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Rücken

Paradigmenwechsel in der modernen Wirbelsäulenschmerztherapie

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Interleukin-Therapie und minimalinvasive Verfahren bei Rückenschmerzen

Die Behandlung chronischer Schmerzen mit Hilfe stark dosierter Schmerzmittel, Kortison-Spritzen oder auch offenen Eingriffen wird von Fachleuten heute zunehmend als Kapitulationserklärung vor dem Phänomen Schmerz gesehen. Denn zum einen wird auf diese Weise lediglich das Warnsignal „Schmerz“ abgeschaltet, ohne dass die Ursache der Beschwerden selbst beseitigt würde, zum anderen ist damit vor allem langfristig eine Fülle von Nebenwirkungen, möglicherweise auch Operationsfolgen verbunden, die dem Patienten mehr schaden als nutzen. Letztlich geht es auch um die Frage, wie die Aussicht auf Schmerzbefreiung für Patienten aussieht, wenn die Erkrankung selbst weiter fortbesteht bzw. immer weiter fortschreitet. Wie lange werden sich die Schmerzen erfolgreich durch immer stärkere Medikamente etwa zurückdrängen lassen, während sich die Ursache immer schneller ausbreitet?

Diese Frage ist auch der Hauptansatzpunkt in der jungen Arthrose-Forschung. In der Vergangenheit musste man sich mit allen Bemühungen letztlich darauf bescheiden, die Schmerzproblematik als solche zu bekämpfen. Nun ist es erklärtes Ziel, dem Knorpelschwund und Entzündungsprozess selbst wirksam Einhalt zu bieten. Und es scheint, dass Medizin und Biotechnologie dem Ziel einer Heilung noch nie so nah waren wie heute.

In den vergangenen Jahren wurden in der Erforschung molekularbiologischer Abläufe der Gelenkzerstörung große Fortschritte erzielt. (ORTHOpress berichtete hierüber bereits in 1/01.) Eine zentrale Rolle spielen dabei immunbiologische Prozesse, welche nicht nur an der Entstehung der Entzündung, sondern auch an der Knorpelzerstörung einen wesentlichen Anteil haben. Diese Forschungsergebnisse führten jetzt zur Entwicklung der Interleukin-Therapie. Grundlage dieser Methode ist die Erkenntnis, dass die so genannten Zytokine (spezielle Botenstoffe) eine entzündliche Gelenkerkrankung hervorrufen können, wenn die komplizierte Balance von Zytokinen und ihren natürlich vorhandenen Gegnern, den Zytokin-Antagonisten, gestört ist. Beim gesunden Menschen produziert der Körper den schützenden Zytokin-Antagonisten in ausreichender Menge selbst und hält damit das Interleukin-I gewissermaßen „in Schach“. Wenn – durch welche Einflüsse auch immer – das IL-I in diesem Kampf irgendwann einmal die Oberhand gewinnt, so ist die Entstehung einer Entzündung nicht mehr aufzuhalten. Durch die neue Therapie ist es nun jedoch möglich geworden, die Zahl der Zytokin-Antagonisten im Gelenk wesentlich zu erhöhen.

Dazu wird dem Patienten mit einer spezialbehandelten Spritze, der Orthokin-Spritze, Blut entnommen. Die spezielle innere Oberfläche der Spritze führt dann zu einer Produktion der etwa hundertfachen Menge des Zytokin-Antagonisten. Dann wird das solcherart angereicherte Serum von den Blutzellen getrennt und in ein erkranktes Gelenk eingespritzt. So wird der Knorpel durch die künstlich erhöhte Anzahl der Zytokin-Antagonisten vor weiterer Zerstörung geschützt und die Entzündung wirksam zurückgedrängt.

