Die Mongolei, das Land des ewig blauen Himmels und der Steppe ist eines der letzten weitgehend unberührten Gebiete unserer Erde. Sie umfasst eine größere Fläche als England, Frankreich, Deutschland und Italien zusammen und ist mit nur 2,3 Millionen Einwohnern das am dünnsten besiedelte Land Asiens.
Während das Leben der Stadtbewohner eher europäisch anmutet und sehr westlich orientiert ist, hat sich die Lebensweise der Nomaden im Laufe der Geschichte kaum verändert. Etwa die Hälfte der Bevölkerung lebt nach alter Tradition in filzbedeckten, mit weißem Baumwollstoff überzogenen Rundzelten, den Jurten, und zieht mit ihren Viehherden auf der Suche nach geeignetem Weideland durch die Steppe. Ihre Existenz wird allerdings durch die stetig wachsende Bevölkerung, die mit immer knapper werdenden Weideflächen auskommen muss, und die erst in jüngster Zeit auftretenden Umweltprobleme bedroht.
Die meisten Mongolen sind Buddhisten, jedoch ist unter den Nomaden die traditionelle Naturverehrung, der Glaube an Geister und Schamanen weit verbreitet. Nach dem schamanistischen Weltbild werden Krankheiten durch die Verirrung der Seele ausgelöst. Der traditionelle „Medizinmann“, der Schamane, dient als Mittler zwischen der dies- und der jenseitigen Welt. Er schickt seine Seele auf Jenseitsreise, um die verlorene Seele des Patienten wieder zu finden und zu heilen. Obwohl der Schamanismus im 16. Jahrhundert offiziell verboten wurde, konnte er nicht ausgemerzt werden. Auch heute noch praktizieren einige wenige Schamanen im unwegsamen Norden des Landes und 1998 gab es sogar erstmals ein Weltschamanentreffen. Den modernen Stadtmenschen allerdings ist der Schamanismus eher unheimlich und sie begeben sich lieber in die Hände der Schulmedizin.
Die Mongolen haben mit ca. 63 Jahren eine geringere Lebenserwartung als der Weltdurchschnitt (ca. 66 Jahre), was aber weniger am Gesundheitswesen, sondern eher an finanzieller Armut, schlechten hygienischen Verhältnissen und einseitiger Ernährung liegt. In den ländlichen, nur sehr dünn besiedelten Gebieten, wo man stundenlang reisen kann, ohne einer Menschenseele zu begegnen, ist die medizinische Versorgung auf Grund der schlechten Infrastruktur kritisch. Es gibt zwar in jeder größeren Gemeinde eine Klinik und eine Apotheke, jedoch ist es oft schwierig diese zu erreichen. Da nur die wenigsten Nomaden motorisiert sind und es so gut wie keine Straßen gibt, braucht man unter Umständen Stunden oder Tage, um einen Patienten in ein Krankenhaus zu bringen. Die Gefahr, dass der Kranke den Transport nicht überlebt, ist groß. – Trotzdem gilt das Gesundheitswesen immer noch als eines der vorbildlichsten Asiens.
In der Mongolei gibt es ungefähr 800 Apotheken, wovon sich etwa die Hälfte in der Hauptstadt Ulan Bator konzentriert. So ist die Dichte mit etwa 3000 Einwohnern pro Apotheke etwas höher als bei uns. Das Apothekenwesen ist ähnlich organisiert wie in den westlichen Industrieländern und orientiert sich größtenteils an der Schulmedizin. Zeiten, in denen man Motorsägen in Apotheken und Schmerzmittel in Buchläden bekommen konnte, sind seit der politischen Wende von 1990 endgültig vorbei.
Die Apotheken unterliegen der strengen Aufsicht der staatlichen Arzneimittelkontrollbehörde und werden etwa zweimal im Jahr überprüft. Sie werden in Apotheken erster und zweiter Klasse unterteilt. Apotheken der ersten Klasse gibt es landesweit nur etwa vierzig. Sie gehören meistens zu einem Krankenhaus, müssen bestimmte räumliche Anforderungen erfüllen und mindestens fünf Apotheker beschäftigen. Nur sie haben die Erlaubnis, sterile Arzneiformen herzustellen und Betäubungsmittel zu bevorraten und abzugeben.
