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Ellenbogen

Das „Sulcus nervi ­ulnaris-Syndrom“ in Diagnose und Behandlung

Frau hält ihre kribbelnde Hand

Wenn man seine Ellbogen gebraucht, hat das natürlich nicht immer gleich mit rücksichtslosem Verhalten anderen gegenüber zu tun. Unter Umständen aber kann auch der nicht sprichwörtliche Einsatz der Ellbogen „Schaden“ anrichten. Woran das liegt und was man dagegen unternehmen kann, darüber gibt der Kölner Chirurg Dr. Janusz Pieczykolan im Folgenden Auskunft. Dr. Pieczykolan hat sich in seiner Praxis für ambulante Operationen unter anderem auf die Behandlung der vielfältigen Erkrankungsformen an den Extremitäten spezialisiert.  Heute geht es, wie gesagt, um den Ellbogen, genauer um eine Reizung des Ellennervs, das sog. Sulcus nervi ulnaris-Syndrom.

Herr Dr. Pieczykolan, was ist unter dem Sulcus nervi ulnaris-Syndrom zu verstehen?

Für den Laien verständlicherweise ein Wortungetüm. – Zu seiner Erklärung ist es zunächst wichtig, zu wissen, dass es sich dabei um eine, und zwar um die nach dem bekannten Karpaltunnelsyndrom, der Einklemmung des Mittelnervs am Handgelenk, zweithäufigste Form verschiedener Nervenkompressionssyndrome insgesamt handelt, die es klar voneinander zu unterscheiden gilt. Um genau zu bezeichnen, worum es dabei geht, kann hier – auf Grund der komplexen anatomischen Gegebenheiten – nicht ganz auf Fachtermini verzichtet werden.

Es gibt sechs Arten von Syndromen, das resultiert aus der Tatsache, dass jeder der am Unterarm befindlichen drei Hauptnervenstämme zwei anatomische Engpässe durchzieht. In unserem Fall durchläuft der entsprechende Nerv eine als Sulcus nervi ulnaris bezeichnete Knochenrinne, die sich an der Rückseite des sog. medialen Epicondylus befindet. Im Volksmund spricht man hierbei vom „Musi­kantenknochen“. Diese Knochenrinne in Höhe des Ellengelenkes ist leicht zu ertasten, der Nerv also verläuft in ihr relativ ungeschützt, fast direkt unter der Haut. Er umfasst den inneren Ellenbogenknochen und führt dabei über ein sog. Hypomochlion, was sich mit Drehpunkt des Gelenks übersetzen lässt. Auf diese Weise wird der Nerv bei Streckung des Armes etwas entlastet, bei seiner Beugung jedoch gespannt.

Wie nun kann es zu einer Schädigung des Nervs kommen?

Dafür gibt es verschiedene Ursachen, anlagebedingte wie traumatische. Wenn die Rinne des Ellennervs etwa von Geburt an zu flach ist, der Knochen durch einen Unfall verletzt worden ist oder das Gelenk entzündet ist, dann kann es – vor allem in Folge von Überlastung – zu einer chronischen Reizung des Nervs kommen, und zwar entweder durch seine Überbeweglichkeit in der Knochenrinne oder durch einen reinen Druckschaden. Einem solchen setzen sich übrigens zahlreiche Autofahrer im Sommer aus, wenn sie ihren Ellenbogen zum Fenster herauslehnen – für den Nerv eine alles andere als „saloppe“ Haltung …

Wie äußert sich die Reizung des Nervs?

Erstes Anzeichen: Es kribbelt vor allem im kleinen Finger. Das liegt daran, dass der Ellennerv in der Beugehand für die Empfindungen des kleinen Fingers sowie, vom Daumen an gezählt, für diejenigen der zweiten Hälfte des vierten Fingers zuständig ist. Neben dieser sensorischen besteht eine wesentliche weitere Funktion des Ellennervs darin, eine Vielzahl kleiner Handmuskeln mit Kraft zu versorgen. Bei seiner Schädigung ist also die Feinmotorik der Hand betroffen und kann es zur Krallenhandbildung kommen: Die Finger können nicht richtig in den Grundgelenken gestreckt werden. In manchen Fällen kommt es auch zu einer merklichen Kraftabschwächung in der Hand insgesamt. Zudem ist bei einer Lähmung dieses Nervs die Adduktion, das Anführen des Daumens beeinträchtigt. Anhaltende Missempfindungen im Bereich des Unterarms sowie Taubheitsgefühle sind charakteristisch für eine fortgeschrittene Reizung.

Auf welche Weise lässt sich das Sulcus ulnaris-Syndrom feststellen?