Interleukin-Therapie auf dem Vormarsch in der Wirbelsäulentherapie

Interessant dabei ist, dass die Interleukin-Therapie nicht auf Knie- oder Schultergelenke beschränkt ist. „Auch entzündliche Prozesse der kleinen Wirbelgelenke des Rückgrats und sogar der Fingergelenke können so therapiert werden“, erläutert der Berliner Orthopäde Dr. Buntin, der zusammen mit seinem Kollegen Dr. Roggenbuck die innovative Therapie bereits seit einiger Zeit in der Praxis umsetzt. Der Vorteil gegenüber anderen Verfahren liegt dabei nicht nur in der besonderen Verträglichkeit, sondern auch in der lang anhaltenden und umfassenden Wirksamkeit des Präparats.

Der Zielsetzung, unterschiedliche Schmerzbilder im Bereich der Wirbelsäule ohne klassische Operation oder nebenwirkungsreiche Erzeugnisse der Pharmakologie zu beseitigen, haben sich auch die modernen minimalinvasiven Verfahren verschrieben. Auch in diesem Bereich konnten technische Fortschritte erzielt werden, welche die Betroffenen immer mehr zur Hoffnung auf ein Leben ohne Schmerzen berechtigen. Insbesondere zwei Verfahren halten die Berliner Orthopäden Dr. Roggenbuck und Dr. Buntin hier für geeignet, um auf maximal patientenschonende Weise den Schmerz ursächlich bzw. punktgenau zu bekämpfen.

Die periradikuläre Nervenwurzelinfiltration

Zunächst muss man wissen, dass die Ursachen des Rückenschmerzes, aber auch von Schulter-Nacken-Beschwerden vielfältig sind. Insofern gibt es auch unterschiedliche Angriffspunkte für eine erfolgreiche Wirbelsäulentherapie, bei welcher die Schmerzursache das Prinzip der Technik bestimmt. Eine radikuläre Schmerzsymptomatik etwa, bei welcher der Schmerz von der gereizten Nervenwurzel ausgeht und von dort ausstrahlt, lässt sich mittels der sog. PRT oder PRI, der periradikulären, CT-gesteuerten Injektionstherapie bzw. Nervenwurzelinfiltration gut behandeln; beim Facettensyndrom dagegen, wo die Facetten, also die kleinen Wirbelgelenke, Quelle des Schmerzes sind, bietet sich die Interleukin-Therapie an, sofern arthrotische Veränderungen die tatsächliche Ursache sind.

„Zur zweifelsfreien Identifizierung der unterschiedlichen Schmerzbilder bzw. der jeweiligen lokalen Schmerzursache stehen hier – neben einer eingehenden klinischen Untersuchung – die modernen bildgebenden Verfahren, d.h. Computertomografie und Kernspintomografie, zur Verfügung“, erläutert Dr. Buntin. CT oder MRT kommen zudem zur Anwendung, um die jeweiligen Ursachen der Nervenwurzelreizung zu erkennen. Dies können sein: Bandscheibenvorwölbungen, Bandscheibenvorfälle, postoperatives Narbengewebe oder ein enger Spinalkanal.

Die PRT selbst wird dabei immer CT-gestützt durchgeführt, weil sonst gar nicht die für eine solche Behandlung notwendige Präzision möglich wäre. Denn ganz im Unterschied zu einer klassischen Injektionstherapie wird hierbei die exakt lokalisierte Schmerzquelle behandelt. – Während der gesamten Behandlung befindet sich der Patient in Bauchlage auf dem Tisch des Computertomografen: Nach genauer Berechnung des Zielpunktes wird eine dünne Hohlnadel bis an die betroffene Nervenwurzel selbst herangeführt. Nach erneuter Kontrolle der Nadellage wird über diese in unmittelbarer Nähe (von „peri“: um herum) der gereizten Nervenwurzel („radikulär“ bzw. „radix“: die Wurzel betreffend) ein spezielles Medikament, bestehend aus einem Betäubungsmittel und einer kleinen Dosis Kortison, infiltriert. Das nimmt den Schmerz, wirkt abschwellend und beseitigt derart die von der Nervenwurzel ausgehende chronische Reizung. Im Abstand von etwa ein bis zwei Wochen wird die Infiltration dann noch zweimal wiederholt. Nach drei Behandlungseinheiten sind nahezu alle Patienten für einen langen Zeitraum schmerzfrei oder zumindest schmerzgelindert.

