Die Arthrose des Schultergelenks
Die Eröffnung der Diagnose ‚Arthrose‘ löst bei den meisten Menschen Vorstellungen von Alter, Schmerzen, Hinfälligkeit und Pflegebedürftigkeit aus. Heute muss man aber durch eine Gelenkarthrose nicht mehr zum bewegungsunfähigen Greis werden. In den allermeisten Fällen kann man durch eine gezielte Behandlung und entsprechende Lebensführung fast genau so weiter leben wie vor Stellung der Diagnose. Arthrose kann prinzipiell an allen Gelenken auftreten. Das alltägliche Leben wird aber besonders beeinträchtigt, wenn die großen Gelenke betroffen sind. Während über Hüft- und Kniearthrose vielfältige Informationen verbreitet werden, fristet die Arthrose der Schulter in den Medien eher ein Schattendasein. Betroffene wissen oft nicht über die therapeutischen Möglichkeiten Bescheid. ORTHOpress sprach daher mit dem Orthopäden Dr. Michael Lehmann von der Praxisklinik 2000 in Freiburg über die Arthrose des Schultergelenks und ihre Behandlung.
Herr Dr. Lehmann, wie macht sich eine Arthrose im Schultergelenk bemerkbar?
Dr. Lehmann: Das Schultergelenk ist trotz oder vielleicht gerade wegen seines komplizierten Baus das beweglichste Gelenk unseres Körpers. Daher erstaunt es auf den ersten Blick schon, dass verschleißbedingte Veränderungen gerade hier relativ selten auftreten. Aber im Vergleich zu Hüften oder Knien fällt das Körpergewicht als belastender Faktor im Wesentlichen weg. Dennoch kann sich auch hier der Knorpel über das normale altersbedingte Maß hinaus zurückbilden und die typischen Arthroseschmerzen verursachen. Bei länger anhaltenden Schmerzen in der Schulter nach Belastungen oder Bewegungen sollte man daher immer auch an die Möglichkeit einer Arthrose denken. Schmerzen in Ruhe treten in der Regel erst in fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung auf. Dann kann es auch durch Knochenwulstbildungen (so genannte Osteophyten) im Gelenk zu einer deutlichen Bewegungseinschränkung kommen.
Was muss bei der Diagnosestellung beachtet werden?
Dr. Lehmann: Da — wie gesagt — die Schulter sehr kompliziert aufgebaut ist und in das noch kompliziertere System Schultergürtel eingebettet ist, müssen immer auch andere mögliche Erkrankungen, die eine ähnliche Symptomatik verursachen können, differentialdiagnostisch ausgeschlossen werden. Befragung und Untersuchung der Patienten bilden dabei natürlich die Basis der Diagnostik. Heute stehen uns darüber hinaus mit Ultraschall und Kernspintomographie, letztere eventuell mit Kontrastmitteldarstellung, hoch effiziente diagnostische Hilfsmittel zu Verfügung. Im Röntgenbild kann eine Arthrose leider erst beurteilt werden, wenn eine Gelenkspaltverschmälerung und/oder eine Knochenwulstbildung nachweisbar sind, d.h. wenn sie sehr weit fortgeschritten ist.
Welche therapeutischen Möglichkeiten stehen bei der Schulterarthrose zur Verfügung?
Dr. Lehmann: Einen einmal eingetretenen Knorpelabbau kann man zur Zeit noch nicht wieder rückgängig machen. Ziel einer jeglichen Arthrosetherapie ist es daher generell, die Abbauvorgänge weitestgehend zu stoppen und so gering wie möglich zu halten, damit es nicht zu einer Einschränkung der Lebensqualität kommt. Dabei haben zunächst konservative Maßnahmen erste Priorität. Eine ganz wichtige Säule der Therapie sind Physiotherapie und Krankengymnastik, damit das Gelenk beweglich bleibt. Durch eine gezielte Physiotherapie werden die das Schultergelenk umgebenden Weichteile, wie Muskeln, Sehnen und Bänder mobilisiert, entspannt und — was ganz wichtig ist — auch gekräftigt. Außerdem wird dadurch die normalerweise sehr weite Gelenkkapsel — die sehr schnell zu Verklebungen neigt, wenn das Gelenk nicht ausreichend bewegt wird — vor diesen Verklebungen bewahrt. Es kann gar nicht oft genug betont werden, wie wichtig eine ausreichende korrekte Bewegung der von Arthrose betroffenen Gelenke ist. Knorpelgewebe verfügt über keine eigenen Blutgefäße, die es ernähren könnten. Es ist daher für die Aufnahme der lebenswichtigen Nährstoffe auf die Stoffwechselvorgänge während der Bewegung angewiesen. Um aber eine solche konsequente Bewegungstherapie durchführen zu können, ist manchmal, zumindest anfangs, die Einnahme von schmerzstillenden und entzündungshemmenden Medikamenten erforderlich.