Neben Anamnese und den genannten klinischen Beobachtungen erfolgt eine gezielte Diagnostik insbesondere über eine neurologische Untersuchung, bei welcher sich die Nervenleitgeschwindigkeit bestimmen lässt, die als Frühindikator einer derartigen Erkrankung anzusehen ist. In einem weiteren Untersuchungsverfahren wird die Reflexantwort der Muskeln auf Nervenreizungen gemessen. Röntgenologisch ist in einer bestimmten Einstellung die Knochenrinne darstellbar und u.a. überprüfbar, ob weitere Pathologien vorliegen. In Einzelfällen kann auch eine kernspintomografische Untersuchung Aufschluss über den Zustand des Nervs geben. – Insbesondere in diesem Bereich ist darüber hinaus ein differenzialdiagnostisches Vorgehen gefordert. Bei den verschiedenen Kompressionssyndromen selbst nämlich handelt es sich wiederum nur um einen Teilbereich der an Ellenbogen, Unterarm und Hand auftretenden chronischen Schmerzsymptome, die es von anderen Schmerzzuständen an der oberen Extremität abzugrenzen gilt. Um die Problematik nur anzudeuten: Bei gleichem Schmerzcharakter und einer ähnlichen Form der Schmerzausstrahlung kann es sich allein im Bereich des Ellenbogens nicht nur um verschiedene NKS handeln, sondern diese können jeweils mit unterschiedlichen Arten der Epicondylitis, also entzündlichen oder degenerativen Veränderungen am Knochenfortsatz (Epi-) des Knochengelenkkopfes (Condylus), assoziiert sein: einmal der recht bekannte Tennisellenbogen (Epicondylitis humeri radialis), in unserem Falle der seltenere Werfer- oder Golfspielerellenbogen (Epicondylitis humeri ulnaris). Andererseit haben die gleichen Symptome ggf. ihre lokalisierten Ursachen in gänzlich anderen Regionen, vor allem im Schulter-, Hals- oder Wirbelsäulenbereich, und können – umgekehrt – die Beschwerden hier oft auf NKS als ursächlich zu Grunde liegende Erkrankungen zurückgeführt werden.

Wie wird dann beim Ellennerv-Syndrom mit einem eindeutigen diagnostischen Befund weiter verfahren?

Wenn die Beschwerden erst seit kurzem vorliegen, ist die Behandlung in aller Regel konservativ. Sie umfasst Maßnahmen wie: Schonung zur Vermeidung eines chronischen Drucks, Polstern des Armes, ggf. Ruhigstellung, Vitamingabe zur Förderung der Nervenregeneration, entzündungshemmende Medikamente, vereinzelt auch Kortisoninjektionen, usf. Wenn die Beschwerden nicht nur akut auftreten, wie z.B. im Falle der sog. „Parkbank­lähmung”, sondern der Nerv auf chronische Weise und stark geschädigt ist oder die Beschwerden trotz konservativer Therapie anhalten, bleibt häufig nur die Operation.

Was passiert bei einer solchen Operation?

Die Operationstechnik beruht hier auf einem wirklich genial-einfach zu nennenden Trick: Man versucht im Grunde den „Fehler der Natur“ auszugleichen bzw. rückgängig zu machen, indem man den Nerv, nachdem man ihn – in der Regel unter Plexusanästhesie – durch einen Schnitt auf der Innenseite des Ellengelenkes dargestellt hat, auf die Beugeseite verlagert, sodass er beim Beugen des Arms nun entspannt wird. Das geschieht häufig subkutan, d.h. der Nerv wird direkt unter die Haut verlegt. Ich bevorzuge ein Verfahren mit submuskulärer Verlagerung, um dem Nerv mehr Schutz zu bieten: Die Muskeln werden an entsprechender Stelle eingekerbt und es wird dabei eine Art Tunnel gebildet, in welchem der Nerv dann sicher eingelagert werden kann.

Was bewirkt die Operation?

Durch die Verlagerung werden die Ursachen der Reizung des Nervs beseitigt. Das führt häufig zu einem sehr raschen Rückgang der Beschwerden. Die bei sehr starker Schädigung des Nervs auftretenden Taubheitsgefühle und die Krallenhand allerdings bilden sich nicht gleichermaßen schnell zurück, durch die Operation aber sind die Voraussetzungen dafür geschaffen. Der Nerv benötigt zu seiner vollständigen Erholung etwa 3 bis 6 Monate, in einzelnen Fällen auch bis zu einem Jahr. Bei einer über Jahre anhaltenden Symptomatik kann u.U. ein minimales taubes Gefühl zurückbleiben. Eine strenge Indikationsstellung vorausgesetzt, können die Operationserfolge insgesamt auf ca. 90% beziffert werden, d.h. es kommt fast immer zur Regeneration des Nervs.

Wie sieht die Nachbehandlung aus?

Auf Grund seiner Verlagerung muss sich der Nerv sozusagen an einer neuen Stelle „einnisten“ und wird deshalb für etwa drei Wochen in einer Gipsschiene ruhig gestellt, mit intermittierenden leichten Bewegungsübungen. Bei einer vorhergehenden Lähmung der Hand bedarf es zudem einer relativ intensiven krankengymnastischen Nachbetreuung. Hinzu kommen ggf. verschiedene physikalische Methoden zur Unterstützung der Nervenregeneration.

Herr Dr. Pieczykolan, vielen Dank für Ihre Ausführungen!

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 1 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.