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Behandlungsmethoden

Akupunktur im 21. Jahrhundert – Chancen und Perspektiven einer alten Heilmethode im modernen deutschen Gesundheitswesen

A man is receiving acupuncture therapy. His back is full of needles and in the background an acupuncturist is visible continuing the insertation.

Lange Zeit wurde die Akupunktur, die in China bekanntlich seit 4000 Jahren praktiziert wird, im Westen als exotische Außenseitermethode und Modemedizin angesehen, deren Wirkung man allenthalben auf eine gewisse Suggestionskraft oder einen » Zuwendungseffekt« zurückführte. Da eine wissenschaftliche Erklärung dieser Therapieform nicht vorlag, blieb ihr die schulmedizinische Anerkennung versagt.

Seit rund 20 Jahren hat sich diese Situation grundlegend geändert. Vor allem in den Vereinigten Staaten wurde eine Entwicklung vorangetrieben, die zu bedeutenden Fortschritten für die Akupunktur, sowohl was ihre wissenschaftliche Reputation als auch ihre allgemeine Akzeptanz betrifft, führte. Zahlreiche Forscher in den USA und in Europa trugen in den letzten Jahren dazu bei, mit einer Fülle von Studien die Akupunktur auf eine auch westlichen Maßstäben entsprechende wissenschaftliche Grundlage zu stellen.

Dem Rätsel der feinen Stiche auf der Spur

Die Wirkungsweise der Akupunktur konnte inzwischen zum Teil entschlüsselt werden. Elektrische Messungen ergaben, dass die Akupunkturpunkte, die auf den so genannten Meridianen (Leitbahnen) angesiedelt sind, gegenüber ihrer Umgebung einen um 90-95% erniedrigten Hautwiderstand aufzeigen. Nachgewiesen wurde auch, dass beim Herausziehen der Akupunkturnadeln aus den Akupunkturpunkten mehr Kraft aufgewendet werden muss als beim Ziehen der Nadeln aus nicht-spezifischen Punkten, also Plazebopunkten.

Die analgetische (schmerzlindernde) Wirkung der Akupunktur wird mit einer besonderen neuronalen Reaktionsweise erklärt: Alle Schmerzen, die wir empfinden, haben ihren Ausgangspunkt in den überall im Gewebe befindlichen Schmerzfühlern (Nozirezeptoren). Diese wandeln den Schmerzreiz in einen elektrischen Impuls um, der über Nervenfasern zum hinteren Teil des Rückenmarks geleitet wird und dort spezielle Zellen, die Hinterhornneuronen, erregt. Sie wiederum senden einen elektrischen Impuls aus, der über lange Nervenfasern des Rückenmarkes bis zum Zwischenhirn gelangt und nach erneuter Umschaltung schließlich vom Zwischenhirn das Großhirn erreicht. Die Akupunkturstiche führen dazu, dass die elektrische Erregbarkeit der Hinterhornneuronen gehemmt wird und die Schmerzimpulse nicht mehr in voller Ausprägung zum Großhirn gelangen. Die Hemmung der Hinterhornneuronen nach Akupunkturreizung wird auf die Neurotransmitter (chemische Überträgersubstanzen zwischen den einzelnen Nervenzellen) Enkephalin und Dynorphin zurückgeführt.

Während man auf diese Weise den sofortigen schmerzlindernden Effekt („sofortanalgetische Wirkung“) der Akupunktur erklärt, wird ihre Langzeitwirkung mit der Ausschüttung von Hormonen – Endorphinen – begründet, die ähnlich wie das Morphium schmerzlindernd auf den Körper wirken. In diesem Zusammenhang konnte man bei Patienten, die an Rückenschmerzen leiden, nach Akupunkturstimulation eine besonders hohe Konzentration des b-Endorphins in der Rückenmarksflüssigkeit nachweisen.

Eine bessere Qualifikation der Ärzte ist wünschenswert

Die zunehmende Akzeptanz der Akupunktur hat in Deutschland dazu geführt, dass sie mittlerweile von 40-50.000 Ärzten praktiziert wird und pro Jahr 1,5 Millionen Patienten mit ihr behandelt werden. Beklagt wird jedoch oftmals ein hoher Qualitätsverfall. Viele Ärzte betreiben die Akupunktur bereits nach dem Besuch von wenigen Wochenendkursen oder von Massenveranstaltungen mit mehr als 1000 Teilnehmern. Die Therapie ist infolgedessen – zumal dann, wenn sie ohne ausreichendes Hintergrundwissen über die chinesische Medizin ausgeführt wird – oft mangelhaft. So werden zu wenig Nadeln gesetzt, nicht ausreichend durch Drehen stimuliert, oder die Verweildauer der Nadeln ist zu kurz. Eine ausreichende Qualifizierung der behandelnden Mediziner ist deshalb unerlässlich. In Deutschland umfasst die Akupunkturausbildung für das A-Diplom 140 Stunden; zur Erlangung des B-Diploms sind 350 theoretische Ausbildungsstunden erforderlich.

