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Behandlungsmethoden

Bausteine einer modernen Wirbelsäulentherapie

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Viele Patienten denken bei Rückenschmerzen und Bandscheibenvorfall sofort an eine Operation. Dabei können viele Beschwerden durch neue, minimalinvasive Techniken gelindert oder sogar dauerhaft beseitigt werden. Der Berliner Neurochirurg Dr. Matthias Lutze hat für Orthopress einen Katalog zusammengetragen, in dem die heutigen Möglichkeiten der Medizin bei den verschiedenen Formen des Wirbelsäulenschmerzes aufgezählt werden.

Ursache für Rückenbeschwerden sind vielfach nicht nur so genannte funktionelle Störungen der Bewegungssegmente, sondern oft auch echte Verschleißerscheinungen der Wirbelgelenke, des Bandapparates, der Muskulatur oder der Bandscheibe selbst. In hartnäckigen Fällen drückt diese sogar auf das umgebende Nervengewebe – dann werden die Ischias- oder Armschmerzen unerträglich und es können sich neurologische Ausfälle einstellen. Durch psychische Belastungen, falsche Schonung oder unzureichende Behandlungsmethoden kann das Wirbelsäulenleiden verschleppt werden: Der Schmerz wird chronisch.

Was sind die häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen?

Das myofasziale Schmerzsyndrom mit hartnäckigen Muskelverspannungen im Bereich der Wirbelsäule und des Körperstammes. Blockierungen der Wirbelgelenke und des umgebenden Bandapparates von der Kopfregion bis zum Kreuzdarmbeingelenk.Wirbelgelenksfacettensyndrom mit Schmerzen im Bereich des Rückens und der Leisten- und Gesäßregion; hervorgerufen durch Verschleißerscheinungen der Wirbelgelenke sowie Einengungen der Nervenaustrittskanäle. Das Wirbelgleiten mit entsprechender Reizung der Nervenwurzeln und bewegungsabhängigen Rückenschmerzen. Nervenwurzeldrucksyndrome mit Schulter-Arm-Schmerzen sowie Ischiasbeschwerden, Kribbeln und Taubheit, hervorgerufen durch Bandscheibenvorwölbungen und oder –vorfälle, die das Rückenmark bzw. die Nervenwurzeln einengen. Verschleißerscheinungen des Bandscheibenkernes und des Faserringes mit Stimulation der Schmerzkörperchen im hinteren Teil der Bandscheibe und des umgebenden Bandapparates. Das Postnukleotomiesyndrom, d.h. ziehende Rückenschmerzen nach Wirbelsäulenoperationen; hervorgerufen durch Wirbelgleiten, entzündliche Vorgänge oder narbige Verwachsungen.

Wie sieht die Lösung für diese Problempatienten aus?

Durch die vielfältigen Ursachen des Rückenschmerzes ergeben sich auch verschiedenartige Angriffspunkte für eine wirksame Wirbelsäulentherapie. Besonders nachhaltige Erfolge lassen sich dann erzielen, wenn sowohl die Diagnostik als auch die Therapie interdisziplinär koordiniert sind. Oberstes Ziel einer zielgerichteten Wirbelsäulentherapie ist es dabei, unnötige operative Eingriffe zu vermeiden.

Welche modernen Therapieverfahren stehen dem Neurochirurgen zur Verfügung?

Die so genannten minimalinvasiven und bildgestützten, d.h. unter Röntgen-, Computertomografie- (CT) oder Kernspintomografiekontrolle (MRT) durchgeführten Wirbelsäuleninterventionen. Dabei können die Angriffspunkte von ganz außen (Muskulatur, Haut) bis ganz innen (Bandscheibe) liegen und werden individuell für jeden Patienten festgelegt.

Was geschieht im Einzelnen bei den verschiedenen minimalinvasiven Therapieverfahren und worin liegen die Vorteile gegenüber herkömmlichen Methoden?

Spezielle schmerztherapeutische Injektionen

Unter örtlicher Betäubung und CT-Kontrolle kann z.B. in die Rückenstrecker-, Gesäß- oder Nackenmuskulatur ein verspannungslösendes Mittel (Botulinumtoxin) eingespritzt werden. Diese heilsame Lösung unterbricht die Erregung des Muskels durch die Nervenzellen und kann damit selbst hartnäckige Spannungsschmerzen in der Muskulatur bekämpfen, bei denen alle anderen Therapien versagt haben.

Ausschaltung von Schmerzfasern an den Wirbelgelenken (Denervation)

Dabei werden millimeterdünne Operationsnadeln bis zu den entsprechenden Nervenenden an der Wirbelsäule geführt. Diese werden sodann durch eine spezielle Lösung oder einen kurzfristigen Hitzereiz verödet. Durch die örtliche Betäubung spürt der Patient von diesem Vorgang nichts.

