Die endoskopische Leistenhernienchirurgie
Von Leistenbeschwerden sind viele betroffen. Häufig werden die Beschwerden chronisch, weil sich die Betroffenen oft nicht unmittelbar in Behandlung begeben bzw. einen Arzt aufsuchen, um die Schmerzen diagnostisch abklären zu lassen. Der Leidensdruck ist – anfangs – offenbar zu gering. Nicht aber nur die Unkenntnis der damit möglicherweise verbundenen Gefahren aufseiten der Patienten, auch der bisherige medizinische Kenntnisstand war einer frühzeitig eingeleiteten Therapie hinderlich. Gleichwohl handelt es sich – was den wenigsten allerdings bekannt sein dürfte – beim Eingriff an der Leiste um den zweithäufigsten chirurgischen Eingriff überhaupt. Denn eine sog. Leistenhernie (von lat. „hernia“ = Bruch) verursacht zwar möglicherweise über einen langen Zeitraum nur geringe Beschwerden, eine Spontanheilung aber, d.h. eine Heilung von selbst, findet hier nicht statt, so dass ein operativer Eingriff auf Grund der zunehmenden Beschwerden bzw. der drohenden Gefahren letztlich unvermeidlich ist. „Der Bruch sollte daher operiert werden, solange die Beschwerden gering sind“, ist der Chirurg Thomas Wegener aus Offenbach überzeugt. Bruchband oder Stützkorsett als konservative Maßnahmen trügen nicht nur in keinem Fall zur Heilung bei, sie seien auf Dauer sogar eher schädlich. „Die Übernahme endoskopischer Methoden in die Chirurgie hat auch die Vorstellungen und Therapiemöglichkeiten der Leistenhernienerkrankungen erheblich beeinflusst“, fährt der Offenbacher Chirurg fort. „Wegen der Vielzahl der anatomischen Strukturen, die Beschwerden in der Leistengegend verursachen können, kommen eine ganze Reihe von Krankheitsbildern in Betracht.“ Deren Abklärung war bisher radiologischen Verfahren wie Röntgen, Computertomogramm und Kernspintomographie sowie der Ultraschalluntersuchung vorbehalten. Das hat sich nun grundlegend geändert. – Thomas Wegener: „Mit Einführung der Laparoskopie in der Chirurgie wurde es möglich durch direkte Betrachtung der Bauchwand von innen Leistenhernien nicht nur festzustellen, sondern sie auch endoskopisch bzw. minimalinvasiv zu behandeln. So ist es möglich geworden eine Reihe von bisher nicht geklärten Beschwerden bei der so genannten schmerzhaften Leiste auf eine Ursache, nämlich einen Leistenbruch, zurückzuführen.“ Derart können nun also chronische Leistenbeschwerden im Rahmen einer Bauchspiegelung bzw. Laparoskopie gezielt abgeklärt und gegebenenfalls auf schonende Weise behandelt werden.
Was ist ein Leistenbruch bzw. eine Leistenhernienerkrankung?
Eine Hernie bezeichnet medizinisch im engeren Sinne einen Eingeweidebruch mit einer sackartigen Ausstülpung des Bauchfells (sog. Bruchsack) durch anatomisch vorgeprägte Bauchwandlücken oder -schwachstellen (sog. Bruchpforte) und das Hervortreten von Eingeweiden oder Organteilen (sog. Bruchinhalt) aus der Bauchhöhle. Die sog. Hernia inguinalis, der Leistenbruch, ist (mit 80%) die am häufigsten auftretende Form der Hernie. Vom Leistenbruch betroffen sind vor allem Männer. Die Bruchpforte liegt hier oberhalb des Leistenbandes, bei Männer kann sie bis tief in den Hodensack reichen (sog. Hodenbruch). Unterschieden werden indirekte Brüche, solche, die bei Männern dem Samenstrang und bei Frauen einem Halteband der Gebärmutter folgen, und direkte Brüche, welche senkrecht durch die Bauchwand treten. Eine als Anlage bestehende (konstitutionelle) oder mit der Zeit auftretende (degenerative) Bindegewebeschwäche gilt als Hauptursache für einen Leistenbruch. Im Zweifel wird dieser dann durch eine Schwangerschaft, unter Umständen sogar durch bloßes Husten oder das Heben schwerer Lasten ausgelöst. – Bei Männern kann der Druck des Leistenbruchs auf den Samenstrang zur dauerhaften Schädigung des Hodens (Atrophie) führen. Eine weitere, oft unterschätzte Gefahr des Leistenbruchs: Wird der Bruchinhalt – in diesem Falle meist der Darm – eingeklemmt, so kommt es innerhalb weniger Stunden zu Durchblutungsstörungen der Darmwand. Diese stirbt dann ab, es folgen Darmverschluss und Bauchfellentzündung.
