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Zur Therapie von Handerkrankungen und -verletzungen
Mensch und Hand
Mehr als jedes andere Körperteil kennzeichnet den Menschen seine Hand. Sie war es, die seine Vorreiterstellung unter den Tieren und schließlich auch den Primaten begründete. Die „Herrentiere“ („Primates“) nämlich charakterisiert, dass sie die Daumen bzw. Großzehen den übrigen Fingern oder Zehen gegenüberstellen können. Der Mensch brachte es hierin, im Zusammenhang mit dem aufrechten Gang, zu einer – evolutionär gesehen – unnachahmlichen Perfektion. Durch die mit der Zweibeinigkeit verbundene Umgestaltung der Wirbelsäule, des Beckens und der Beine nämlich verloren die Füße ihre Greiffunktion; dafür vollzog sich die Entwicklung der Hand zu einem hoch differenzierten Greifwerkzeug. Als er es erstmals verstand, seine beiden Hände als herstellende Werkzeuge einzusetzen, war endgültig der qualitative Sprung des Menschen aus dem Tierreich vollführt und die gesamte technische und kulturelle Entwicklung der Menschheit vorgezeichnet. Mit Dürer spätestens wurden sie zum Gegenstand künstlerischer Erhebung und Zeichen der „Gottesebenbildlichkeit” des Menschen.
Bezeichnenderweise haben die Figuren im Comic und Cartoon, auch diejenigen, die besonders menschenähnlich sind bzw. Menschen darstellen sollen, in der Regel nur vier Finger, wovon einer daumenartige Beweglichkeit aufweist. Vordergründig steht dahinter eine Konvention der Zeichner: Fünf Finger – zumal in Bewegung – sind für den Cartoonisten ziemlich schwierig zu realisieren. Die tiefere Bedeutung: Bei Walt Disney & Co. geht es ja gerade nicht um das Unterscheidende zwischen Tier- und Menschenwelt. Nicht nur die drolligen Gesichter und Körperformen, vor allem die zeichnerische Amputation des fünften Fingers bedeutet letztlich eine Beschneidung der menschlichen Dignität – sonst könnten wir womöglich gar nicht über bestimmte Dinge, die diesen Figuren widerfahren, lachen. –
Man ist versucht, sogar zu sagen, dass die Entwicklung der Hand die den Menschen in ihren sozialen und kulturellen Dimensionen kennzeichnende Sprache mit ermöglicht hat – nicht nur, wenn er mit Händen (und Füßen) spricht. Da die Schnauze – bei den meisten Tieren wichtigstes Greiforgan – ihre Funktion eingebüßt hatte, der Mensch nun die Hände zum Greifen und Halten von Essen etwa einsetzte, kam es, unterstützt durch die Gehirnentwicklung und Schädelwölbung und damit verbundene Ausprägung des charakteristischen menschlichen Gesichts, zu ihrer Rückbildung und dann zur Kinn- und Mundbildung, denen die Sprachentfaltung folgte. Also alles „aus einer Hand“. – Apropos: In schier unübersehbar vielen deutschen Sprichwörtern und Redensarten spielt die Hand eine zentrale Rolle. Alles, was der Mensch tut, alle seine Handlungen und Werke, gehen schließlich wortgeschichtlich auf die Hand zurück. Von alters her bedeutet „handeln“ etwas „mit den Händen fassen, berühren, bearbeiten“. Im Mittelhochdeutschen kam dies in der Bedeutung des „Handwerks“, damals auch Kunstwerke umfassend, zum Tragen und seit dem 16. Jahrhundert wird „handeln“ auch in kaufmännischer Bedeutung verwendet, im Sinne von „Handel treiben“ und „Geschäfte machen“. Wenn es ums Liebesleben geht, ist eine Redensart schnell bei der Hand: Nachdem man Händchen gehalten hat und einer, indem er verspricht, einen auf Händen zu tragen, um jemandes Hand anhält, reicht man die Hand fürs Leben, um schließlich in festen Händen zu sein. Ziemlich handfest die ganze Angelegenheit. Schon seit frühester Zeit gilt die Hand als Symbol der Gewalt über etwas, des Besitzes („alle Fäden in der Hand haben“, „jemand in der Hand haben“), aber auch des Schutzes („in guten Händen sein“). Daraus erklären sich auch die zahlreichen Ableitungen des Grundwortes und deren Bedeutung, wie z.B. „vor-handen“ sein, „ab-handen“ kommen, etwas aushändigen usf.