Akupunkturforscher empfehlen bei chronischen Erkrankungen eine Mindestzahl von 15 Akupunktursitzungen zweimal wöchentlich, wobei die Verweildauer der Nadeln mindestens 15 Minuten betragen sollte. Bei kompetenter Akupunkturtherapie werden in der Regel mindestens 12, maximal 20 Akupunkturnadeln gesetzt. Unentbehrlich sind die genaue Lokalisation der Punkte, eine exakte Stichtechnik und eine adäquate Stichtiefe mit Stimulation der Nadeln nach sedierender oder tonisierender Technik.

Eingeschränkte Kostenerstattung durch die Krankenkassen

Die Finanzierung der Akupunktur durch die Kassen im Rahmen einer modellhaften Erprobung wurde am 16.10.2000 vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen nach zähen und langwierigen Verhandlungen geregelt. Anders als in den USA, wo die NIH (National Institutes of Health) bereits November 1997 den privaten Krankenversicherungen und staatlichen Krankenkassen die Kostenübernahme unter anderem auch für Schwangerschaftsübelkeit, postoperative Zahnschmerzen, Suchterkrankungen und Menstruationsschmerzen empfahl, wurde die Kostenerstattung auf lediglich drei Indikationen begrenzt.

  • Chronischer Kopfschmerz, Migräne
  • Chronischer Schmerz der Lendenwirbelsäule
  • Chronischer Verschleiß der Gelenke (Arthrose).

Damit liegt die Zahl der indizierten Krankheiten deutlich unterhalb der von der Weltgesundheitsorganisation (WHO)  vorgeschlagenen Liste von 40 Krankheitsbildern, die zum Beispiel auch Asthma bronchiale, Heuschnupfen, Immunschwäche, Menstruationsbeschwerden und Depressionen umfasst.

Um die Akupunkturbehandlung bei den drei genannten Erkrankungen im Sinne der Beschlüsse des Bundesausschusses modellhaft zu erproben, wurden im März 2001 unter Federführung der Ruhr-Universität Bochum die weltweit größten Studien zur Akupunktur – die gerac-Studien (german acupuncture trial) gestartet. Die Zahl der teilnehmenden Patienten liegt bei mehr als 500.000. In der ersten Phase, die bis Oktober 2001 dauerte, wurde eine Kohortenstudie (Teilstudie I) zwecks Sammlung von Basisdaten zur Akupunktur durchgeführt, deren erste Ergebnisse bereits vorliegen: Bis Mitte Oktober letzten Jahres behandelten 7309 akkreditierte Prüfärztinnen und -ärzte insgesamt 40.123 Patienten, deren Durchschnittsalter 58 Jahre betrug. Gut die Hälfte der Behandelten litt an Rückenschmerzen, ca. 26 Prozent an Kopfschmerzen und mehr als zehn Prozent an Knie- oder Hüftarthrose. Bei den restlichen Patienten lag mehr als eine Schmerzindikation vor. Die Ergebnisse sind mehr als zufrieden stellend. Bei 89,9 Prozent der Patienten stellte sich eine Verringerung der Beschwerden ein. In 50,7 Prozent der Fälle traten die Linderungen schon nach weniger als zwei Wochen (in der Regel nach vier Behandlungen) auf. In 7,7 Prozent der Fälle waren weniger als zehn, in zwei Prozent der Fälle mehr als zehn Sitzungen nötig. Nur sehr selten traten schwere, unerwünschte Nebenwirkungen auf.

Anfang 2002 begannen die auf etwa zwei Jahre festgelegten randomisierten Studien (Teilstudie II), deren Ziel es ist, zu überprüfen, wie wirkungsvoll Akupunktur im Vergleich zu konventionellen westlichen Methoden ist und inwieweit mit ihrer Hilfe eine anhaltende schmerzlindernde Wirkung erzielt werden kann. Die Patienten werden entweder mit der traditionellen chinesischen Akupunkturform (»Verum«-Akupunktur), einer unspezifischen, eigens für diese Studien entwickelten Methode (»Sham«-Akupunktur) – einer Art Placebo-Akupunktur – oder der gängigen Standardtherapie behandelt. Die Auswahl der Therapierform erfolgt nach dem Zufallsprinzip. Um die Seriösität der ermittelten Daten zu gewährleisten, dürfen nur solche Ärzte teilnehmen, die zumindest eine zertifizierte Grundausbildung haben. Erste Resultate der Studien sind 2004 zu erwarten.

Unabhängig von den Ergebnissen dürfte es aber eher unwahrscheinlich sein, dass die Kostenerstattung von Seiten der Krankenkassen in den nächsten Jahren über die vom Bundesausschuss festgelegten drei Indikationen hinausgehen wird. Als möglicher Ausweg ist seit einiger Zeit die Finanzierung über private Zusatzversicherungen im Gespräch.

aus ORTHOpress 03|2002

Alle Beiträge dienen lediglich der Information und ersetzen keinesfalls die Inanspruchnahme eines Arztes*in. Falls nicht anders angegeben, spiegeln sie den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wider. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.