Wie wird der Leistenbruch operiert?
Prinzipiell konkurrieren zwei Verfahrensweisen miteinander: Bei der herkömmlichen, der sog. „offenen“ Operationsmethode wird der Bruch durch einen größeren Schnitt in der Leistenbeuge freigelegt, der Bruchsack entfernt oder in die Bauchhöhle zurückverlagert und die Bruchlücke dann verschlossen. Dieses kann geschehen durch überlappende Naht der Ränder oder durch Einpflanzung eines Kunststoffnetzes. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass die Kunststoffnetze aus dem gleichen Material hergestellt sind wie die Fäden, mit denen im anderen Fall die Nähte durchgeführt werden. Bei dem Verschluss der Bruchränder durch eine Naht kann es leicht zu einer unbeabsichtigten hohen Spannung des Verschlusses kommen, der ein Wiederauftreten des Bruches begünstigt. Der entscheidende Vorteil bei Verwendung von Netzen ist der spannungslose Verschluss der Bruchpforte. Dieser Verschluss der Bruchpforte durch Kunststoffnetze lässt sich nicht nur offen durch Schnitt, sondern auch endoskopisch durchführen. Letzteres erfordert allerdings eine Vollnarkose, während die offenen Methoden auch in lokaler Betäubung angewendet werden können. Gegenüber der mit der offenen Technik verbundenen relativ starken Traumatisierung handelt es sich beim modernen endoskopischen Verfahren um eine minimalinvasive Technik mit größtmöglicher Schonung für den Patienten. Hierbei wird, nach Einleiten von CO2 in den Bauchraum, durch einen kleinen Schnitt am Nabel ein optisches Instrument, ein Laparoskop, in die Bauchhöhle eingeführt. Dies gewährt dem Operateur, unterstützt durch die Vergrößerung auf dem Videobildschirm, eine optimale Sicht. Die nur 3–4 mm dünnen Operationsinstrumente können durch zwei ebenso kleine zusätzliche Schnitte in den Bauchraum eingeführt werden. Mit ihrer Hilfe und unter der guten Sicht durch das Laparoskop wird nun der Bruchsack in die Bauchhöhle zurückgezogen, das sehr feine, elastische Kunststoffnetz zusammengerollt durch eine dünne Hülse in den Bauchraum gebracht, wo es dann entfaltet wird und so die Bruchlücke sicher abdeckt. Das Netz wird durch einige nur 1–2 mm große Titanklips an der Bauchwand befestigt. Auf diese Art und Weise wird ein dauerhafter, sicherer Verschluss der Bruchpforte gewährleistet; zu einem erneuten Weichteilbruch kann es so nicht mehr kommen.
„Die endoskopische Methode besitzt eine Reihe von Vorteilen, die sie auch für die ambulante Durchführung geeignet macht. Das bedeutet, dass der Patient dabei keinen Krankenhausaufenthalt in Kauf nehmen muss“, erläutert der Chirurg Wegener. „Durch die Einführung moderner Narkosemittel stellt die ambulante Vollnarkose bei gesunden Patienten kein Problem dar. Auch bei Patienten mit erhöhten Risiken lässt sich häufig eine Operation ambulant durchführen.“ Der Schmerzmittelbedarf in den ersten Tagen nach minimalinvasiver Operation sei deutlich geringer als bei der klassischen offenen OP, vor allem bei adipösen Patienten sei auf Grund der nur kleinen Hautschnitte die Schmerzbelästigung durch die Operation erheblich reduziert. Auch kosmetisch spielt dies eine Rolle, denn die späteren Narben fallen wesentlich kleiner aus. Insgesamt werden durch dieses Verfahren berufliche und sonstige Ausfallzeiten gering gehalten, die Rehabilitation verläuft erheblich schneller und auch Komplikationen, wie z.B. Wundinfektion oder Wundheilungsstörungen, treten deutlich seltener auf.
Vor allem aber, so betont Thomas Wegener, „wird durch den spannungslosen Verschluss mittels der endoskopischen Technik ein dauerhaftes und zuverlässiges Ergebnis erzielt und die Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens von Brüchen erheblich reduziert. Bei diesem Verfahren kann bei fast der Hälfte der Patienten ein vorliegender Bruch der gegenseitigen Leiste ohne viel Mehraufwand diagnostiziert und in gleicher Sitzung ebenfalls verschlossen werden.“ Sind Patienten mit offenen Verfahren erfolglos voroperiert worden, ist ein Rezidiveingriff mittels endoskopischer Methode zudem erheblich leichter durchzuführen, da die Vernarbungen der vorangegangenen Operation dabei umgangen werden können.
von Manon Leistner
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 4 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.