Doch genug der „Wortklauberei“. Eins liegt auf der Hand: Wird der Mensch an einer seiner zentralsten Körperpartien verletzt, so ist er damit auch an einer seiner empfindlichsten Stellen getroffen, und zwar auch im übertragenen Sinne. Wem die Hände gebunden sind, der hat nun einmal nicht mehr freie Hand, zu tun oder zu lassen, was er möchte …
Das Gebilde Hand: Hoch kompliziert und „ach so verletzlich“
Das Fatale daran: Durch die exponierte Stellung und den ständigen Gebrauch kommen Verletzungen an den Händen besonders leicht vor. Zudem stehen Handverletzungen mit 40% an oberster Stelle aller berufsgenossenschaftlich versicherten, unfallbedingten Körperschäden; noch gar nicht bedacht die vielen Schädigungen und Beeinträchtigungen, unter denen Betroffene von Geburt an zu leiden haben, oder solche, die – anlagebedingt bzw. -begünstigt – im Laufe eines Lebens, durch Verschleiß etwa, auftreten können. Es liegt nicht zuletzt an der Vielzahl der anatomischen Strukturen der Hand und ihrer komplexen Vernetzung, dass der „Operationsatlas Handchirurgie“ auf nahezu 600 Seiten in komprimierter Form Operationstechniken für die unterschiedlich möglichen Verletzungen und Erkrankungen der Hand differenzierend entfaltet.
Die Hand, als unterster Teil der oberen Gliedmaßen durch das Handgelenk mit dem Unterarm verbunden, besteht selbst aus drei unterscheidbaren Grundelementen: dem Handrücken, dem Handteller und den Fingern. Sieben Handwurzelknochen machen das knöcherne Grundgerüst der Hand aus. Sie sind durch feste Bänder zu einer Einheit verbunden. Es folgen die Mittelhandknochen und die einzelnen Knochen der Fingerglieder mit ihren Gelenken. Man spricht hierbei von den fünf Strahlen, wobei der Daumen einer jeden Hand jeweils den ersten Strahl bildet. Dieser differenzierte Knochenaufbau mit seinen jeweiligen Gelenken und eine Vielzahl von Muskeln machen die große Beweglichkeit der Hand und damit die Wahrnehmung ihrer vielfältigen Aufgaben möglich. Dabei kommt – wie gesagt – dem Spitzgriff, der Fähigkeit, den Daumen den anderen Fingern gegenüberzustellen, eine zentrale Rolle zu. Die vielen Muskeln, welche die Hand insgesamt bewegen, befinden sich am Unterarm, wobei die Beugemuskeln und ihre Sehnen durch den Handteller, die Streckmuskeln und -sehnen über den Handrücken verlaufen. Zum Schutz und zur besseren Funktion verlaufen die Sehnen in sog. Sehnenscheiden. Sie halten zusammen mit den Bändern die Knochen und Muskeln in ihrer Lage und sorgen derart für die Stabilität des Gebildes. Daumen und kleiner Finger besitzen noch spezielle Muskeln im Handteller, welche die Beweglichkeit weiter erhöhen.
Die gesunde Hand weist in der Regel eine sehr gute Blutversorgung auf; dafür sorgen spezielle Blutadern – die bekannteste von ihnen: die Pulsader, die sich unterhalb des Daumensattels bzw. Handgelenks ertasten lässt. Hoch empfindliche Nervenendigungen in der Haut der Hand ermöglichen u.a. den Tastsinn, die Temperaturempfindung und das Schmerzgefühl. Zum Teil sind diese mit speziellen Gehirnregionen direktgeschaltet, was Präzision und Geschicklichkeit der Handbewegungen gewährleistet – undenkbar sonst das Klavierspiel eines Virtuosen …
Eine ganze Zunft und „Wissenschaft“ gründet auf ihnen: den Handlinien in der Hohlhand bzw. im Handteller. Sie entstehen durch feste Verwachsungen der Haut mit der Unterlage – einmal von ihrer möglichen spirituellen Bedeutung abgesehen. Die feinen Linien auf den Fingerkuppen sind bei jedem Menschen individuell ausgeprägt und erlauben bekanntlich durch Abdruck seine Identifizierung. Auch in anderer Hinsicht sind die Hände unsere persönlichste Visitenkarte. So manche Frau achtet bei Männern in erster Linie auf Formschönheit und Gepflegtheit der Hände – behaupten sie jedenfalls … Ob nun zum Streicheln, Kosen und Massieren oder zum höflichen Shake-hands eingesetzt, die soziale Komponente der Hand und damit das Erscheinungsbild und „Anfühlgefühl“ für andere ist nicht zu vernachlässigen. Krankhaft vermehrte Schweißdrüsen, die sich von Natur gehäuft im Handteller befinden, können übrigens heutzutage sogar schon operativ entfernt bzw. zum „Versiegen“ gebracht werden.
