Wer wegen eines bekannten Leidens einen Arzt konsultiert, der begibt sich nach Konsultation eines Allgemeinmediziners in der Regel in die Hände eines Spezialisten: Ob Orthopäde, Internist oder Kardiologe – sie alle decken einen Teilbereich der medizinischen Versorgung ab, der sich jeweils nach einem mehr oder weniger großen Funktionsbereich des menschlichen Körpers bemisst. Der Patient erwartet zu Recht, eine Betreuung durch einen ausgewiesenen Facharzt zu erfahren, der in der Behandlung seiner Krankheit besonders erfahren und versiert ist. Kommt es über den geplanten Arztbesuch hinaus jedoch einmal zu einer Unfallsituation, in der die Entscheidung über Beginn und Art einer Behandlung naturgemäß besonders schnell getroffen werden muss, so ist ein Arzt gefragt, dessen Spezialisierung nicht in der Konzentration auf ein genau umrissenes Aufgabengebiet besteht, sondern in der Bewältigung unterschiedlichster Verletzungen von vorab nicht vorhersehbarem Ausmaß:
Er ist derjenige, der bei Verbrennungen genau so zuständig ist wie bei Knochenbrüchen und Schnittverletzungen. Die Unfallchirurgie eines Krankenhauses gewährleistet eine optimale und wohnortnahe Versorgung unfallverletzter Patienten. Dabei sichern eine integrierte Behandlungskette über Rettungsstelle, stationäre Versorgung und nachstationäre Behandlung (häufig in Kooperation mit am Ort niedergelassenen Ärzten) und begleitende physiotherapeutische und krankengymnastische Maßnahmen den Erfolg der Behandlung.
Prof. Dr. Eckart Hertel, Eduardus-Krankenhaus Köln-Deutz: „Der Unfallchirurg ist ein gleichzeitig universeller und spezialisierter Facharzt, dessen Ausbildung neben der Orthopädie auch mindestens die Neurochirurgie, oft sogar plastische Chirurgie und Sporttraumatologie umfasst. Die gesetzlichen Anforderungen an die unfallchirurgische Abteilung eines Krankenhauses, ihre personelle Besetzung und apparative Ausstattung sind daher inzwischen immens hoch. Dies führt dazu, dass nicht wenige Krankenhäuser oft keine Unfallchirurgie mehr unterhalten und sich in Städten mit mehreren Krankenhäusern regelrechte Unfallchirurgie-Zentren herausbilden“. So habe etwa das Krankenhaus im benachbarten Stadtteil Köln-Porz seine Abteilung für Unfallchirurgie bereits geschlossen und damit das Patientenaufkommen in Deutz deutlich erhöht, erläutert Prof. Hertel nicht ohne Bedauern diese Entwicklung.
Natürlich sind die Schwerpunkte der Unfallstation eines Krankenhauses regional und auch bedarfsgerecht verschieden; so wird die Unfallchirurgie eines an einem Industriestandort angesiedelten Krankenhauses öfter Arbeitsunfälle zu versorgen haben als ein Kreiskrankenhaus in ländlichen Gebieten.
Grundsätzlich aber umfasst die Unfallchirurgie die folgenden Bereiche:
- Unfallchirurgie, z.B. bei Knochenbrüchen,
- Behandlung von Haut-, Muskel-, Sehnen-, Nerven- und Gelenkverletzungen
- Sportverletzungen im weiteren Sinne
- Arthroskopie (Gelenkspiegelung) verletzter Gelenke mit minimalinvasiver Chirurgie
- Wiederherstellungschirurgie, z.B. Ersatz erkrankter Knie- oder Hüftgelenke durch das Einsetzen künstlicher Gelenke (Endoprothesen)
- Arthroskopie und arthroskopische OPs an den Gelenken
- Plastische Chirurgie an Extremitäten nach Verletzungen
- Handchirurgie, z.B. operative Behandlung von Verletzungen, von tumorösen, degenerativen und rheumatischen Erkrankungen
- endoskopische und mikroskopgestützte Chirurgie bei Verletzungen und Erkrankungen der Nerven
- Verbrennungs- und Vergiftungsnachsorge
Kleiner Leitfaden bei Haus-, Arbeits- und Freizeitunfällen: Abwarten oder schnell zur nächsten Unfallchirurgie?
