Endlich rückt der Sommer näher. Die Temperaturen zeigen sich von ihrer angenehmen Seite und es zieht uns hinaus in die Natur. Der Vielfalt an Fortbewegungsmitteln wie Fahrrädern, Motorrädern, Tretrollern und Inline-Skates, steht ein reichhaltiges Sport- und Freizeitangebot gegenüber. Aber wo gehobelt wird, fallen bekanntlich auch Späne. Neben Arm- und Beinbrüchen, die auf der chirurgischen Tagesordnung stehen, kommt es auch immer wieder zu Kopfverletzungen. Betreffen diese die Kopfhaut, den Schädelknochen, die dem Schädel von innen anliegende harte Hirnhaut (Dura mater) oder das Gehirn, spricht man von einem sogenannten Schädel-Hirn-Trauma (SHT). In Deutschland sind davon jährlich bis zu 300.000 Menschen betroffen. Das SHT ist mit 10.000 Fällen/Jahr die häufigste Todesursache in der Altersgruppe zwischen 15 und 30 Jahren. Der Verkehrsunfall gilt mit 40 Prozent als häufigste Ursache, gefolgt von Haushalts-, Sport- und Freizeitunfällen.
Gefahr durch Infektionen
Hierbei können unterschiedliche Anteile von Schädel und Gehirn verletzt werden. Verletzungen der Kopfhaut, wie durch eine Platzwunde, haben bei sachgerechter Versorgung eine gute Heilungstendenz und bereiten im Allgemeinen keine weiteren Probleme. Unser Schädelknochen setzt sich aus 18 Knochen zusammen und wird grob in Schädeldach und Schädelbasis unterteilt. Unkomplizierte geradlinig verlaufende Brüche des Schädeldachs (Schädelkalotte) oder Brüche der Schädelbasis ohne Verschiebungen der Bruchenden bedürfen keiner speziellen Therapie, da sie meist von alleine ausheilen.
Schwieriger gestaltet sich dagegen ein Impressionsbruch, bei dem der Knochen eingedrückt wird und die darunter liegenden Hirnteile oder die harte Hirnhaut beschädigt werden können. Liegt eine offene Impressionsfraktur vor, führt dies zu einer Verbindung zwischen Gehirn und Außenwelt. Durch von außen eindringende Krankheitskeime besteht für den Patienten die Gefahr zusätzlich eine Hirnhautentzündung (Meningitis), einen Hirnabszess oder andere posttraumatische Infektionen zu entwickeln. Diese Verletzungsform bedarf der neurochirurgischen Behandlung mit anschließender Antibiotika-Einnahme. Aber auch geschlossene Impressionsbrüche müssen, wenn die harte Hirnhaut verletzt wurde, operativ versorgt werden.
Bei schwierigen Schädelbasisbrüchen kann es lokalisationsabhängig neben der Ausbildung typischer Blutergüsse, wie dem Brillenhämatom oder dem sogenannten „Battle`s sign“ (Unterblutungen hinter dem Ohr) zum Austritt von Nervenwasser und Blut aus Nase, Mund oder Ohr kommen. Auch hier besteht die Gefahr durch aufsteigende Keime eine Hirnhautentzündung zu entwickeln. Ebenso kommt es in manchen Fällen zur Ausbildung eines Schädelbasissyndroms, bei dem einzelne oder mehrere Hirnnerven betroffen sein können. Liegt die Schädigung beispielsweise im Bereich des Riechnerven, fällt der Geruchssinn aus (Anosmie). Hirnnervenschädigungen können aber auch durch eine raumfordernde Blutung oder eine Hirnschwellung (Hirnödem) verursacht werden. Um solche und andere Verletzungen auszuschließen sind Röntgenübersichtsaufnahmen des Schädels durchzuführen. Liegt ein Schädelbruch vor oder besteht der Verdacht auf ein mittelschweres bis schweres Schädel-Hirn-Trauma, erfolgt zusätzlich ein Notfall-Computertomogramm des Schädels, um zunächst raumfordernde Hämatome auszuschließen.
Sekundärschäden treten oft erst Tage nach dem Unfall auf
Bis zu 100.000 Fälle werden jährlich als schwere Schädel-Hirn-Verletzung eingestuft. Die Einteilung eines SHT kann nach verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen. Hinsichtlich des Unfallzeitpunktes werden frühe (primäre) und späte (sekundäre) Hirnschädigungen unterschieden. Erfolgt die Verletzung zum Zeitpunkt des Unfalls, spricht man von einer frühen (primären) Hirnschädigung. Hierzu zählen neben Hirnprellungen und Einblutungen in das Hirngewebe auch Verletzungen an Gefäßen und Nerven. Sekundärschäden zeichnen sich dadurch aus, dass sie erst Stunden bis Tage nach dem Unfallereignis auftreten und sich häufig in Form einer Blutung (Hämatom) oder Schwellung (Ödem) darstellen.
Im Schädelinneren herrscht regulär ein Gleichgewicht zwischen dem Nervenwasser (Liquor), in dem das Gehirn schwimmt, der Hirnmasse und dem dortigen Blutvolumen. Die Zunahme einer dieser Komponenten und damit die Abnahme einer der anderen Komponenten kann eine Gefährdung für den Patienten bedeuten. Beispielsweise nehmen beim Hirnödem geschädigte Hirnzellen vermehrt Wasser aus ihrer Umgebung auf und schwellen an. Sind davon viele Zellen betroffen, nimmt die Hirnmasse deutlich zu.
