In der Bevölkerung und vor allem beim betroffenen Patienten stellen der Hüftgelenkersatz oder ein künstliches Kniegelenk schon lange nicht mehr etwas Spektakuläres dar. Dies liegt schon allein daran, dass auf Grund der hohen Anzahl bereits implantierter Hüft- oder Knieendoprothesen davon ausgegangen werden kann, dass sich beinahe in jeder Nachbarschaft oder Verwandtschaft ein Endoprothesenträger vorfindet und also konkrete Erfahrungen damit gemacht werden. Dies verhält sich beim endoprothetischen Ersatz des Schultergelenkes völlig anders. Die Schulter ist nicht nur das dem Kopf am nächsten liegende Gelenk, sie stellt für den betroffenen Patienten auch ein Buch mit sieben Siegeln dar. Warum er seinen Arm unter den starken Schmerzen nicht mehr heben kann oder warum dieser nach einer Operation einer mehrwöchigen Ruhigstellung bedarf, ist für den Betroffenen oft kaum nachvollziehbar, zumal hier zum eigenen Unwissen auch noch die fehlenden Erfahrungen aus dem nahen Umfeld hinzukommen.
Dieses Informationsdefizit zu beheben ist – angesichts dieser Form des Gelenkersatzes – also in die besondere Verantwortung der behandelnden Ärzte gestellt. Aufklärung ist generell Grundlage dafür, dass mit einer Erkrankung richtig umgegangen werden kann und sich die damit verbundenen Beeinträchtigungen zum Teil auch überwinden lassen. Im Gespräch also sollte den Patienten ausreichend Zeit gewidmet werden, um auch eine für den Betroffenen nachvollziehbare Erklärung seines individuellen Leidens zu finden. Darüber hinaus bedürfen vor allem Verschleißerkrankungen wie die Arthrose des Schultergelenkes einer eingehenden Diagnostik und einer adäquaten Therapie, an deren Ende eben der Ersatz des Schultergelenkes stehen kann.
Die Schulterendoprothese
Das Schultergelenk weist mancherlei Eigenarten auf. Bei einem Verschleiß ist häufig nur der Ersatz der Oberarmkopfoberfläche notwendig, ganz im Gegenteil zu allen anderen Gelenken. Deswegen wurden insbesondere in diesem Bereich in den letzten Jahren spezielle Endoprothesen entwickelt, die nur einen minimalen Eingriff erfordern. Beim Patienten bis 70 Jahre ist es möglich, eine so genannte Kappe einzusetzen („Scan-Cup“). Dabei wird lediglich der verschlissene Knorpel des Oberarmkopfes ersetzt (Abb. 1). Der Ersatz des Knorpels mittels Metallkappe wurde in Skandinavien entwickelt und dort vielfach verwendet. Auch in Deutschland gelangt die so genannte „Schulterkappe“ bei erfahrenen Schulterchirurgen immer öfter zum Einsatz. „Wir konnten damit ausnehmend gute Ergebnisse gerade auch beim jüngeren Patienten erzielen“, berichten die Kölner Orthopäden Dr. T. Schneider und Dr. J. Schmidt. Rheumatische Erkrankungen sind dabei ebenso wie vorzeitiger Gelenkverschleiß die Ursache der typischen Beschwerden. Knorpelersatzoperationen dagegen sind am Schultergelenk, anders als am Kniegelenk, bislang kaum möglich. Und selbst der Einsatz von den Knorpel stärkenden Medikamenten ist hier wenig von Erfolg gekrönt.
Nach Oberflächenersatz des Oberarmkopfes durch Scan-Cup ist mit gleicher Stabilität und Haltbarkeit zu rechnen wie bei einer Hüftendoprothese. Schon nach einer 4-wöchigen Entlastung ist das Schultergelenk wieder gut einsetzbar bei vielen alltäglichen Arbeiten.
Ist aber die Qualität des Knochens selbst gemindert, muss beim Gelenkverschleiß die Wahl auf den Oberflächenersatz mit Stiel fallen. Auch diese Operation stellt keinen größeren Eingriff dar. Ähnlich wie beim Hüftgelenkersatz wird dabei lediglich ein Schaft in den Oberarm eingesetzt, je nach Alter des Patienten und Knochenqualität mit Zement oder zementfrei. Die zusätzliche Verwendung einer Pfanne, wie sie beim Hüftgelenk üblich ist, ist hier selten erforderlich.
Welche guten Erfahrungen mit der Stielprothese bereits gemacht werden konnten, zeigt sich z.B. an Frau E. (62) aus Köln-Frechen. Sie litt seit über drei Jahren an linksseitigen Schulterschmerzen, die mit einer erheblichen Einschränkung der Beweglichkeit einhergingen. Grund dafür war eine Arthrose des Schultergelenkes, die in erster Linie den Oberarmkopf betraf. Alle Maßnahmen wie Injektionen, Krankengymnastik, Reizbestrahlung und Medikamente brachten in diesem Stadium keinen Erfolg mehr. Dr. Schneider und Dr. Schmidt setzten Frau E. im Januar 1999 eine Schulterprothese ein (Abb. 2). Sie verspürte eine sofortige Beschwerdefreiheit. Nach 4-wöchiger Rehabilitationsbehandlung und Tragen einer Armschlinge durfte die Patientin bereits aktive Bewegungen durchführen. Sechs Wochen nach der Operation hat Frau E. angegeben, eine annähernd uneingeschränkte Schultergelenkbeweglichkeit erreicht zu haben. „Ich kann zu Hause schon wieder alles machen, neben der Haushaltsführung stellt Kämmen oder eine Schürze zubinden überhaupt kein Problem mehr dar“, verkündet Frau E. stolz. Sie hat noch größere Ziele. Segeln und Skifahren sind ihre Leidenschaft. Beides ist auch schon geplant, doch derzeit wird erst einmal die eigene Wohnung renoviert. Tapezieren, Fenster putzen und Gardinen aufhängen sind wieder zur Selbstverständlichkeit geworden. Sie ist glücklich darüber, überhaupt keine Schmerzen mehr zu haben und wieder alles machen zu können.
Zugegeben, bevor man überhaupt an einen künstlichen Ersatz des Schultergelenks dachte, waren schon zahlreiche Hüft- und Knieendoprothesen eingesetzt worden. In den 90er-Jahren aber, im Zeitalter moderner medizinischer Technologie, sind die Implantate an allen Gelenken verfeinert worden. Die neuen Endoprothesen haben bei geringerer Größe sogar eine noch größere Stabilität erlangt.
Beim Knorpelverschleiß an der Schulter gibt es bislang wenige Alternativen. Obwohl der Einsatz von eigenem Knorpelgewebe in ein erkranktes Kniegelenk schon fast Routine geworden ist, ist dies beim Schultergelenk noch nicht möglich. Auf Grund der Anatomie des Schultergelenkes und meist den ganzen Oberarmkopf betreffender Knorpeldefekte verbietet sich derzeit noch die Minimallösung einer Knorpeltransplantation. Die technisch mittlerweile ausgereiften Endoprothesen am Schultergelenk aber stellen in der Hand des erfahrenen Schulterchirurgen ein schmerzbefreiendes, langlebiges Operationsverfahren dar.
Ein Archivbeitrag* aus ORTHOpress 1 | 2000
*Archivbeiträge spiegeln den Stand zur Zeit der Erstveröffentlichung wieder. Die aktuelle Einschätzung des Sachverhalts kann durch Erfahrungszuwachs, allgemeinen Fortschritt und zwischenzeitlich gewonnene Erkenntnisse abweichen.