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Knie

Die autologe Chondrozyten-Transplantation

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In den letzten zehn Jahren hat insbesondere die Behandlung der Kniegelenkarthrose, aber auch der Arthrose allgemein, große Fortschritte gemacht. Obwohl es immer noch nicht möglich ist, verschlissenen Knorpel im Gelenk selbst wieder wachsen zu lassen, haben neue, minimalinvasive Techniken dazu geführt, dass ein künstlicher Gelenkersatz bei vielen Patienten um Jahre hinausgeschoben werden kann. Das ist ein großer Erfolg, denn immer noch ist die Lebensdauer eines Implantats nicht unbegrenzt – besonders bei jungen Patienten möchte kein verantwortungsvoller Arzt zu früh eine Endoprothese einsetzen, bevor nicht alle anderen Mittel ausgeschöpft sind. Welches diese Mittel sind, und wie viel man mit ihnen erreichen kann, erfuhr Orthopress im Gespräch mit dem Frankfurter Orthopäden Dr. Dirk-Alexander Rümelin, der sich intensiv mit der operativen und konservativen Arthrosetherapie beschäftigt.

Herr Dr. Rümelin, warum ist unser Gelenkknorpel so wichtig?

Dr. Rümelin: Unser Knorpel erfüllt gleich zwei wichtige Funktionen: Zum einen ist der halbelastische Überzug über dem Gelenkknochen ein Stoßdämpfer, der das Gelenk auf Schritt und Tritt vor Schaden bewahrt. Man muss sich vorstellen, dass bereits bei normaler Gehbewegung ein Vielfaches unseres eigenen Körpergewichtes auf die wenigen Quadratzentimeter der Gelenkoberfläche einwirkt. Um wie viel höher diese Belastung bei sportlichen Aktivitäten ist, lässt sich unschwer erahnen. Wäre kein Gelenkknorpel vorhanden, würde bei jeder Bewegung Knochen auf Knochen treffen und so das Gelenk innerhalb kürzester Zeit ruinieren. Genau das ist bei Patienten mit schwerer Arthrose der Fall – das Resultat sind eine weitgehende Bewegungseinschränkung und starke Schmerzen, die im fortgeschrittenen Stadium auch in Ruhephasen nicht mehr verschwinden. Die andere Funktion unseres Knorpels ist die eines perfekten Gleitlagers: Der Knorpel wirkt im Gelenk wie ein „natürlicher“ Teflonüberzug, der eine reibungslose Bewegung ermöglicht. Fehlt dieser Überzug, so fällt uns jede Bewegung schwer – ganz wie bei einem rostigen Scharnier, welches sich nur noch unter größten Mühen bewegen lässt.

Aber was kann man tun, wenn der Knorpel geschädigt ist?

Dr. Rümelin: Wichtig ist zunächst eine individuelle Diagnose, um herauszufinden, wodurch der Knorpel wie stark geschädigt wurde. Danach richtet sich dann die Therapie. Oftmals kann es ausreichend sein, das weitere Fortschreiten der Arthrose zu verhindern. Bei noch nicht so weit fortgeschrittenen Defekten kommen konservative Therapiemaßnahmen wie z.B. PST oder Hyaluronsäureinjektionen in Frage. Bei oberflächlichen Knorpelschäden können eine arthroskopische Glättung des Knorpels per Laser oder Knorpelshaving sinnvoll sein. Indem man die rauhen Stellen quasi „poliert“, verhindert man, dass bei jeder Bewegung immer mehr kleine Knorpelstückchen aus der Oberfläche herausgerissen werden und aus einem kleinen Defekt ein großer Schaden entsteht. Darüber hinaus gibt es bei begrenzten Defekten die Möglichkeit, einen etwa pfenniggroßen Knorpel-Knochen-Zylinder aus einer weniger belasteten Region an der Hinterseite des Kniegelenks zu entnehmen und an die schadhafte Stelle zu verpflanzen. Indikationen für einen solchen Eingriff können z.B. Sportverletzungen sein, bei denen durch einen unglücklichen Stoß oder einen Sturz ein kleines Knorpelstück aus der Oberfläche herausgeschlagen wurde.

Dies geht ja aber nur bei begrenzten Knorpelverletzungen. Wie geht man vor, wenn bereits größere Teile der Gelenkoberfläche angegriffen sind?

