Funktionelle Kniegelenkbandagen helfen der Natur auf die Sprünge
Schnee und Sonne satt – überall fröhliche Mienen? So mancher Skifahrer schaut eher verbissen drein. Falscher Ehrgeiz? – Nein, Knieschmerzen! Schon das Treppabgehen im Hotel war schmerzhaft und unsicher, einmal ist man sogar fast eingeknickt. Und bei jeder Abfahrt verschlimmern sich die Schmerzen im Knie, die Muskeln sind schlapp wie Pudding.
Für den Sportorthopäden gehört die Schilderung solcher Beschwerden zum Alltag. Es sind die typischen Zeichen eines Verschleißes oder einer Überlastung im Kniescheibengelenk. Der Fachmann kennt dafür die Ausdrücke „Patellaspitzensyndrom“, „Chondropathia patellae“ und „Retropatellararthrose“. Durch Muskelzug an den Sehnen oder erhöhten Anpressdruck der Kniescheibe in der Hocke verstärkt sich der Schmerz. Und gerade diese Belastungen gehören zum Skisport.
Was ist zu tun? Zunächst muss man wissen, dass der Körper auf jeden Schaden im Kniegelenk ganz stereotyp reagiert. Er versucht das Knie zu schonen. Das erreicht er, indem er die Muskelarbeit reduziert. Dabei werden die verschiedenen Muskelanteile des Oberschenkels unterschiedlich geschont. (Der Fachmann bezeichnet dies als „verringerte, dysbalancierte, neuromuskuläre Ansteuerung“.) Belastet man trotzdem, wird das Knie nicht mehr richtig stabilisiert und geführt. Daraus ergeben sich Fehlbelastungen und falsche Koordination. Verschleiß und damit Schmerz und Unsicherheit nehmen zu.
Nun muss der Arzt zunächst den Schaden genau klassifizieren. Handelt es sich nur um einen Überlastungsschaden an den Sehnen oder aber um Verschleiß (Arthrose)? Ist die Kniescheibe wegen schlechter Muskelführung gar nach außen abgerutscht mit Fehlbelastung im Gelenk? Danach richtet sich die Behandlungsstrategie. Diese kann zunächst aus vorübergehender Schonung, Krankengymnastik, bestimmten Bestrahlungen und Medikamenten in verschiedenster Anwendungsform bestehen.
In allen Fällen aber kommt der Behandlung mit Hilfe von Bandagen, die einen speziellen Druck auf das Kniescheibenband ausüben, eine zentrale Bedeutung zu. Denn der Körper reagiert ja – wie gesagt – auf Knieschäden stets mit einer ungleichmäßigen Abschwächung der Streckmuskulatur. Demgegenüber löst der Schlag mit dem Reflexhammer auf das Kniescheibenband unterhalb der Kniescheibe bekanntlich einen Reflex aus: Der Unterschenkel springt nach oben, weil die Muskulatur des Oberschenkels das Knie streckt. Wenn nun eine Bandage dauerhaft auf diese Stelle drückt, d.h. einen infrapatellaren Druck ausübt, kommt es über diesen Reflex also zu einer dauerhaften Verbesserung der Muskelarbeit. Die Sicherheit im Gelenk nimmt zu, der Schmerz wird bei normalisierter Belastung und Koordination geringer.
Bewiesen wurde dieser Effekt in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen, experimentell u.a. durch Messung der elektrischen Muskelströme, mit denen sich die Muskelarbeit exakt quantifizieren lässt. In klinischen Arbeiten konnte zudem nachgewiesen werden, dass dieser Effekt auch nach Jahren nicht nachlässt und man also mit diesen Bandagen auch langfristig erfolgreich behandeln kann. Das liegt daran, dass die Sensoren, der Experte nennt sie „Propriorezeptoren“, die den Reflex auslösen, nicht adaptieren; d.h. sie ermüden nicht.
Für die verschiedenen Krankheitsbilder und Belastungsformen stehen unterschiedliche Bandagenmodelle zur Verfügung, die aber alle auf dem speziellen Druck auf das Kniescheibenband aufbauen:
Die Kasseler Patellarsehnenbandage (PSB) reicht in der Regel aus, wenn der Verschleiß noch nicht allzu weit fortgeschritten und auf das Kniescheibengelenk beschränkt ist oder wenn es sich nur um Entzündungen der Bandansätze handelt. In diesem Fall treten dann – ohne Bandage – überwiegend Schmerzen und Unsicherheit nur beim Abwärtsgehen und beim Aufstehen aus dem Sitzen auf. Diese Bandage eignet sich für den Alltag und bei Sportausübung ohne gehäuft eingenommene Hockposition.
Muss man dagegen häufig oder dauerhaft in die Hocke gehen wie beim Wettkampfskisport, sollte man die INFRAPAT-Propriozeptionspelotte benutzen. Diese wird mit zirkulärem Tape auf das Kniescheibenband gepresst. Sie sitzt absolut rutschfest, eignet sich aber nur zur Kurzzeitanwendung, da der Tape nicht nachgibt und sich an zunehmende Beinumfänge nicht anpassen kann.
Hat die Kniescheibe besonders wenig Halt und rutscht nach außen, was durch Röntgen feststellbar ist, kommt die Patelladyn-Bandage zum Einsatz. Neben dem gezielten Druck auf das Kniescheibenband mit der Folge des Muskelreflexes zieht diese Kniebandage, ausgestattet mit lateralem Halbring und medialisierenden Zügeln, die Kniescheibe auch passiv zur Mitte. Sie findet zudem bei größerem Verschleiß Verwendung. Die Patelladyn-Bandage eignet sich für das ganztägige Tragen im Freizeitbereich bzw. Skisport, da sie sich auf Grund ihrer Elastizität zunehmenden Beinumfängen anpassen kann.
Mit einem einfachen Treppentest wird ermittelt, welche Patienten auf die Behandlung mit den genannten Bandagen positiv ansprechen, denn die Sofortwirkung entspricht hier ja, wie gesagt, der Dauerwirkung. Der Arzt legt dabei dem Patienten eine Patellarsehnenbandage um, die er als Muster in der Praxis hat, und lässt ihn zwei Stockwerke aufwärts und abwärts gehen. Anschließend geht der Patient dieselbe Strecke erneut ohne Bandage; im Zweifel wird die Prozedur wiederholt. Hat der Patient beim Tragen der Bandage weniger Schmerzen und mehr Halt im Knie, ist die Verordnung einer Bandage, die infrapatellaren Druck ausübt, nach den genannten Kriterien sinnvoll und erfolgversprechend.
Fehlverordnungen und somit überflüssige Kosten werden vermieden. Häufig kann auf andere Therapiemaßnahmen, u.U. sogar auf eine Operation, verzichtet werden – auch das tut dem gebeutelten Gesundheitswesen gut. Ebenso, dass die Versorgung mit den Spezialbandagen den weiteren Verschleiß verlangsamt, weil das Gelenk günstiger belastet wird. Hinzu kommt, dass oft nur noch die Bandagen ein beschwerdefreies Treppensteigen im Alter gewährleisten und dass viele Sportler ihren Sport trotz aller anderen Behandlungen nur mit Hilfe dieser Bandagen ausüben können und dann z.B. wieder mit Freude Ski fahren.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 1 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.