkreis von 25 km Entfernung vom Wohnort stattfinden.

Wer kommt für die neue Form der teilstationären Rehabilitation in Frage?

Dr. Zünkler: An die Patienten werden höhere Anforderungen an die Mobilität als in der stationären Rehabilitation in einem Kurort gestellt. Dort sind Patienten mit geringer Mobilität und erhöhtem Pflegebedarf besser aufgehoben. Eine Gefährdung des Patienten durch den täglichen Transport mit PKW oder öffentlichen Verkehrsmitteln sollte ausgeschlossen werden. Die teilstationäre Rehabilitation gibt es derzeit für Erkrankungen der Bewegungsorgane, auf den Fachgebieten der Kardiologie und Neurologie. Da die Patienten bei der teilstationären Rehabilitation wohn- und arbeitsortnah behandelt werden, könnte diese Maßnahme am ehesten für Selbstständige, Führungskräfte und für alle Patienten interessant sein, die ihr häusliches Umfeld nicht missen möchten.

Wie kommt der Patient zur teilstationären Rehabilitation?

Dr. Zünkler: Der Patient lässt sich von seinem behandelnden Arzt bei entsprechender Indikation ein übliches Kassenrezept z.B. mit der Aufschrift „20 Tage teilstationäre Rehabilitation nach § 40 (1) SGB V“ und der zugrundeliegenden Diagnose ausstellen. 20 Behandlungstage werden von vielen Kassen genehmigt. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung wird zur Zeit mit der teilstationären Rehabilitationseinrichtung nach Vorlage des Rezeptes und ärztlicher Untersuchung des Patienten nach Terminabsprache ein besonderer Rehaantrag in Anlehnung an die internationale Klassifikation der Funktionsstörungen (ICF) gestellt. Dieser Antrag wird anschließend wiederum durch den medizinischen Dienst des Kostenträgers geprüft. Die Bearbeitung des Antrages soll im Regelfall gemäß § 14 (2) SGB IX nicht länger als drei Wochen dauern. Sollte der Patient nach einer Operation vom Krankenhaus zur teilstationären Anschlussrehabilitation empfohlen werden, wird der Rehaantrag bereits im Krankenhaus gestellt. Für ein Heilverfahren zur Vorbeugung von Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit über die Rentenversicherungsträger kann der behandelnde Arzt weiterhin seine ihm bekannten Antragsformulare der LVA oder BfA verwenden. In diesem Formular kann der Wunsch des Patienten eingetragen werden.

Herr Dr. Zünkler, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

aus ORTHOpress 03|2002

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.