Verbrennungen:
Hier ist das Ausmaß entscheidend. Eine am Backofen verbrannte Fingerkuppe mit Blasenbildung ist zwar schmerzhaft, bedarf aber in der Regel keiner gesonderten ärztlichen Behandlung. Bei großflächigeren Verbrennungen (z.B. mit heißem Fett) sollte auch wegen der Infektionsgefahr die Unfallchirurgie aufgesucht werden. Wichtig: Verbrennungen immer sofort unter fließend kaltem Wasser kühlen, da auch Randbereiche der Brandwunde und tiefer gelegenes Körpergewebe durch die beginnende Eiweißdenaturierung in Mitleidenschaft gezogen werden, falls die Temperatur länger als einige wenige Sekunden deutlich über der normalen Körpertemperatur liegt.
Verstauchungen, Sehnen- und Bänderzerrungen:
Wenn die Schmerzen nicht unerträglich sind und die Stabilität (Bänderriss?) augenscheinlich nicht beeinträchtigt ist, kann man zuwarten, ob sich eine schnelle Linderung der Beschwerden von selbst ergibt. Halten Schwellung und Schmerz länger als zwei Tage an, sollte die Unfallchirurgie aufgesucht werden.
Größer werdende Schwellung im Gelenk nach Sturz oder Verrenkung mit Druck- und/oder Taubheitsgefühl:
Sofort die Unfallchirurgie aufsuchen. Möglicherweise muss ein Bluterguss im Gelenk punktiert und so eine Druckentlastung herbeigeführt werden, um Folgeschäden zu verhindern.
Knochenbrüche, offensichtliche Sehnen- und Bandverletzungen mit Beeinträchtigung der Stabilität:
Sofort die Unfallchirurgie aufsuchen. Bei Bewegungs-/Transportunfähigkeit und Kreislaufbeeinträchtigungen (Schwindel, Ohnmacht): Notarzt!
Vergiftungen:
Besonders Kleinkinder sind hier gefährdet, die oft aus Neugier unbekannte Pflanzen oder Haushaltsreiniger „probieren“. Bei älteren Menschen kommen eher die unbeabsichtigte Falscheinnahme oder die Überdosierung von Medikamenten vor. Sofern die Vergiftung über ein leichtes Unwohlsein hinausgeht, sollte ein Notarzt konsultiert oder die nächste Unfallchirurgie aufgesucht werden. Wichtig: Bei Vergiftung mit scharfen oder ätzenden Substanzen kein Erbrechen herbeiführen (Gefahr der Speiseröhrenverätzung)!
Schnitt- und Stichverletzungen, offene Quetschungen mit Blutaustritt:
Besteht ausreichender Tetanusschutz? Wenn die Frage nicht sicher beantwortet werden kann, sollte zur Not selbst bei einer beim Kartoffelschälen entstandenen Verletzung die Unfallchirurgie aufgesucht werden. Bei drohender Blutvergiftung (z.B. Fußverletzung durch Glasscherben, rostige Nägel u.Ä.): Sofort die Unfallchirurgie aufsuchen.
Offene Biss- und Kratzverletzungen:
Besonders gefährdet sind Kinder beim übermütigen Spiel mit Haustieren. Auch wenn die Wunde klein ist, sollte in jedem Fall wegen der zahlreichen Infektionsmöglichkeiten (Tollwut, Wundstarrkrampf) sofort die Unfallchirurgie aufgesucht werden.
Augenverletzungen:
Augenverletzungen sind zeitkritisch! Oft droht beim Zuwarten der Verlust des Augenlichts. Egal, wie klein die Verletzung zu sein scheint: Hier muss sofort die Unfallchirurgie, besser noch der nächst erreichbare Augenarzt aufgesucht werden. Hier muss in der Regel selbst der Unfallchirurg passen. Er ist daher gesetzlich verpflichtet, bei Augenverletzungen sofort einen Augenarzt hinzuzuziehen.
Erkennbar schwere Verletzungen mit Blutverlust, abgetrennte Gliedmaßen:
Sofort den Notarzt alarmieren! Abgetrennte Gliedmaßen in Plastikfolie auf Eiswürfeln kühlen (dabei Frostbrand vermeiden, keinesfalls tiefkühlen!!)
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.