Search
0
Anzeige
Rücken

„Exoten“, die mehr Beachtung verdienen

A mature adult nurse puts pressure on incision while the mid adult female doctor takes the instrument she needs from the mid adult male nurse across from her.

Nicht selten wird verkannt, dass vom Patienten beschriebene Beschwerden auch von der Hals- oder Brustwirbelsäule ausgehen können. Der Gang zum Schmerztherapeuten ist dann vorprogrammiert, obwohl viele Störungen, die zu Schmerz und Beweglichkeitsverlust führen, durchaus funktionell behebbar sind.

Beim Thema Rückenschmerz denkt man meist unwillkürlich an die Lendenwirbelsäule oder das Steißbein. Tatsächlich tritt der „klassische“ L5/S1-Vorfall rund hundertmal öfter auf als sein Pendant an Hals- oder Brustwirbelsäule, welches denn auch gemeinhin als langwierig und schlecht zu therapieren gilt. Zu Unrecht, wie der Berliner Neurochirurg Dr. Roland Flügel meint: „Mitunter wird bei Gefühlsstörungen und selbst Lähmungserscheinungen auf eine gründliche klinische Untersuchung verzichtet. Dadurch wird nicht erkannt, dass sich die Ursache im Bereich der Brust- und Halswirbelsäule lokalisieren lässt.“

Vielfach ist eine verständliche, aber aus medizinischer Sicht übertriebene Furcht Grund für die Zurückhaltung von Patienten und auch Therapeuten. Dr. Flügel: „Glücklicherweise muss nur ein kleiner Teil der Patienten operativ behandelt werden. Oft werden die Probleme jedoch nicht richtig oder nur teilweise wahrgenommen, da bei der Diagnostik hauptsächlich nach skelettverändernden Ursachen gefahndet wird.“ So reicht nach Flügels Ansicht ein Röntgenbild in aller Regel zur Befunderhebung nicht aus: „Im Röntgenbild werden nur Wirbelgelenksverschleiß und Gefügestörungen sichtbar. Eine Aussage zu Erkrankungen der Bandscheiben oder Veränderungen der Muskulatur ist damit nicht möglich. Gerade eine Muskelfunktionsanalyse aber in Kombination mit einer Muskelbehandlung und einem individuell auf den Patienten zugeschnittenen Bewegungstraining kann in vielen Fällen bereits eine äußerst effektive Beschwerdelinderung erreichen.“

Aber auch, wenn durch einen physiotherapeutischen Abbau von Schonhaltungen kein Erfolg erreicht werden kann, gibt es inzwischen gute Möglichkeiten zur Therapie. Leichtere Nervenkompressionen, z.B. bei Bandscheibenvorfall oder knöchernen Einengungen können mit der so genannten „periradikulären Infiltration“ behandelt werden. Dabei werden unter CT-Kontrolle entzündungshemmende und abschwellende Substanzen injiziert. Durch die Kontrolle per CT kann der Operateur den betroffenen Bereich mit großer Genauigkeit aufsuchen. Bei einigen Bandscheibenvorfällen können mit der Laserchirurgie gute Resultate erzielt werden. Unter dem Computertomografen wird bei dieser Methode unter örtlicher Betäubung gearbeitet; der Eingriff ist kurz und schmerzlos: Eine lange Spezialnadel wird seitlich durch die Haut an den Bandscheibenraum vorgeschoben. Durch diesen Arbeitskanal wird ein Endoskop geführt. Sodann wird per Laserstrahl das überflüssige Bandscheibengewebe geschrumpft.

Versprechen diese Maßnahmen keinen Erfolg oder ist die knöcherne Einengung zu stark, so können die Knochenkanten auch auf operativem Wege abgeschliffen werden. Für diesen Eingriff, der unter Vollnarkose vorgenommen wird, erfolgt der Zugang über einen kleinen Schnitt im Bereich der Halsbeugefalte – dieser wird nachher kaum mehr zu sehen sein. Dann sucht der Arzt schonend unter dem Mikroskop den entsprechenden Bereich auf und beseitigt die schmerzende Kompression. „Resultat ist“, so Dr. Flügel, „eine gute Entlastung des Rückenmarks und der Nerven bei geringstmöglicher Traumatisierung“. So werden bei dem Eingriff keine Bänder und Muskeln verletzt. Falls nötig, kann auch die vorgefallene Bandscheibe auf diesem Wege ausgeräumt werden. Da die Bandscheibe neben der gelenkigen Verbindung der Wirbel aber auch Distanzhalter ist, muss bei diesem Verfahren eine so genannte Diskusprothese eingesetzt werden. Diese besteht entweder aus halbelastischem Polyurethan oder aber aus einem Titanblock, der sich zwischen den Wirbeln einfügt. Anders als bei einer Versteifungsoperation an der Lendenwirbelsäule hält Dr. Flügel die aus der Versteifung resultierenden Einschränkungen in der Beweglichkeit allerdings für nicht gravierend: „Da die Bewegung der Halswirbelsäule hauptsächlich um den 1. Halswirbel stattfindet, ist die Bewegungseinschränkung funktionell kaum merklich.“

Auch postoperative Komplikationen wie bei den berüchtigten „offenen“ Bandscheibenoperationen sind nicht zu befürchten: „Bei dieser Vorgehensweise kommt es auf Grund des Zugangs und der mikrochirurgischen Operationsweise nicht zu den schmerzhaften Verwachsungen und Vernarbungen.“ Der Patient kann also davon ausgehen, dass er nach einem solchen Eingriff schmerzfrei ist und dennoch die volle Beweglichkeit weit gehend erhalten bleibt. Dennoch betont Dr. Flügel, dass auch bei fortgeschrittenen Beschwerden nicht immer ein operativer Eingriff notwendig sei: „Zwar ist das Problem, dass die meisten Patienten zu spät eine ursächliche Behandlung ihrer Beschwerden angehen. Dennoch kann den allermeisten von ihnen geholfen werden. Selbst Patienten jenseits des 60. Lebensjahres, die auf Grund eines HWS-/BWS-Syndroms bereits schwere Gangstörungen aufweisen, können die berechtigte Hoffnung hegen, eine wesentliche Verbesserung ihres Zustandes zu erfahren.“

ORTHOpress 3 | 2001

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.