Die restlichen, meist privaten Apotheken gehören zur zweiten Klasse. Sie beraten Patienten, beliefern Rezepte, stellen Salben und andere nicht sterile Arzneiformen her. Das Angebot ist breit gefächert, nur Kräuter und Tees sucht man vergeblich. Als Deutscher fühlt man sich dort direkt heimisch, da mindestens 35 Prozent der Medikamente aus Deutschland stammen und die Wände mit deutschsprachiger Pharmawerbung dekoriert sind. Das versteht zwar kaum ein Mongole, aber es ist immerhin schön bunt und vermittelt etwas vom beliebten westlichen Flair.
Darüber hinaus gibt es die so genannten „Drugshops“, die nur frei verkäufliche Medikamente anbieten dürfen und an eine „echte“ Apotheke angegliedert sind. Sie sind meist unscheinbare Kabuffs, die ihr Dasein in den hinteren Ecken größerer Geschäfte oder Märkte fristen. Hier arbeiten Apothekenassistenten, die eine dreijährige medizinische Ausbildung an einem College und einen einjährigen Pharmaziekurs absolviert haben.
In den Apotheken hingegen dürfen nur Apotheker Arzneimittel an die Patienten aushändigen und Beratungsgespräche führen. Wie bei uns üben vorwiegend Frauen diesen Beruf aus. Die Ausbildung umfasst ein fünfjähriges Studium an der Universität in Ulan Bator. Nur 25 Studenten pro Jahr werden für das Studium zugelassen, wovon es etwa 22 erfolgreich beenden. Neben den üblichen pharmazeutischen Fächern müssen mongolische Pharmaziestudenten noch Fremdsprachen wie Tibetisch, Latein, Russisch und Englisch, Geschichte, traditionelle mongolische Medizin und Wirtschaftskunde pauken. Nach dem Studium muss der zukünftige Apotheker noch ein sechsmonatiges Praktikum in einer öffentlichen Apotheke absolvieren.
Obwohl die traditionelle Medizin Bestandteil des Pharmaziestudiums ist, findet man die traditionellen Medikamente nur selten in öffentlichen Apotheken. Sie sind meist Mischungen aus verschiedenen pulverisierten Pflanzen- oder Tierteilen in verschiedenen Darreichungsformen und werden größtenteils in Apotheken hergestellt, die zu naturheilkundlich praktizierenden Kliniken gehören.
Die traditionelle Heilkunst wurzelt in der tibetischen Medizin und wird nur an speziellen Instituten gelehrt und praktiziert. Sie ist preiswert, nebenwirkungsarm und hat oft Erfolg bei chronischen Erkrankungen.
Ihre größte Rohstoffquelle ist die Steppe, die nicht nur – wie vielfach angenommen – Grasgewächse, sondern eine bunte Vielfalt (bekannt sind fast 2500 Pflanzenarten) an Blumen und Kräutern beheimatet. Etwa 600 verschiedene Heilkräuter werden mit Erfolg angewendet, wobei die Wirkung von 200 Arzneipflanzen wissenschaftlich belegt ist.
Die zu Heilzwecken eingesetzten tierischen Produkte haben nicht selten eine religiöse Tradition und muten in unserer westlichen Vorstellung oft etwas abenteuerlich an.
So schreibt man dem Wolfsfleisch fast schon magische Kräfte zu und setzt es bei den verschiedensten Krankheiten ein. Dabei wird das erkrankte menschliche Organ mit dem entsprechenden Wolfsorgan behandelt. Bei Halsschmerzen legt man eine Wolfszunge auf den Hals, bei Magenbeschwerden soll der Patient einige Tropfen eines Wolfsmagenextraktes einnehmen. Nimmt er allerdings zu viel, kann als Nebenwirkung ein starkes Hungergefühl auftreten. Sollte der Magen dann immer noch Probleme bereiten, kann man es auch mal mit getrocknetem Geierkot versuchen. Knöchelknochen von Wölfen – so besagt ein Aberglaube – soll man bei sich tragen, wenn man sich ein Kind wünscht.
Das dem Bastgeweih männlicher Hirsche entnommene Knochenmark soll als alkoholisches Tonikum bei Schwächezuständen und Impotenz wirken, die Herztätigkeit anregen und den Stoffwechsel aktivieren. Die Geweihe sind auch in China sehr begehrt, wo man sie ebenfalls als Volksheilmittel anwendet.
Murmeltiere erfreuen die Mongolen nicht nur kulinarisch. Ihr Fett wird äußerlich bei rheumatischen Erkrankungen eingesetzt und ist als Salbe auch in deutschen Apotheken erhältlich.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 4 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.