Akute Volumenzunahmen von 20 – 50 ml können von einem Erwachsenen noch kompensiert werden. Dabei werden zunächst die Hohlräume innerhalb des Gehirns zusammengedrängt, sogenannte Hirnventrikel oder Hirnkammern, in denen das Nervenwasser gebildet wird. Mit Überschreitung dieser Reserve kommt es jedoch nachfolgend zu einer Erhöhung des inneren Schädeldrucks. Ein Ausweichen der Hirnmasse ist durch die knöcherne Ummantelung des Gehirns nicht möglich. Lebenswichtige Areale, wie das Atem- und Kreislaufzentrum werden abgeklemmt, die Blutzufuhr zum Gehirn ist eingeschränkt und erliegt schließlich völlig. Bei 30 Prozent der Betroffenen endet eine raumfordernde Blutung mit klinischem Hirntod, da die Hirnzellen nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt werden und absterben.
Notoperation bei Hämatomen
Grundsätzlich unterscheidet man je nach Lokalisation des Hämatoms verschiedene Typen. Das Epiduralhämatom befindet sich zwischen dem knöchernen Schädel und der harten Hirnhaut (Dura mater). Es wird meist verursacht durch die Verletzung einer vor allem an der Innenseite des Schläfenknochens verlaufenden Arterie und entwickelt sich sehr rasch nach dem Trauma. Nach kurzer Bewusstlosigkeit erlangt der Patient sein Bewusstsein für Minuten bis Stunden wieder, dies wird als kurzes freies Intervall bezeichnet. Anschließend trübt der Betroffene, durch die zunehmende Raumforderung erneut ein. Eine Notoperation ist erforderlich, um einerseits das gerissene Gefäß zu verschließen und andererseits das Hämatom zu entfernen. Eine Subduralblutung betrifft den Raum zwischen der Hirnoberfläche und der harten Hirnhaut und entsteht durch Einrisse sogenannter Brückenvenen. In der Symptomatik ähnelt das Subduralhämatom dem Epiduralhämatom. Neben der Bewusstlosigkeit ist auf der Verletzungsseite die Pupille erweitert und auf der Gegenseite kommt es zu leichten Lähmungserscheinungen. Auch hier ist eine Notoperation mit Eröffnung des Schädels notwendig, um die Blutung auszuräumen. Die Prognose ist verglichen mit dem epiduralen Hämatom ungünstig, da die Todesrate mit 70 Prozent sehr hoch liegt.
Blutungen im Inneren des Gehirns werden als intrazerebrale Blutungen bezeichnet und können sehr unterschiedlich verlaufen. Sind die Blutungsherde klein und treten keine von den oben genannten Symptomen auf, bedarf es keiner Operation. Intrazerebrale Blutungen können jedoch noch nach Tagen an Größe zunehmen und damit operationsbedürftig werden.
Vor allem Verkehrsunfälle führen zu Schädelverletzungen
Zur Beurteilung eines SHT wird heute die Glasgow-Koma-Skala herangezogen, bei der die drei Grundfunktionen Augenöffnen, Körperbewegung und sprachliche Reaktion untersucht sowie bewertet werden. Das Ergebnis erlaubt eine Aussage über die Schwere der Schädel-Hirn-Verletzung und dessen Prognose. Bei einer nur vorübergehenden Bewusstlosigkeit oder Benommenheit von bis zu einer Stunde spricht man von einer leichten Schädel-Hirn-Verletzung Grad I, besser bekannt unter dem früher verwendeten Begriff der Gehirnerschütterung (Commotio cerebri). Dieser Zustand wird begleitet von einer anterograden Amnesie, einer Erinnerungslücke für die Zeit während und nach dem Unfall. Weiter sind Symptome wie Übelkeit und Erbrechen sowie Kopfschmerzen und Schwindelgefühle typisch. Bewusstseinsstörungen, die über eine Stunde hinausgehen und mit neurologischen Ausfällen wie Krampfanfällen, Atem- und Kreislaufstörungen und vielem mehr vergesellschaftet sind, fallen nach alter Einteilung unter den Begriff der Hirnprellung (Contusio cerebri). Heute ordnet man sie je nach Schweregrad dem SHT II – III zu.
Das Schädelhirntrauma aller Schweregrade zählt bei Kindern zu den häufigsten Unfällen. Neben Stürzen aus dem Hochbett oder von der Wickelkommode sind Kinder und Jugendliche vor allem durch Verkehrsunfälle oder Unfälle im Sport- und Freizeitbereich häufig von Schädelverletzungen betroffen. Eine Einstufung erfolgt durch eine speziell für Kinder entwickelte Skala. Damit eine solche Skala weder für Kinder noch für Erwachsene notwendig wird, gibt es neben einem reichhaltigen Freizeit- und Sportangebot auch eine Menge Möglichkeiten sich bei diesen und anderen Aktivitäten vor solchen Verletzungen zu schützen. Denn niemand sollte vergessen, dass jährlich 4.500 Schädel-Hirn-Trauma-Verletzte für den Rest ihres Lebens pflegebedürftig bleiben.
aus ORTHOpress 03|2002
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