Sklero- bzw. Prolotherapie des Wirbelsäulenbandapparates

Nach Überprüfung der korrekten Lage der Injektionsnadel werden entzündungsfördernde Substanzen in den Bandapparat eingespritzt, die zu einer künstlichen Verdickung und Versteifung der Bandstrukturen führen. Durch mehrmalige Wiederholung der Injektionen gelingt es so, bestehende Überbeweglichkeiten und die dadurch hervorgerufenen Schmerzen zu lindern.

Nervenwurzelbehandlung (Periradikuläre Therapie)

Unter computer- oder kernspintomografischer Kontrolle werden bei lokaler Betäubung dünne Nadeln bis an das Austrittsloch der gereizten Nervenwurzel geführt. Ein Kontrastmittel macht dabei sichtbar, wo sich Nerv und Nadel befinden. Ist die Nadel am Ziel, werden schmerzlindernde und abschwellende Medikamente präzise an den Ort des Geschehens gespült. Bei narbigen Verwachsungen kann auch ein feines Endoskop eingesetzt werden, um unter Sicht die Befreiung des Nervengewebes durchzuführen.

Schmerztherapie durch die Wirbelsäulenkathetertechnik

Bei diesem Eingriff, der unter örtlicher Betäubung, aber im Rahmen eines zwei- bis dreitägigen stationären Aufenthaltes erfolgt, wird ein sehr dünner Schlauch durch natürliche Öffnungen der Wirbelsäule unter fortlaufender Röntgenkontrolle eingeführt. Durch den Katheter wird dann über mehrere Tage hinweg eine Lösung aus Betäubungsmitteln, entzündungshemmenden Substanzen, Enzymen und Kochsalz eingespült, um die Nerven zu beruhigen.

Entfernung von Bandscheibenvorfällen durch die Haut (Perkutane Nukleotomie)

Die Entfernung eines Prolaps (Bandscheibenvorfalls) durch die Haut schont das Gewebe und verringert so die Gefahr der gefürchteten Narbenbildung nach der Operation. Bei der CT-gestützten endoskopischen Bandscheibenvorfall-Entfernung werden unter örtlicher Betäubung dünne Spezialinstrumente mit hochpräzisen Endoskopen und Kameras bis zum Bandscheibenraum vorgeschoben. Mit feinen Spezialzangen oder einem Laser wird das ausgetretene Bandscheibengewebe entfernt. 

Intradiskale Therapie („In der Bandscheibe“)

Die intradiskale Therapie soll das gerissene Bandscheibengewebe verdicken, Schmerzkörperchen ausschalten und die Größe vorgefallener Bandscheibenanteile reduzieren. Dafür gibt es verschiedene Behandlungsansätze:

• Entzündungshemmend: Spülung der Bandscheibe mit abschwellenden Substanzen wie z.B. Cortisonpräparaten und bestimmten Enzymen

• Senkung des Bandscheibeninnendruckes: Spülung mit gewebsreduzierenden Substanzen wie z.B. Chymopapain (Chemonukleolyse)

• Verfestigung des Bandscheibenringes und Hitzeschrumpfung: Die intradiskale Elektrothermale Therapie und die Laserverdampfung sind minimalinvasive Behandlungsverfahren, bei denen eine kontrollierte Wärmemenge im hinteren Abschnitt der erkrankten Bandscheibe abgegeben wird. Dabei werden Spezialnadeln unter Röntgenkontrolle in der Bandscheibe platziert, über die später ein mikrofeiner Katheter zur Hitzeschrumpfung eingeführt wird. 

Welche Nachbehandlung ist bei diesen etwas invasiveren Verfahren vorgesehen?

In den ersten Wochen ist es wie nach einer offenen Operation notwendig, dass ein schonendes physiotherapeutisches Behandlungsschema eingehalten wird. Außerdem ist die Verordnung eines Übergangsmieders zur Förderung des Heilungsprozesses der Bandscheibe notwendig.

Fazit: Es gibt heute bei Rücken- und Bandscheibenschmerzen eine Vielzahl von möglichen Eingriffen, die den Patienten zunehmend weniger belasten. Zwar helfen minimalinvasive Therapien nicht immer und jedem; wirklich operiert werden muss jedoch immer seltener. Wichtig ist und bleibt nicht nur eine individuelle, auf die Schwere der Erkrankung abgestimmte Diagnostik und Therapie, sondern auch eine adäquate Nachbehandlung, die auf die Stärkung der oft vernachlässigten Rückenmuskulatur und des Bandapparates abzielt. Nur so kann auf lange Sicht ein optimaler Behandlungsverlauf erzielt und ein Rückfall effektiv vermieden werden. 

von Dr. Matthias Lutze

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 3 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.