Die Handchirurgie: Alle Hände voll zu tun
Während viele oberflächliche Wunden an der Hand auf Grund der guten Blutversorgung in der Regel rasch abheilen, gibt es schwere Schäden, die chirurgisch versorgt werden müssen. Dass die Handchirurgie manchmal wahre Wunder vollbringen muss, um die Funktionstüchtigkeit der Hand wiederherzustellen, lässt sich leicht denken angesichts des Wunderwerks Hand. Bei angeborenen Handfehlbildungen oder auch unfallbedingten Handdeformitäten etwa ist es heute nicht unüblich, Zehen an die Stelle des Daumens zu transplantieren, um die Greiffunktion wiederherzustellen. Vor einiger Zeit lieferte der spektakuläre Fall der weltweit ersten (von einem Toten) vollständig transplantierten Hand den Medien Stoff und löste gleichermaßen medizinische wie ethische Diskussionen aus …
Die Handchirurgie insgesamt hat es nicht nur zu tun mit unterschiedlichen Frakturen und Luxationen (Ausrenkungen); außer an Knochen, Gelenken und Kapsel-Band-Apparat sind ja auch zahlreiche Verletzungen an den Sehnen, an der Haut und an den Weichteilen möglich. Letztere umfassen etwa unterschiedliche Formen von Hauttransplantationen, aber auch die Versorgung von nicht zu unterschätzenden Verletzungen des Fingernagels und Nagelbetts. Hinzu kommt die Vielzahl rheumatischer und degenerativer Veränderungen, Sehnenscheidenstenosen, Knochennekrosen, Instabilitäten, Handgelenkganglien und die sog. Dupuytrensche Kontraktur. Ein zentrales Gebiet der Handchirurgie ist auch die operative Behandlung von den relativ weit verbreiteten, schmerzhaften Nervenkompressionssyndromen, insbesondere des sog. Karpaltunnelsyndroms. Zudem fallen mikrochirurgische Eingriffe an Nerven und Gefäßen sowie sog. motorische Ersatzoperationen in ihre Zuständigkeit – geradezu „raffinierte“ Eingriffe, bei welchen durch entsprechende Sehnenverlagerungen fehlende Bewegungsmöglichkeiten der Hand kompensiert, d.h. sozusagen auf Umwegen verbessert oder sogar wiederhergestellt werden.
Doch all dies ist im wahrsten Sinne kein Grund, die Hände in den Schoß zu legen. Denn trotz ausgeklügelter moderner OP-Techniken und scheinbar unbegrenzter Möglichkeiten gelingt es nach Expertenmeinung nicht immer, die Funktion der Hand vollständig wiederherzustellen. Etwa ein Drittel aller Handverletzungen führe zu bleibenden Schäden. Ein zentraler Grund: die mangelhafte Nachbehandlung und damit verbundene Inaktivitätsschäden, die bereits nach kürzester Zeit auftreten können. Deshalb plädieren Fachleute für eine frühzeitige, engmaschige, möglichst stationäre Rehabilitation handverletzter Patienten, wobei chirurgische Versorgung und Nachbehandlung Hand in Hand arbeiten sollten. Die Rehabilitation sollte dabei auch potenziell psychische Aspekte mit umfassen, denn schließlich bedeuten ästhetische und funktionelle Versehrtheit gerade an den Händen mehr als nur eine Traumatisierung im rein körperlichen Sinne.
ORTHOpress 4 | 2000
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