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Behandlungsmethoden

Der Hausarzt

Portrait of a mature doctor using a computer at a desk in his office

Über den Allgemeinmediziner heute

Vom „Praktischen Arzt“ zum „Facharzt für Allgemeinmedizin“

Das änderte sich 1993. Schon drei Jahre zuvor hatte der Deutsche Ärztetag beschlossen, dass die Approbation (also die staatliche Zulassung als Arzt) für die Zulassung zum Kassenarzt allein nicht mehr genügen sollte. Mindestens drei Jahre Pflichtweiterbildung in einem Krankenhaus wurden als Voraussetzung für die Kassenzulassung eingeführt. Und mit ihnen der „Arzt für Allgemeinmedizin“ – praktisch eine Art allgemeiner Facharzt, der nur nicht so hieß. Hintergrund: eine methodisch und technisch immer aufwändigere, spezialisierte Medizin, die ein erhöhtes Wissen um die medizinisch-wissenschaftlichen Zusam­men­hänge und um die modernen Behandlungsmethoden erfordert. So sahen es die Ärzte, und der Gesetzgeber folgte ihnen. Kritiker, meist aus den Reihen junger Mediziner, äußerten die Besorgnis, diese Maßnahme diene allein dem Ziel, den Nachwuchs länger „vom Markt“ fernzuhalten. Jedenfalls muss­ten die jungen Ärzte auf dem Weg zum niedergelassenen Kassenarzt nun noch mindestens drei Jahre medizinische Erfahrungen sammeln: in der Allgemeinmedizin, der Inneren Medizin und in der Chirurgie. Kurz vor Toresschluss ließen sich deshalb noch schnell einige Tausend von ihnen als Praktische Ärzte nieder. Die Letzten ihrer Art.

Mit Fortführung der Gesundheitsreform sind der Gesetzgeber und die Ärzteschaft Mitte der Neunzigerjahre dann noch einen konsequenten Schritt weitergegangen: Der Arzt für Allgemeinmedizin wurde 1997 schließlich zum „echten“ Facharzt gemacht, mit nunmehr fünf Jahren klinischer Pflichtweiterbildung als Voraussetzung für die Kassenzulassung: eineinhalb Jahre in der Allgemeinmedizin, ein Jahr im Stationsdienst der Inneren Medizin, ein halbes Jahr in der chirurgischen Abteilung eines Krankenhauses, anderthalb weitere Jahre in anderen fachärztlichen Behandlungsgebieten. Völlig neu: Der angehende „Facharzt für Allgemeinmedizin“ muss seitdem ebenfalls ein halbes Jahr in der Kinderheilkunde absolvieren.

Das „Hausarzt-Modell“ und seine Vor- und Nachteile

Hinter der verbesserten Ausbildung und den gestiegenen Anforderungen stand und steht der politische Wille, die Position des Hausarztes zu stärken. Kompetenter soll er heute sein, und diese Kompetenz soll er seinen Patienten auch vermitteln können. Denn die sollen immer zuerst zu ihm kommen, wenn sie der Schuh drückt. So sieht es jedenfalls das mit der Gesundheitsreform verfolgte „Hausarzt-Prinzip“ vor. Danach soll der Hausarzt – abgesehen von Notfällen – immer die Erstuntersuchung durchführen, um anschließend zu entscheiden, ob er den Patienten zu einem Facharzt überweist. Vorteile für den Patienten: Unnötige Mehrfachuntersuchungen können vermieden werden, insbesondere die gesundheitsbelastenden Röntgenbilder werden nicht von bzw. für jeden Facharzt neu aufgenommen, sondern vom Hausarzt gesammelt und verwaltet. Und: Ein einziger Mediziner hat den Überblick über alle Behandlungen, die gerade „anstehen“. Nachteil: Der Weg führt immer zuerst zum Hausarzt, ein Facharztbesuch bedeutet so stets zwei Arztbesuche. Der große Vorteil für die Gemeinschaft der Versicherten: gleichwohl erhebliche Kosteneinsparungen.