Als eine zweite Säule der Therapie gelten mittlerweile Behandlungsansätze, die versuchen, die Ernährung des Knorpels durch direkt in das Gelenk eingebrachte Medikamente zu optimieren. Das kann einmal durch die Injektion von schmerzstillenden und entzündungshemmenden Substanzen geschehen, die direkt vor Ort wirken und keine systemischen Nebenwirkungen haben. Zum anderen kann man heute aber auch schon eine Art künstliche Gelenkschmiere in den Spalt zwischen den Gelenkpartner einbringen und darüber das Gleitverhalten verbessern, in der Hoffnung, das dies auch der Versorgung des Knorpels mit Nährstoffen zugute kommt.
Diese Maßnahmen greifen aber doch nicht in allen Fällen auf Dauer. Was ist, wenn die Schmerzen nicht nachlassen?
Dr. Lehmann: Dann ist zu erwägen, ob sich im Rahmen operativer Maßnahmen die Gelenkmechanik verbessern lässt. Dabei ist es ganz wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu finden, also weder zu früh noch zu spät zu intervenieren. Unter Operation ist in diesen Fällen natürlich ein arthroskopischer Eingriff gemeint, der — minimal invasiv — keine weiteren Verletzungen an Weichteilstrukturen setzt und keinen längeren stationären Aufenthalt bedingt. Über meist nur zwei wenige Millimeter große Öffnungen können das Gelenk von innen her eingesehen und alle Strukturen genau beurteilt werden. Bei der Arthrose wird man in der Regel eine so genannte Gelenktoilette vornehmen. Das bedeutet, das Gelenk wird sorgfältig gespült und von allen Abriebpartikeln befreit. Außerdem können Verklebungen und Verwachsungen, die sich gebildet haben, gelöst werden. Zusätzlich kann der Knorpel — falls erforderlich — wieder geglättet werden. Unter Umständen können auch Knochenwülste, die sich im Laufe der Zeit gebildet haben und die die Beweglichkeit behindern, bei so einem Eingriff abgetragen werden. Meistens gelingt es, mit diesem relativ kleinen Eingriff die Schmerzen für einen längeren Zeitraum einzudämmen.
Gibt es ähnlich wie bei Hüften und Knien auch an der Schulter die Möglichkeit der endoprothetischen Versorgung?
Dr. Lehmann: Das künstliche Schultergelenk stellt nach wie vor — trotz zunehmender Erfahrung und verbesserter Materialien — die ultima ratio im Behandlungsspektrum dar. Man ist daher nach wie vor eher zurückhaltend bei der Indikationsstellung. Aber manchmal führt kein Weg daran vorbei. In sehr schweren Fällen, bei entsprechenden Beschwerden und der Ausreizung von allen anderen therapeutischen Optionen, ist die Endoprothesenversorgung sicherlich ein sehr gutes Verfahren, um die Lebensqualität der Patienten langfristig zu verbessern.
Wie beurteilen Sie grundsätzlich die Chancen bei der Behandlung der Schulterarthrose?
Dr. Lehmann: Uns stehen heute für jedes Stadium der Erkrankung wirkungsvolle Therapien zur Verfügung, um die Schmerzen der Patienten zu lindern. Ziel ist es aber, die Arthrose möglichst frühzeitig zu diagnostizieren, bevor der Knorpel völlig zerstört ist. Dann kann es mit Hilfe der oben beschriebenen Maßnahmen zu einer starken Verlangsamung der zerstörerischen Prozesse kommen. Voraussetzung dafür sind aber informierte Patienten, die zu einer aktiven Mitarbeit bereit sind.
Herr Dr. Lehmann, herzlichen Dank für das informative Gespräch!
aus ORTHOpress 03|2002
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