„Für monoradikuläre chronische Reizzustände in der Nervenhöhle ist die PRT mit ihrer hohen Wirksamkeit Methode der Wahl. Sind allerdings mehrere Nervenwurzeln betroffen, wie dies bei Bandscheibenprotrusionen oder -vorfällen der Fall ist, dann bietet sich als weiteres minimalinvasives Verfahren die epidurale Wirbelsäulenkathetertechnik an“, kommentiert Dr. Roggenbuck das Indikationsspektrum dieser Technik.

Die Thermokoagulation

Ist jedoch die Schmerzursache im Falle therapieresistenter Schmerzen etwa nicht eindeutig auszumachen, dann steht ein weiteres Verfahren zur Verfügung, das den sog. radiofrequenten parziellen Denervationsverfahren zuzählt. Zwar lässt sich damit nicht die Schmerzursache selbst beseitigen, gleichwohl wird auf diese Weise der Schmerz nicht einfach unterdrückt, sondern es kann die Schmerzleitung selbst an Ort und Stelle unterbrochen werden. Das funktioniert folgendermaßen: Mittels eines gepulsten elektromagnetischen Feldes, das Wärme („Thermo“) erzeugt, wird die Leitfähigkeit der schmerzleitenden Nervenfasern an bestimmten Stellen gezielt herabgesetzt; im Falle der Hitzesondentechnik werden die Nervenfasern selbst aufgelöst („Koagulation“). Bei dieser gewebsschonenden Technik sind wie bei der PRI keine Schnitte erforderlich: Perkutan, d.h. durch die Haut, werden spezielle Stimulations- bzw. Thermoläsionskanülen in örtlicher Betäubung und unter Röntgen- oder Computertomografiekontrolle exakt an den schmerzleitenden Strukturen des Nervensystems positioniert. Diese sind entweder direkt an der Entstehung des chronischen Schmerzes beteiligt oder fungieren als Umschaltstation der eingehenden Schmerzinformationen (sog. Ganglien). Zur Aufspürung des entsprechenden Nervs ist eine wahre Detektivarbeit erforderlich. Erst wenn eine Testblockade durch eine lokale Betäubung ergibt, dass der Schmerz an „seinem Nerv“ getroffen wurde, wirkt der Stimulationsstrom über die durch ein Elektrodenkabel mit einem Radiofrequenzgenerator verbundene Kanüle auf ihn ein. Die unterschiedliche Anatomie der Nervenfasern im peripheren und zentralen Nervensystem garantiert dabei, dass selektiv Nervenfasern koaguliert werden, die ausschließlich für die Leitung von Schmerzreizen und nicht auch für Sensibilität (Tastsinn) oder Motorik (Bewegung) verantwortlich sind, denn nur diese haben entweder keinen oder nur einen äußerst dünnen elektrisch isolierenden Schutzmantel um ihr zentrales „Stromkabel“ (Axon).

Dr. Buntin fasst abschließend zusammen: „Zwar liegt der Sinn dieser Methode nicht in der Heilung selbst. Doch lässt sich damit Patienten zu einem schmerzfreien Zustand verhelfen, in dem sie wieder in der Lage sind, selbst Entscheidendes dazu beizutragen, den therapeutischen Erfolg langfristig zu sichern. Die neu gewonnene Schmerzfreiheit bietet ja nun die Möglichkeit, durch intensive Krankengymnastik und gezieltes Muskelaufbautraining das Haltungsorgan, d.h. Hals-, Lenden- und Brustwirbelsäule sowie die sonstigen Gelenke dauerhaft zu stabilisieren.“ Wichtig ist auch: Auf Grund der damit verbundenen geringen Traumatisierung und Belastung des Patienten lassen sich zudem alle genannten Techniken im Bedarfsfall wiederholen.

Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 2 | 2001

*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.