Dr. Rümelin: Bei ausgedehnten Knorpelverletzungen, d. h. wenn schon richtiggehende „Knorpelglatzen“ vorhanden sind, gibt es die Möglichkeit des „Microfracturing“ bzw. der Abrasion. Dabei werden mit sogenannten „Chondropics“ kleine Löcher bis in die blutführenden Schichten der Gelenkoberfläche geschlagen oder auch (bei der Abrasion) eine flächige Anfräsung eines größeren Areals vorgenommen. Aus den daraus resultierenden Blutpfropfen entsteht dann innerhalb von einigen Monaten ein knorpeliges Narbengewebe, welches die Aufgaben des früheren Gelenkknorpels zumindest teilweise übernehmen kann. Die mittelfristige Prognose bei einem solchen Vorgehen ist heute recht gut – allerdings muss man erwähnen, dass das entstehende Narbengewebe von schlechterer Qualität ist als der ursprüngliche Knorpel und nicht die gleichen Eigenschaften in Bezug auf Elastizität und Festigkeit besitzt. Ich  spreche von einer so genannten Bioprothese. Hinzu kommt – besonders bei der Abrasion – die relativ lange Rehabilitationsphase, in welcher der Patient das Gelenk nicht belasten darf.

Seit einigen Jahren versucht man ja nun schon, den Gelenkknorpel durch eine Art „Anzüchtung“ wieder wachsen zu lassen. Lassen sich hier bereits Erfolge vermelden, oder ist es beim bloßen Wunschdenken einiger Forscher geblieben?

Dr. Rümelin: Man muss zwei Dinge unterscheiden: Den Knorpel in seiner ursprünglichen Qualität im Gelenk selbst wieder nachwachsen zu lassen, ist bislang noch niemandem gelungen – und wenn, dann höchstens unter Laborbedingungen, welche sich nicht auf eine tatsächliche, in der Realität vorkommende Situation bei schwerer Arthrose übertragen lassen. Etwas anderes ist die Anzüchtung von Knorpelgewebe außerhalb des menschlichen Körpers mit dem Ziel, diesen Knorpel dann, wenn er groß genug ist, wieder zurückzuverpflanzen. Hier ist die Forschung ein großes Stück weitergekommen, so dass man vielleicht sogar von einem echten Durchbruch sprechen kann.

Die Problematik einer solchen Transplantation lag früher dabei nicht in der Anzüchtung des Knorpels, sondern an der Verankerung desselben im Gelenk des Patienten. Das liegt daran, dass der Gelenkknorpel ja, wenn er einmal ausgebildet ist, nicht mehr durchblutet wird. Seine Ernährung erfolgt dann fast ausschließlich über die Synovialflüssigkeit. Diese aber enthält die notwendigen Wachstums- und Botenstoffe natürlich nicht in derselben Konzentration wie etwa Blut, so dass ein Einheilen des verpflanzten Knorpels nur langsam vonstatten geht. Ohne eine entsprechende Fixierung des neuen Knorpels aber ist ein solches Vorgehen zum Scheitern verurteilt, denn der nicht angewachsene Knorpel würde bereits nach kurzer Zeit durch die normale Gelenkbewegung wieder aus seiner Position herausgerissen.

Wie hat man nun dieses Problem gelöst?

Dr. Rümelin: Bei der autologen Chondrozyten-Implantation werden zunächst arthroskopisch einige Knorpelzellen des Patienten entnommen. Ich lasse dann in bestimmten Labors diese dann in einer speziellen Nährlösung kultivieren. Je nach benötigter Größe des neuen Knorpels kann man dann in einem zweiten Eingriff nach etwa 6-8 Wochen das angezüchtete Knorpelgewebe in den schadhaften Bereich einsetzen. Dazu werden der defekte Knorpel entfernt und die Knorpelzelllösung unter einen Knochenhautlappen, der auf den Defekt aufgenäht wird, eingebracht. Dieser Knochenhautlappen deckt den neuen Knorpel ab, so dass er während der zur Einheilung benötigten Zeit optimal geschützt ist. Nach der Einheilung ist der transplantierte Knorpel dann praktisch so belastbar wie der Originalknorpel.

Aber auch bei diesem Vorgehen ist doch sicherlich eine entsprechende Nachbehandlung erforderlich?

Dr. Rümelin: Ich sage immer: Die Nachbehandlung ist so wichtig wie die Operation. Postoperativ erfolgt für sechs Wochen die Mobilisation mit Unterarmstützkrücken bei max. fünf Kilogramm Teilbelastung. Aber auch ein speziell abgestimmtes Bewegungstraining und ein Muskelaufbau ohne Belastung müssen durchgeführt werden. Wenn nicht zu früh wieder belastet wird, so ist mit dem endgültigen Ergebnis nach etwa einem halben Jahr zu rechnen. Sportarten wie Skifahren, Tennis oder Fußball sollten aber erst nach weiteren drei Monaten wieder ausgeübt werden.

Herr Dr. Rümelin, wir danken Ihnen für das Gespräch!

aus ORTHOpress 03|2002

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.