Vor Einführung der Krankenversicherungs-Chipkarte wurde das „Hausarzt-Modell“ tatsächlich bereits praktiziert: Für die Konsultation eines Facharztes war eine Überweisung des Hausarztes nämlich Voraussetzung; wenigstens, wenn der Krankenschein fürs Quartal erst einmal abgegeben war. Die Chip-Karte brachte vor ein paar Jahren ein Phänomen mit sich, das die Krankenkassen gar nicht schätzen: den wiederholten Besuch verschiedener Fachärzte ohne vorherigen Besuch des Hausarztes, von Kritikern „Facharzt-Tourismus“ geschimpft. Daher ist seit Jahren immer wieder eine Regelung in der Diskussion, die dem einen Riegel vorschieben soll. Doch bislang sträuben sich die Mediziner-Verbände wirksam. Wie manche Versicherten-Lobby sehen sie bei einer solchen Regelung die gesetzlich garantierte freie Arztwahl gefährdet (und den Patientenzustrom). Dabei bliebe die freie Arztwahl grundsätzlich gewährleistet, wenn sich der Patient nach dem Besuch des Hausarztes seinen Spezialisten aussuchen könnte. Hier bleibt abzuwarten, wie sich die Dinge zukünftig entwickeln werden. Eins aber ist sicher: Auch in Zukunft muss sich jeder seinen Arzt selbst aussuchen können. Denn helfen kann nur, wer das uneingeschränkte Vertrauen seines Patienten besitzt.

Der Hausarzt heute: mehr als nur ein Arzt für die allgemeine Medizin

Was muss ein Allgemeinmediziner heute leisten? Weitaus mehr und Verschiedeneres als früher. „Die Allgemeinmedizin umfasst die gesundheitlichen Aspekte des gesamten menschlichen Lebensbereiches, die Krankheitserkennung und -behandlung“, heißt es in einer Weiterbildungsordnung für Allgemeinmediziner. Das ist recht abstrakt. Der Arbeitsalltag der Hausärzte ist sehr konkret: Neben der Verteiler-Funktion für ihre Fachkollegen, die hervorragend ausgebildete Allgemeinmediziner heute schon erfolgreich leisten, sind Fachärzte für Allgemeinmedizin heute wie früher oftmals „Familienärzte“, die nicht nur rein medizinische, sondern darüber hinaus psycho-soziale Aufgaben wahrnehmen. So kommt es in vielen Fällen nicht allein auf die Therapie selbst an, sondern entscheidend auch auf deren Begleitumstände. Ist der Patient bereit und in der Lage, seine Medikamente regelmäßig zu nehmen? Unterstützt seine Familie ihn? Hat der genesene Trinker zu Hause genügend Rückhalt oder ist ein Rückfall durch die soziale Situation vorprogrammiert? Allesamt Fragen, die nicht oder nur zum Teil in medizinischen Lehrbüchern stehen. Der Hausarzt benötigt für ihre Beantwortung soziale Kompetenz, menschliches Verständnis – und eine gewisse Autorität. Er muss seine Patienten und deren Lebenssituation kennen. Und er muss zuhören können. Denn hinter den alltäglichen Krankheiten und kleinen Wehwehchen stecken nicht selten Ursachen, die nur erkennen kann, wer die Menschen gut und lange kennt.

In technischer Hinsicht werden heute ebenfalls höhere Anforderungen an die Allgemeinmediziner gestellt. So sind sie heute häufig für die prästationäre Diagnostik verantwortlich, d.h. für die allgemeinen Untersuchungen vor einem Krankenhausaufenthalt: Dazu gehören z.B. EKG, Lungenaufnahmen und verschiedene La­bortests.

Vor diesem Hintergrund erscheint es nur logisch, dass die Allgemeinmedizin in den vergangenen Jahren in der beschriebenen Weise aufgewertet worden ist. Und auch wenn die Bezeichnung „Facharzt für Allgemeinmedizin“ zunächst widersprüchlich klingt, ist doch klar: Ein moderner Allgemeinmediziner muss heute ein wenig Facharzt für alles sein. Ein Generalist, der den Überblick hat.

von Claudia Kampmann

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 4 | 2000

*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.